Eine Regierungserklärung ist das Mittel eines Regierungschefs, das Parlament und die Öffentlichkeit über grundlegende Weichenstellungen und Vorhaben einer Regierung zu informieren. Selten war der Informationsbedarf so groß wie jetzt. Denn: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November, das erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik einen Haushalt für nichtig erklärte, ist die Ungewissheit bei den Bürgern und in der Wirtschaft groß: Drohen Steuererhöhungen? – Werden Sozialleistungen gekürzt? – Ist die Rente noch sicher? – Wird die Wirtschaftsförderung noch aufrechterhalten?
Unbeantwortete Fragen
Doch auf alle diese drängenden Fragen, sagte der Bundeskanzler: praktisch nichts. Weitschweifig erklärte Scholz der staunenden Öffentlichkeit die allgemeine Lage, vor die seine Regierung stand und steht: die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise. Und nun der gewaltsame Konflikt im Nahen Osten. All dies hätte seine Regierung dazu bewogen, am regulären Haushalt vorbei Sondervermögen einzurichten, die sich nun nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts als verfassungswidrig herausstellten.
Als Folge des Urteils fehlen der Bundesregierung für den Haushalt für dieses Jahr und erst recht für das nächste Jahr Milliarden. Doch der Bundeskanzler sagte letztlich nichts. In seiner gerade einmal 24 Minuten währenden Rede, verbreitete der Regierungschef Allgemeinplätze, die Bürger und Wirtschaft vollkommen ratlos zurücklassen: Man werde keinen Bürger allein lassen, das Urteil des obersten Gerichts ändere das Leben der Menschen nicht, der Staat komme auch weiterhin seinen Pflichten nach und erledige die laufenden Aufgaben: Jedoch: Wie die Regierung Scholz das alles bezahlen wolle, erfuhr die zunehmend verunsicherte Bevölkerung nicht. Zumal es immer offensichtlicher wird, dass sich die drei Koalitionspartner völlig uneins sind, welche haushaltspolitischen Schlussfolgerungen sie aus dem Urteil ziehen wollen.
Unklarheit über den Kurs
Diese unterschiedlichen Sichtweisen wurden für einen kurzen Moment deutlich, als Scholz einmal in seiner Rede, ganz allgemein und vage darauf hindeutete, dass die Konsolidierung des Haushaltes ohne Kürzung der Ausgaben wohl nicht möglich sein werde. Lediglich die Abgeordneten der FDP applaudierten – bei den anderen Koalitionspartnern Grüne und SPD rührte sich keine Hand. Doch auch an diesem Punkt blieb es beim Allgemeinen: Weder sagte Scholz, welche Ausgaben gekürzt werden müssen, noch in welchem Umfang dies geschehen solle.
Auf der anderen Seite legte Scholz dar, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nach seiner Interpretation bedeute, dass eine Notlage immer jährlich neu begründet werden müsse, um die Schuldenbremse umgehen zu können. Beobachter werten dies, dass Scholz versuchen könnte, auch bei der Aufstellung des Haushaltes 2024 eine Notlage zu erklären, um so erneut zusätzliche Schulden aufnehmen zu können. Dies allerdings würde bedeuten, dass dann die FDP alle Versprechen brechen müsste, die sie im Hinblick auf die strikte Einhaltung der Schuldenbremse zuvor gegeben hatte.
Damit wird offenbar, dass die Koalition auch zwei Wochen nach der Verkündung des Urteils noch keine Linie gefunden hat, wie sie vor allem den Haushalt für das Jahr 2024 aufstellen soll. Während die FDP auf ein Ende des Verschuldungskurses drängt, möchten SPD und Grüne von Ausgabenkürzungen weiterhin nichts wissen. Dabei hoffen sie teilweise auch auf die Unterstützung von CDU-Regierungschefs in den Ländern, die an ihrem Kurs der fortwährenden Verschuldung festhalten wollen.
Klarstellung von Merz
In seiner Replik hatte allerdings der Oppositionsführer, Unionsfraktionschef Friedrich Merz, klargestellt, dass die Unionsfraktion im Bundestag nicht daran dächte, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse aufzuweichen. „Über die Schuldenbremse wird im Bundestag entschieden“, sagte Merz in seiner Rede, „und nicht im Berliner Rathaus“. Dies war ein deutlicher Hinweis, dass er dem Drängen des Regierenden Bürgermeisters Berlins, Kai Wegner (CDU), nicht nachgeben werde. Wegner, der aufgrund seiner Schuldenpolitik massiv vom Landesrechnungshof kritisiert wird, braucht dringend frisches Geld und fordert deshalb ein Lockern der Schuldenbremse.
Mit der Regierungserklärung ist es Bundeskanzler Scholz nach dem Eindruck fast aller Beobachter nicht gelungen, Zuversicht und Vertrauen in seine Handlungsfähigkeit zu vermitteln. In einer jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstitut INSA rutscht Scholz in der Beliebtheit auf Platz 17 (von 20). Hinter ihm sind nur noch Tino Chrupalla (AfD), die glücklose Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und die Chefin der Linkspartei, Janine Wissler.