Politik

Experten zum Industriestrompreis: „Subventionen helfen nicht gegen eine Strukturkrise“

Wirtschaftsminister Habeck will den außer Kontrolle geratenen Strompreis subventionieren. Experten und die Wirtschaft sind jedoch skeptisch: eine falsche Politik und strukturelle Nachteile ließen sich nicht mit Geld beheben.
07.11.2023 18:24
Aktualisiert: 07.11.2023 18:24
Lesezeit: 4 min

Die deutschen Maschinenbauer haben sich gegen einen Subventionswettlauf in der Wirtschaftspolitik und die Überlegungen des Wirtschaftsministeriums für einen Industriestrompreis gewandt.

„Leider ist die Versuchung groß, sich mit immer neuen staatlichen Subventionen und wohlklingenden Schutzmaßnahmen Zeit zu erkaufen und die notwendigen Transformationsprozesse hinauszuzögern oder ganz schmerzfrei zu gestalten“, sagte der Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Karl Haeusgen, am Dienstag auf dem Maschinenbau-Gipfel in Berlin laut Redetext.

„Nicht der richtige Weg“

Nie in der Geschichte der Bundesrepublik und der EU seien so viel öffentliche Gelder für Unternehmen und Wirtschaft zur Verfügung gestellt worden wie zur Zeit. „Das ist nicht der richtige Weg, um langfristige Lösungen für unsere Standortprobleme zu finden.“

Die Idee eines Industriestrompreises ist eine Reaktion auf die im internationalen Vergleich extrem hohen Strompreise in Deutschland, welche wiederum eine direkte Folge von Klima-Sonderabgaben und der Energiewende sind.

Mit einem Umsatz von jährlich über 200 Milliarden Euro und mehr als eine Million Mitarbeiter sind die Maschinenbauer ein Rückgrat der deutschen Wirtschaft. In der umstrittenen Frage eines mit staatlichen Subventionen gedeckelten Strompreises für Teile der Industrie wandte sich der VDMA-Präsident direkt an den eingeladenen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

„Lieber Herr Habeck, Sie fordern die Aufhebung oder zumindest die Lockerung der Schuldenbremse um unter anderem den Industriestrompreis zu finanzieren. Beerdigen Sie dieses strukturkonservative und überdimensionierte Subventions-Projekt.“

Die Bundesregierung solle vielmehr eine Steuerreform angehen, die das Steuersystem wettbewerbsfähiger und sozialer mache. Die Unternehmen müssten entlastet werden und die unteren und mittleren Einkommensgruppen mehr Netto vom Brutto erhalten.

Energieintensive Branchen wie die Chemie-, Stahl- und Zementindustrie sowie Gewerkschaften werben seit Monaten für Habecks Überlegungen eines Industriestrompreises. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) lehnen diesen ab.

„Subventionen helfen nicht gegen Strukturprobleme“

Der Chef-Volkswirt der FERI-Gruppe, Axel D. Angermann, analysiert in einer Pressemitteilung, warum staatliche Subventionsvorhaben wie der Industriestrompreis kein geeignetes Mittel gegen eine Strukturkrise sind, wie wir sie in Deutschland erleben:

Die Debatte um Sinn oder Unsinn eines subventionierten Industriestrompreises hält an, sie ist angesichts der Bedeutung des Vorhabens auch notwendig. Was ist von der Idee zu halten und welche Alternativen bieten sich an?

Ein Industriestrompreis verzerrt den Wettbewerb

Der Industriestrompreis soll vor allem energieintensive Unternehmen schützen, die sich im internationalen Wettbewerb behaupten müssen. Dem ist entgegenzuhalten, dass durch den staatlichen Eingriff nicht nur das Preissignal ausgeschaltet wird und damit der Anreiz zur Suche nach Innovationen verringert wird. Günstigere Strompreise für ausgewählte energieintensive Unternehmen führen auch zu einer Wettbewerbsverzerrung zwischen kleinen und mittleren Unternehmen und der Industrie.

Es gehört zu den elementaren ordnungspolitischen Grundsätzen, dass für alle Unternehmen die gleichen Rahmenbedingungen gelten sollten und nicht mehr oder weniger willkürlich ausgewählte Branchen oder gar einzelne Unternehmen bevorzugt werden. Eine Subventionierung des Strompreises für einzelne Sektoren wirkt in jedem Fall strukturkonservierend.

Denkbar wäre natürlich, die allgemeinen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft dadurch zu verbessern, dass die Stromsteuer, die immerhin etwa 16 Prozent des Strompreises ausmacht, für alle Verbraucher gesenkt oder ganz abgeschafft wird. Auch ein verringerter Mehrwertsteuersatz wäre denkbar. Es mutet seltsam an, dass darüber gar nicht diskutiert wird.

Subventionen drohen sich zu verfestigen

Auch das Argument, man benötige eine solche Subvention übergangsweise für wenige Jahre, bis der Strompreis infolge des Ausbaus der erneuerbaren Energien von selbst auf ein sehr niedriges Niveau sinkt, wirkt nicht überzeugend.

Die märchenhafte Welt niedriger Strompreise aus Sonnen- und Windkraft wird möglicherweise niemals erreicht, weil auch nach dem Jahr 2030 die Investitionen in die Verteilernetze und vor allem der hohe Aufwand für Speicher oder für Ersatzkapazitäten finanziert werden müssen und der Strompreis deshalb keineswegs auf dem niedrigen Niveau der reinen Erstellungskosten liegen wird.

Es besteht also das erhebliche Risiko, dass aus einer immerhin milliardenschweren „Übergangs“-hilfe eine dauerhafte Subvention wird, die den staatlichen Haushalt belastet und den Spielraum für andere Vorhaben verringert.

Anders zu bewerten wäre das ebenfalls bereits diskutierte Vorhaben, die Umstellung einzelner Unternehmen auf alternative Energiequellen zu fördern. Dies wäre argumentativ damit zu begründen, dass etwa der Einsatz von (grünem) Wasserstoff vorerst zu teuer und nicht wettbewerbsfähig ist und deshalb ohne staatliche Förderung unterbleiben würde.

Eine solche Förderung wäre somit ein direkter Beitrag zum schnelleren Erreichen der Klimaschutzziele mit dem positiven Nebeneffekt des Erhalts von Arbeitsplätzen.

Strukturkrise verlangt nach grundlegender Verbesserung der Rahmenbedingungen

Die deutsche Wirtschaft ist mit einer tiefgreifenden Strukturkrise konfrontiert. Deren Ursachen sind zum Teil von außen erzwungen, Stichwort De-Globalisierung. Sie ergeben sich aber auch aus disruptiven Brüchen in bisherigen Vorzeigebranchen wie der Automobilindustrie und aus dem politisch gewollten Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045.

Aufgabe der Wirtschaftspolitik muss es deshalb sein, diesen Strukturwandel dadurch zu begleiten, dass die Anpassung der Unternehmen durch angemessene und im globalen Wettbewerb vorteilhafte Rahmenbedingungen erleichtert wird.

Was zu tun ist, ist hinlänglich bekannt: Die Liste reicht von steuerlichen Entlastungen über einen radikalen Bürokratieabbau, eine sehr deutliche Verkürzung von Genehmigungsverfahren, das energische Vorantreiben der Digitalisierung in der staatlichen Verwaltung bis hin zur wirksamen Förderung von Forschung und Bildung.

Dass die Regierung sich tatsächlich bereits dafür feiert, dass Meldepflichten für Hotels entfallen sollen, ist ein wenig hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass die Lage offenbar noch schlechter werden muss, bevor der Mut zum wirklich großen Wurf vorhanden ist.

Maschinenbauer blicken skeptisch auf 2024

Die deutschen Maschinenbauer erwarten denn auch im kommenden Jahr keine durchgreifende Verbesserung ihrer Geschäfte. Zwar habe sich die Situation in den Lieferketten deutlich entspannt, doch hinterlasse der seit Monaten rückläufige Auftragseingang Spuren, erklärte der VDMA am Dienstag.

In einer Umfrage unter den Mitgliedsfirmen hätten 60 Prozent der 700 teilnehmenden Unternehmen angegeben, einen niedrigeren Auftragsbestand als im langjährigen Durchschnitt zu haben. 22 Prozent der Firmen gaben an, dass der Auftragsbestand die Produktion im kommenden Jahr nicht stützen kann, 46 Prozent hätten „wenig stützen“ angekreuzt. Der Verband bekräftigte seine Prognose, wonach die Produktion 2024 um zwei Prozent schrumpfen wird.

„Insbesondere die anhaltende Flut an Bürokratie und neuen Regeln bremst den industriellen Mittelstand und behindert Innovationen und Investitionen“, erklärte der Verband anlässlich seines Maschinenbau-Gipfels in Berlin. In der Umfrage hätten rund drei Viertel der Firmen die Dringlichkeit, die Bürokratiebelastung zu reduzieren, mit „sehr hoch“ bewertet.

Damit liege der Bürokratieabbau in der Rangliste der notwendigen Verbesserungen noch vor der Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften und den Energiepreisen.

Die überwiegend mittelständisch geprägte Branche, zu der auch börsennotierte Konzerne wie Siemens, Gea oder Thyssenkrupp gehören, setzt mehr als 80 Prozent ihrer Maschinen im Ausland ab. In den ersten neun Monaten gingen die Bestellungen insgesamt um 14 Prozent zurück. Dies seien insbesondere die Folgen der hohen Inflation und der Verunsicherung durch Kriege und andere politische Verwerfungen.

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