Europa will zum ersten klimaneutralen Kontinent werden. Die Ziele sind groß, doch der Weg ist holperig, denn neben den Klima-Herausforderungen gibt es noch den Krieg in der Ukraine, der ebenso Ressourcen der Europäischen Union beansprucht.
Die finanziellen Mittel müssen für beides reichen. Sei es der „Europäische Green Deal“, das „EU-Klimaschutzpaket Fit For 55“ oder die „EU-Mission zur Anpassung an den Klimawandel“, der Weg in eine grüne Zukunft kann nur gemeinsam gelingen. Dafür benötigt es die gebündelte Kraft und das Knowhow von vielen Akteuren. Nun startet ein neues gemeinsames Projekt: metaCCAZE.
Der Startschuss fiel zu Beginn des neuen Jahres. Es ist ein Innovationsprojekt. 43 Organisationen aus zwölf europäischen Ländern haben sich zusammengetan, um dem Ziel emissionsfreie und lebenswerte Städte ein Stück weit näher zu rücken. Dafür ziehen die Wissenschaft, Industrie und der öffentliche Sektor an einem Strang. Der Name des nahezu unaussprechlichen Projekts „metaCCAZE“ steht für nutzerorientierte, elektrische, automatisierte, vernetzte Mobilität und Infrastruktur.
Das Projekt zielt darauf ab, sechs übertragbare und innovative urbane Mobilitätstechnologien zu entwickeln, deren Potenzial in vier Städten (Amsterdam, München, Limassol, Tampere) getestet und umfassend demonstriert werden. Bei Erfolg sollen diese auf sechs Folge-Städte (Athen, Krakau, Gozo, Mailand, Miskolc, Region Paris) übertragen werden.
München mit starken Technologiesektor
München kam in die Auswahl, da es über einen starken Technologiesektor mit zahlreichen Hightech-Unternehmen und Start-ups verfügt. „Diese industrielle Kompetenz bietet einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung und Umsetzung innovativer Lösungen für Klimaneutralität und Smart City Lösungen. Darüber hinaus hat die Stadt München durch verschiedene politische Maßnahmen und Initiativen ihr Engagement für Nachhaltigkeit und Klimaschutz unter Beweis gestellt“, rechtfertigt Fabian Fehn von der Technischen Universität München, die Standortwahl. Dafür sollen zwei Stellen im Mobilitätsreferat für die Projektlaufzeit von drei Jahren angesetzt werden. Der Lehrstuhl für Verkehrstechnik der TUM ist in allen fünf Kernthemen (Säulen) des metaCCAZE Forschungsprojektes involviert. München beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Thema City Logistik.
Geplant sind drei Anwendungsfälle. Erstens, der Aufbau und Betrieb eines Netzes multimodaler Logistikknotenpunkte, um Güterverteilzentren und Endverbraucher besser zu verbinden und die Zustellung auf der letzten Meile vornehmlich aufs Lastenrad zu verlagern. Zweitens, der Einsatz und Betrieb von Mini-Elektrofahrzeugen für die Zustellung von Paketen auf der letzten Meile. Dies beinhaltet ein vernetztes, automatisiertes Elektrofahrzeug, welches im Laufe des Projektes an der TUM entwickelt wird. Zu guter Letzt die Einführung eines dynamischen Bordsteinmanagementsystems, das auf einer detaillierten Kartierung von Bordsteinkanten und öffentlichem Raum, Geofencing-Funktionen (löst automatisch Signale aus, beim Überschreiten eines bestimmten Bereichs) und Buchungsfunktionen beruht. Dieses System soll unter anderem dazu genutzt werden, Ladevorgänge von Elektrofahrzeugen, intelligentes Parkraummanagement im öffentlichen Raum, das Be- und Entladen von Logistik- und Handwerkerfahrzeugen, sowie das Ein- und Aussteigen von Fahrgästen sogenannter „Mobility on-Demand Systeme“ zu vereinfachen und intelligent zu strukturieren.
Die Städte der Zukunft beruhen auf Daten und Technik. So plant der Lehrstuhl für Verkehrstechnik der TUM München neue Erkenntnisse im Bereich Verkehrssimulation und Management, Betrieb und Planung intelligenter Verkehrssysteme beizusteuern. „Dabei wird der Lehrstuhl das Flottensimulationstool „FleetPy“ zum Einsatz bringen und neben den geplanten Logistikprozessen auch den integrierten Transport von Passagieren und Paketen in einem Mobility on-Demand System („Ride Parcel Pooling“) simulieren“, erklärt Fehn das Vorhaben.
Straffe Ziele – unrealistischer Zeitplan
Bis 2030 sollen nach und nach 100 klimaneutrale Städte in Europa entstehen. Der Kontinent möchte sich von den fossilen Energien verabschieden. 42,5 Prozent plant die EU aus erneuerbaren Energien bis dahin zu beziehen. Bis 2040 ist das Ziel europaweit 88 Prozent der Emissionen gegenüber 1990 einzusparen. Doch noch liegen nicht die Klima- und Energiepläne aller nationaler Regierungen dazu vor. Im Bereich Energieverbrauch gehören Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande und Österreich zu den schwarzen Schafen. Auf diese Länder, so Kadri Simson, EU-Kommissarin für Energie, in einem Interview für den Deutschlandfunk, entfallen aktuell die Hälfte des Stromverbrauchs in der EU. Diese Länder hätten bereits angekündigt, ihre Stromerzeugung bis 2035 weitestgehend CO₂-frei zu machen. Ob das bis dahin gelingen mag, sei dahingestellt. Kein einziges Land in der EU wäre aktuell in der Lage die Klimaziele für 2040 zu erfüllen. Die Ausgangslage in vielen Ländern offenbart ein Bild, das wenig mit Energiesparen zu tun hat. 40 Prozent der Verteilernetze sind älter als 40 Jahre. Simson nennt als Beispiel die Offshore-Windparks in der Nordsee. Wenn diese ab 2030 die grünen Kraftwerke sein sollen, so müssen zehntausende Kilometer Unterseekabel neu verlegt werden, um den grünen Strom in die Haushalte und zu den Nutzern zu transportieren. Gleichzeitig wird aber auch über das Potential der Kernenergie in Form von Miniatomkraftwerken nachgedacht. Zehn EU-Staaten untersuchen derzeit die wirtschaftliche Tragfähigkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit kleiner Atomreaktoren. Simson hat dafür eine EU-Industrieallianz ins Leben gerufen. Atomstrom und CO₂-Neutralität sollen eine neue Freundschaft schließen. Die Ära des Atomstroms könnte in Deutschland eine Wende nehmen.
Auf der einen Seite werden die enormen, auch finanziellen, Anstrengungen deutlich gemacht, die von Nöten sind, um Europa in die grüne Zone zu rücken. Auf der anderen Seite steht die frische Ankündigung im Raum 2,1 Milliarden Euro für das EU-Projekt „Horizon Europe“ zusammenzustreichen, welches unter anderem auch die Bewältigung globaler Herausforderungen mit dem Themen Klima, Energie und Mobilität auf der Agenda hat. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich darauf geeinigt, den Haushalt von „Horizont Europa“ in Höhe von 95,5 Milliarden Euro um 2,1 Milliarden Euro zu kürzen und 1,5 Milliarden Euro in die Verteidigungsforschung umzuleiten. Die Kürzung der Mittel für das Forschungsprogramm ist laut Aussage nötig, um die steigenden Kosten für die Unterstützung der Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland zu decken. Entscheidungen wie diese zeigen wie aktuell Prioritäten neu bewertet werden müssen. Ein eskalierender Krieg hat Vorrang vor allen anderen Herausforderungen, auch wenn die ambitionierten Ziele von Klimaneutralität dadurch womöglich noch weiter in die Ferne rücken. Ein weltweiter Krieg würde neue Herausforderungen schaffen und Klimaziele in den Schatten stellen. Entscheidungen wie diese sind sicherlich nicht leicht, zeigen aber deutlich, welche Gefahr dem aktuellen Krieg beigemessen wird.
Limassol setzt auf weniger Verkehr und KI
Das Projektbudget von MetaCCAZE erscheint mit 24,7 Millionen Euro wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Klimastadtverträge sehen Klimaneutralität in allen Sektoren wie Energie, Gebäude, Abfallwirtschaft und Verkehr vor. Die Bürger sollen daran beteiligt werden.
Im Rahmen des Projekts wird zum Beispiel die Stadtverwaltung von Limassol zusammen mit anderen lokalen Partnern eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsbelastung und zur Verringerung der Nutzung von Privatfahrzeugen durchführen. Dazu gehört der Bau von zwei Mobilitätsknotenpunkten, nicht wirklich etwas Neues. Als „Park and Ride“ gibt es diese Angebote bereits seit vielen Jahren in anderen Städten. Sie bietet den Bürgern die Möglichkeit ihre Autos an peripheren Punkten zu parken und ihre Fahrt mit öffentlichen Bussen, Fahrrädern oder Rollern in Richtung Stadtzentrum fortzusetzen.
Weiterhin ist die Bereitstellung eines Abrufdienstes für die Beförderung von Schülern zu außerschulischen Aktivitäten geplant. Die Schüler und ihre Eltern können über eine App Minibusse anrufen, die ausschließlich von den Schülern für die Fahrt zu und von ihren außerschulischen Aktivitäten genutzt werden können. Die zu entwickelnde Plattform wird künstliche Intelligenz nutzen, um die optimalen Routen für die Schüler zu finden. Auch soll eine Plattform für Schulen die Beförderung der Schüler besser koordinieren und die Auslastung der Elternfahrzeuge erhöhen. Intelligente Systeme sind für die Busflotte und mobilen Leihräder geplant. All diese Maßnahmen werden in enger Zusammenarbeit mit den Bürgern und den lokalen und staatlichen Behörden entwickelt, damit die durchgeführten Maßnahmen den Bedürfnissen der Bürger entsprechen.
Ziel des Projektes ist es, die entwickelten Lösungen am Markt einzuführen und dauerhaft zu etablieren.