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04.11.2023 09:36  Aktualisiert: 04.11.2023 09:36
Nun kommt es für die Freien Demokraten knüppeldick: Erstmals seit langer Zeit fällt die liberale Partei im aktuellen Deutschlandtrend unter die magische Fünf-Prozent-Marke, die die Grenze zwischen parlamentarischer Existenz oder Nicht-Existenz markiert. Eine hektische Suche nach den Gründen des demoskopischen Niedergangs hat in den Reihen der Liberalen eingesetzt. Doch die Ursachen für die Existenzkrise liegen tiefer – und sie liegen lange zurück.

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Für das politische Gedächtnis der Liberalen sind die vier Jahre von 2009 bis 2013 in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen – praktisch alles, was in der FDP danach passierte, wird nur völlig erklärlich vor dem Hintergrund dieser wenigen Jahre, die Triumph und Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit umspannten.

Im Jahre 2009 erreichte die FDP unter ihren damaligen Vorsitzenden Guido Westerwelle mit 14,6 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte. Mit stolzgeschwellter Brust und einem prallgefüllten Koffer voller Reformideen traten sie in die Koalition mit der Union unter Bundeskanzlerin Angela Merkel ein. Doch ihre Erwartung, dass nun mit der Union und Angela Merkel ein Zeitalter kühner Reformen anbrechen würde, wurde alsbald enttäuscht.

Die Enttäuschung über die Union

Merkel, die Zeit ihres politischen Lebens für programmatische Fragen nicht das geringste Interesse aufbrachte, dachte nicht daran, ihren bisherigen Kurs aufzugeben, ambitionslos in den Tag hineinzuregieren. Schlimmer noch für die Liberalen: Mit dem damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble und – zu einem etwas geringerem Teil - auch mit dem Kanzleramtschef Thomas de Maiziere waren zwei durch und durch überzeugte Etatisten an den Schalthebeln der Regierung, die beide mit einer liberalen Agenda nicht nur nichts anzufangen wussten, sondern diese nach Herzenslust hintertrieben.

Binnen kürzester Zeit sahen sich die Liberalen ausgerechnet in der Koalition, die sie sich selbst herbeigesehnt hatten, an den Rand gedrängt. Praktisch nichts blieb von ihrer Reformagenda. Am Ende wurde vier Jahre später eine komplett frustrierte FDP mit gerade 4,8 Prozent der Stimmen aus dem Bundestag gewählt – Jahre weitgehender politischer Bedeutungslosigkeit schlossen sich an. Dies hat sich in das kollektive Gedächtnis der Liberalen eingebrannt.

Auch die Entscheidung der FDP-Spitze, 2017 nicht in eine Jamaika-Koalition mit der Union und den Grünen zu gehen, wird erst vor dem Hintergrund der Jahre in der Koalition von 2009 bis 2013 verständlich. „Es gab zur CDU kein Vertrauen mehr, erst recht nicht zu einer Merkel-Union“, sagt heute im Rückblick ein führender Vertreter der FDP zu den Deutschen Wirtschaftsnachrichten. Als dann sich dann vor zwei Jahren für die FDP erneut die Koalitionsfrage stellte, hatte sie kaum eine Chance, sich dem zu verweigern, obwohl es der Parteiführung rund um Christian Lindner von Anfang an klar war, dass eine Koalition mit zwei linken Partnern schwierig werden dürfte. Zum einen stellte sich für die Führung der Partei die Frage nach der staatspolitischen Verantwortung, zum anderen wollten maßgebliche Kräfte in der Partei mal endlich wieder mitregieren.

Kuscheln und Krawall

Doch: Nach einem Selfie – die Spitzen von FDP und Grünen hatten sich am Rande der Koalitionsverhandlungen abgelichtet und das Bild der Öffentlichkeit zugespielt – und einem Vorfrühling der Harmonie, verfinsterten sich rasch die Wolken am liberalen Firmament. Denn trotz aufgeräumter Stimmung stolperten die Liberalen bei den dann folgenden Landtagswahlen von Niederlage zur Niederlage. Dabei sei nie die Frage nach dem Auftritt entscheidend gewesen, sondern die der Substanz, wie der Meinungsforscher Hermann Binkert gegenüber den DWN erklärt: „Die FDP ist einfach in der falschen Koalition.“ Es sei, so Binkert, eigentlich eine logische Schlussfolgerung, dass der FDP eine Koalition mit einer echten grünen Partei nicht bekommen könne, wenn es schon mit einer den Grünen zugewandten Merkel-Union nicht funktioniert habe.

Nach den ersten verlorenen Landtagswahlen änderte die FDP ihren Kurs: vom Kuscheln hin zum Krawall. Fortan versuchte sie, sich in der Koalition inhaltlich zu profilieren – auf Kosten der Grünen und auch auf Kosten des Erscheinungsbildes der Koalition, die nun in der Öffentlichkeit als zerstritten wahrgenommen wurde. Doch auch der neue Krawallkurs brachte der Parteiführung nichts ein, auch die nächsten Wahlen endeten wenig erfolgreich.

Mit Bangen sieht eine nun zunehmend ratlos gewordene Parteiführung den Wahlen im nächsten Jahr entgegen. Die verheißen alle nichts Gutes, wie der Meinungsforscher Binkert den DWN erklärt: „Die FDP droht unter die Räder zu geraten.“ Das sind zum einen die Europawahl am 9. Juni und – vor allen Dingen- die in neun Bundesländern zeitgleich stattfindenden Kommunalwahlen. Gerade bei den Kommunalwahlen in den neuen Ländern – in allen Neuen Bundesländern finden Kommunalwahlen statt – droht der FDP der Absturz in die komplette kommunalpolitische Bedeutungslosigkeit. Und auch in den westlichen Ländern sind die Vorzeichen alles andere als ermutigend. Auch die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg könnten für die Liberalen ein Scherbengericht werden.

Ein Weckruf

Inzwischen wächst die Unruhe in den Reihen der FDP. Bei den Wahlen zum Vorstand der Bundestagsfraktion bekamen ausgerechnet die Kandidaten die magersten Ergebnisse, die sich am eindeutigsten zu der Ampel-Koalition bekannten, auch der Aufruf „Weckruf Freiheit“ von 26 Landes- und Kommunalpolitikern ist ein erstes Zeichen, auch wenn unter den Unterzeichnern kein wirklich prominenter Name zu finden ist. Dennoch drückt der Aufruf aus, was viele in der Partei denken, wenn er feststellt, dass sich die FDP in der Ampel-Koalition „bis zur Unkenntlichkeit“ verbiege. Ihre Schlussfolgerung: keine Koalition mehr mit grüner Beteiligung.

Viel spricht dafür, dass die Führung der FDP nach Ausstiegsszenarien Ausschau hält, wenn ein weiteres Verbleiben in der Ampel-Koalition die parlamentarische Existenz der Partei gefährdet. Ein mögliches Szenario wäre die Migrationspolitik. Die FDP ist schon dabei, immer weitere, noch restriktivere Forderungen aufzustellen – sehr zum Verdruss der Grünen. Ein Bruch der Koalition in der Migrationspolitik könnte für die FDP die zentrale Begründung liefern, die ungeliebte Koalition zu verlassen. Doch ohne Risiko wäre das nicht.


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