Eine historische Aufnahme von Bachs Weihnachts-Oratorium mit den Berliner Philharmonikern oder das feierliche „O Du Fröhliche“, am besten von einer unverdächtigen Schelllackplatte, das ginge wohl. Bei Ohrwürmern der Comedian Harmonists kommt es auf das Lied an. „Mein kleiner grüner Kaktus“ stammt der Gassenhauer von Ralf Marbot, und der ist 1974 verstorben, noch keine 70 Jahre her, das kostet Gebühren.
Teuer sind auf jeden Fall Evergreens wie etwa George Michaels Weihnachtssong „Last Christmas“ von Wham! – die Nummer eins an jedem Glühweinstand. „Jingle Bells“ von Frank Sinatra ist auch sehr beliebt und teuer, es gibt aber eine günstige Originalversion, wenn man die noch auf Tonband hat.
Die Beschallung der Märkte könnte für viele Marktbetreiber dieses Weihnachtsfest regelrecht zur Frage der Existenz werden, liest man dieser Tage allenthalben in Regionalzeitungen. Die Unternehmer klagen: Zu teuer! Unmöglich! Geht gar nicht! „800 Euro Gema-Gebühren am Tag, wenn nur 30 Leute die Musik hören“, ärgert sich zum Beispiel Tobias Frietzsche, Betreiber des Weihnachtsmarkt auf der Domäne Dahlem in Berlin. Sein Kollege Hans-Dieter Laubinger von der „Weihnachtszeit vorm Roten Rathaus“, gibt zu Protokoll: „Es macht keinen Spaß mehr, Events zu organisieren bei den hohen Kosten.“ Er will gar keine Musik mehr spielen. Mal sehen, wie die Besucher das so finden in Berlin.
Überall Wut und blankes Entsetzen. Weil die Musikrechte-Gesellschaft Gema seit 2022 spürbar höhere Gebühren erhebt, will die Stadt Frankfurt am Main sogar vor Gericht ziehen, hieß es jüngst in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Statt früher einmal 1000 Euro wie im Jahr 2019 seien nach einer Neuberechnung der Gema nunmehr 40,000 Euro fällig. Angeblich versucht die Gema derzeit mit der Main-Metropole einen Kompromiss auszuhandeln. Das bringt nun Nachahmer auf den Plan.
Gagen oft geringer als die Gema-Rechnung
Allein in Hessen gibt es 71 große städtische Weihnachtsmärkte mit drei Tagen Mindestdauer. Bei neun Märkten wurden Rechnungen korrigiert, drei Städte sollen Einspruch eingelegt haben gegen ihre Gema-Rechnung, heißt es. Die Gema räumt ein, mit einigen Städten zu verhandeln. Als Mittler eingeschaltet ist dabei der Deutsche Städtetag und Gemeindebund (DSTGB). „Eine Einigung hierzu haben wir bisher noch nicht getroffen. Ziel ist es zeitnah, eine deutliche Verbesserung mit Blick auf die Gebühren zu erreichen“, bestätigt deren Vertreter Marc Elxnat. Der Städtetag scheint Umfang und vor allem Auswirkungen des Problems weitgehend unterschätzt zu haben.
Die Stadt Wetzlar plant mit weniger Musik, „um die Kosten in den Griff zu bekomm“, heißt es dort im Rathaus. In Hanau beklagt Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) eine Verzehnfachung der Gema-Gebühren“. Er schließt freilich aus, auf das Singen von Weihnachtsliedern zu verzichten. Viele der Veranstalter bedauern vor allem, dass die verschärften Bedingungen maßgeblich zu Lasten von Musikern und Chören geht. Es könne nämlich passieren, dass deren „Gagen geringer sind als die Gema-Rechnung“. Wer penibel rechnet, hält sich das Bühnen-Programm wohl offen. „Es könne auch noch zu Absagen von Konzerten kommen“, sagen gleich mehrere Veranstalter.
Die Gema verweist auf die schon 2011 vom Bundesgerichtshof (BGH) grundsätzlich geregelte Rechtslage. Und darauf, dass es „obendrein eine Regelung mit dem Bundesvereinigung der Musikveranstalter“ gebe. Der hätten sowohl die Vertreter von Handel und Gaststätten als auch der Deutsche Städtetag und Gemeindebund 2018 zugestimmt. „Klagen werden deshalb keinen Erfolg haben“, heißt es. Man habe „insgesamt 3350 Rechnungen verschickt“. Zur Wehr setzen sich nach Gema-Angaben gerade mal 35 Städte und Kommunen. Der Konfrontationskurs kommt verspätet, wo allen Städten und Kommunen das Problem sukzessive klar wird - und allmählich auch die privaten Betreiber immer zahlreicher in den Klagegesang einstimmen.
„Die Büchse der Pandora ist eröffnet“, räumt Gema-Kommunikationsdirektorin Ursula Goebel selbstkritisch ein, „vielleicht ist unsere Kommunikation im letzten Jahr nicht so gut gelaufen. Sie bestätigt auf Anfrage der Deutschen Wirtschafts Nachrichten (DWN), dass sich in Berlin und München bei der Gema „nun auch private und gemeinnützige Marktbetreiber melden“, die zwar „bislang nicht gegen ihre Bescheide in Widerspruch gegangen“ seien, aber nun gleichwohl „für sich verbesserte Konditionen aushandeln möchten“. Dass es auch für sie Sonderangebote gibt, schließt Goebel aus, die Städte und Kommunen erhalten „20 Prozent Rabatt als Mitglieder des Städtebunds“.
Die Gema-Sprecherin erläutert, wie es ihrer Meinung zum Sturm im Wasserglas gekommen ist. Während der Corona-Epidemie gab es „gar keine Märkte“ und selbst 2021 „zumeist nur in kleinerem Rahmen“. Die Gema freilich nutze diese Übergangsphase, um bei vielen Veranstaltern die Flächenangaben mal im Detail auf Plausibilität zu überprüfen. Und häufig stimmten die Quadratmeterzahlen laut Gema halt nicht. „Es kommt ganz klar auf die beschallte Gesamtfläche des Weihnachtsmarktes an“, betont Ursula Goebel, nicht nur auf die Größe der konzertanten Fläche oder des Bereiches für den DJ oder vor der Bühne. Und genau das sei so von den Richtern des BGH als Maßstab „auch so festgestellt“ worden.
Dass die Diskussion ihre Kreise zieht, ist Goebel natürlich nicht verborgen geblieben. Vor allem die Marktstände sind sauer und schieben öffentlich der Gema den schwarzen Peter zu. Der Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) hat sich in Berlin umgehört. Fazit: Die Marktbetreiber von Alexanderplatz bis zum Schloss Charlottenburg sind regelrecht auf den Barrikaden. Es wird geschimpft, was der Marktplatz hergibt. Am Alexanderplatz und in Spandau soll es demnach stumm bleiben.
Und das amplifiziert sich natürlich auf die Besucher, die sich fragen müssen, ob die Weihnachtsmärkte diesen Winter trostlos und in aller Stille zelebriert werden müssen. Ursula Goebel hat sich vorgenommen, sich diesen Winter auf den Märkten auch in die Diskussion einzumischen. „Ich werde die Aussteller auffordern, doch einmal den Preis einer Bratwurst mit der Abgabe für die Musik zu vergleichen“. Neben den 90,000 Künstlern in Deutschland kommen die Gema-Tantiemen weltweit gut zwei Millionen Urhebern zugute. Die Gema verlangt von den Marktbetreibern dabei, detaillierte Listen mit den gespielten oder aufgeführten Liedern vorzulegen und leitet daraus die errechneten Abgaben an die Urheber-Organisationen anderer Länder ab. Es scheint, als werden diese Weihnachten vielerorts statt „Schöner die Glocken nicht klingen“ eher Misstöne zu vernehmen sein.