Sachsen: 850-jährige Weinbautradition ist in Gefahr
Sonnendurchflutete Täler, pralle Weinreben, Temperaturen jenseits der 30 Grad Celsius und frischer Riesling im Glas — diese Genüsse sind seit Jahrzehnten einer der wichtigsten Pull-Faktoren in Europas nordöstlichstem Weinbaugebiet. Die Rede ist nicht vom Elsass, Baden-Württemberg oder Saale-Unstrut, sondern von Sachsen. Im Landkreis Meißen residieren namhafte Weingüter wie das Schloss Proschwitz, Wackerbarth, Vincenz Richter und die Winzergenossenschaft Meißen. Doch ihr Handwerk ist in Gefahr und droht, durch den Green Deal vernichtet zu werden.
Dabei wird hier seit 850 Jahren Wein angebaut. Die Winzer trotzten der kleinen Eiszeit und schafften es, in gemäßigten bis kalten Zeiten immer das Beste aus ihren Reben zu machen. Mehr als 1.700 Winzer keltern knapp 22.000 Hektoliter Wein jährlich. Doch nicht nur der Verkauf des Weines steigert die Wirtschaftskraft des Freistaats merklich. Auch ziehen die Weingüter zahlreiche Touristen an, aus Deutschland, Polen, aber auch Russland und China. Wie das Meißener Porzellan ist der Wein ein Verkaufsschlager und Publikumsmagnet. Doch das könnte sich schon bald ändern.
Im Rahmen der sogenannten „Farm to Fork“ Strategie soll weitgehend auf Pflanzenschutzmittel verzichtet werden, wenn es nach dem Willen der EU geht. Bis 2030 soll die Menge kommerzieller Pflanzenschutzmittel halbiert werden, aber auch schonende Stoffe wie Kupfer und Schwefel sollen verboten werden. Unter dem Euphemismus der nachhaltigen Verwendung werden Verordnungen wie die Sustainable Use Regulation (SUR) oder die Nature Restauration Law (NRL) durchgesetzt. De facto führen diese Regulären dazu, dass Land- und Ackerbau nur noch bedingt durchgeführt werden können, denn sowohl der Einsatz von Schutzmitteln als auch die Erschließung landwirtschaftlicher Nutzflächen werden zusehends erschwert. So sollen etwa Abstände zwischen einzelnen Pflanzen auf 50 Meter erweitert werden.
All diese willkürlich erscheinenden Verordnungen könnten für Sachsens Weinbau den Todesstoß bedeuten. Anders als auf dünn besiedelten Feldern im Mittelmeerraum, in dem Weinkrankheiten ohnehin seltener auftreten, wird der Wein in Deutschland nahe dicht besiedelten Gebieten angebaut. In Sachsen stehen Weingüter besonders eng an Städten und Dörfern. Schon alleine wegen der Abstandsregeln könnten die Verluste etwa im Falle von Wackerbarth in Radebeul zwischen 50 und 90 Prozent betragen. Insbesondere Steillagen, die von der reflektierten Sonne der Elbe profitieren, könnten bei Inkrafttreten der Gesetze nicht mehr benutzt werden.
Nicht nur der Weinbau, die gesamte Landwirtschaft könnte von den bevorstehenden Neuerungen erschüttert werden. Deutschlandweit wären ungefähr 30 Prozent aller Ackerflächen in Gefahr, sollten diese Verordnungen ohne Nachverhandlungen umgesetzt werden. Somit könnten viele Landwirte nicht mehr in ihren Berufen arbeiten, und sie müssten ihre verbliebenen Produkte auch noch zu deutlich höheren Preisen verkaufen, was angesichts der starken Konkurrenz aus dem Süden Europas verheerende Auswirkungen hätte.
Deutscher Weinbau benötigt „Transformation zu mehr Nachhaltigkeit“
Erwartungsgemäß protestierten Sachsens Winzer. Und sie bekamen Unterstützung von unerwarteter Seite: So versicherte Sachsens Landwirtschaftsminister Wolfram Günther (B´90, Die Grünen), dass der Weinbau in Sachsen erhalten werden solle. Auch Cem Özdemir (B´90, Die Grünen), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, besuchte die Winzer in Radebeul und versicherte ihnen, Lösungen für den bedrohten Weinbau zu finden.
Das mag erfreulich klingen, immerhin kommen Günther und Özdemir dem Ruf ihrer Klientel nach und arbeiten öffentlichkeitswirksam an einem notwendigen Kompromiss, arbeiten zugleich daran, das angeschlagene Image der Grünen im Osten Deutschlands aufzubessern. Es ist aber auch irritierend, da sich beide Minister zuvor noch erfreut über die Abstimmung für das Renaturierungsgesetz gezeigt hatten.
Ebenfalls sind die kurzfristigen Lösungsvorschläge zur Rettung des Weinbaus nur bedingt umsetzbar. Da alternative Schutzmittel wie Schwefel oder Kupfer ebenfalls in ihrer Nutzung reduziert und teilweise verboten werden sollen, liegt es an der Entwicklung neuer, noch sensiblerer Stoffe, um die Natur vor jeglichen Schäden zu bewahren. Wann und ob diese überhaupt kommen, ist derzeit ungewiss.
Auch die Nutzung schädlingsresistenter Reben geht zwar in die richtige Richtung, ist jedoch zu kurz gedacht. So macht die widerstandsfähige Solaris-Rebe nur zwei Prozent aller angebauten Reben in Sachsen aus — die restlichen 98 Prozent müssten also bis 2030 ausgehackt und ersetzt werden, ein Vorgang, bei dem die betroffenen Rebstöcke nicht selten für eine oder zwei Ernten ausfallen. Und selbst wenn diese Transformation gelänge, überlebt auch Solaris keinen Frühling ohne Pflanzenschutzmittel.
Landkreis Meißen verabschiedet geschlossen Resolution
Der Landkreis Meißen verabschiedete indessen geschlossen eine Resolution, die eine maßvolle Regulierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln durch die EU erbittet. Ohne Schutzmittel verkommen die meisten Weine noch im Hochsommer, sodass eine Ernte unmöglich wird. Es ist daher unwahrscheinlich, dass in Deutschland die EU-Verordnungen mit voller Härte durchgesetzt werden. Felix Hößelbarth, Vorsitzender des Weinbauverbandes Sachsen, gibt sich nach dem Besuch Cem Özdemirs positiv: "Ich sehe die Zukunft jetzt schon wieder gelassener,“ sagte Hößelbarth, „ich hoffe auf eine vernünftige Lösung."
Umweltschutz, der in Umweltzerstörung mündet
Es erweist sich im Fall des Renaturierungsgesetzes als Tatsache, dass die grünen Vorstöße zwar oft in die richtige Richtung weisen, im Detail jedoch „unpraktikabel und schwer nachvollziehbar“ sind, wie es in der bereits 2022 veröffentlichten Stockholmer Erklärung von mehreren Landwirten zu vernehmen war. Schon damals warnten die Unterzeichner des Dokuments, dass die gut gemeinten Verordnungen letztlich der Natur eher schaden als nutzen würden.
So müsste beispielsweise ein Forst mit widerstandsresistenten Baumsorten bepflanzt werden, um möglichst hohe Mengen an CO2 zu binden und als Quelle für regeneratives Baumaterial zu dienen. Ein naturbelassener Wald würde hingegen an Befällen etwa des Borkenkäfers zugrundegehen und sich somit weder regenerieren, noch Mensch und Natur dienlich sein. Immerhin scheinen sich aber indessen viele Akteure einig zu sein, dass der Green Deal diverser Nachverhandlungen bedarf.
Es ist allerdings nur schwer nachzuvollziehen, warum die EU Handelsabkommen blockiert, indem sie ihren Partnern unverhältnismäßige Umweltauflagen präsentiert, und gleichzeitig die eigene Industrie in Bedrängnis bringt. Letztendlich könnten diese Regulationen zu einer Preissteigerung aller europäischen Weine führen, sodass günstig importierte Substitute aus Südafrika, Australien oder Kalifornien an Auftrieb gewinnen würden. Unter welchen ökologischen Bedingungen diese jedoch angebaut werden, weiß man noch nicht einmal in Brüssel.