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Gipfel für die Kernkraft: Brüsseler Treffen gibt der atomaren Zukunft eine Zukunft

Lesezeit: 4 min
21.03.2024 08:37  Aktualisiert: 21.03.2024 08:37
Während in Deutschland keine Meiler mehr am Netz sind, wird andernorts an der atomaren Renaissance gearbeitet. 30 Staats- und Regierungschefs wollen die Atomkraft voranbringen - auch für mehr Klimaschutz.
Gipfel für die Kernkraft:  Brüsseler Treffen gibt der atomaren Zukunft eine Zukunft
Andre Knapp, Leiter im Atomkraftwerk Neckarwestheim steht im Reaktorgebäude des Block 2 neben dem Abklingbecken, in dem sich verbrauchte Brennelemente befinden. (Foto: dpa)
Foto: Marijan Murat

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Bei der Frage zur Zukunft der Atomenergie geht ein Riss durch Europa. Während in Deutschland im April 2023 der einst von CDU und CSU (mit)beschlossene Atomausstieg mit leichter Verzögerung umgesetzt wurde, gehen andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) einen anderen Weg.

Rund 30 Staaten wollen sich weltweit für den schnelleren Ausbau und eine einfachere Finanzierung von Atomkraftwerken einsetzen. „Wir verpflichten uns dazu, das Potenzial der Nuklearenergie voll auszuschöpfen", hieß es in der gemeinsamen Erklärung, die auf dem ersten internationalen Gipfeltreffen für Atomenergie in Brüssel verabschiedet wurde.

Strom aus Atomkraftwerken sei für die Verringerung klimaschädlicher CO2-Emissionen unerlässlich, hieß es weiter. An dem Treffen nahmen unter anderem Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, den Niederlanden und Polen sowie hochrangige Vertreter aus den USA, China und Japan teil. Die Politiker sprachen sich in ihrer Erklärung nicht nur für den Bau neuer AKW, sondern auch für die Verlängerung der Lebenszeit bestehender Anlagen aus. Außerdem plädierten sie für den raschen Einsatz neuerer und kleinerer Reaktoren.

Die Teilnehmer riefen internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank dazu auf, Atomprojekte verstärkt zu unterstützen und deuteten an, dass andere alternative Energieträger aus ihrer Sicht von Entwicklungsbanken bislang bevorzugt behandelt würden. Deutschland, das den Atomausstieg vollzogen hat, nahm nicht an dem Treffen teil, das von einem Protest der Umweltorganisation Greenpeace begleitet wurde. Weltweit sind der Internationalen Atomenergiebehörde zufolge 415 Reaktoren zur Stromproduktion in Betrieb. Bereits bei der Weltklimakonferenz Ende2023 hatten rund 20 Staaten angekündigt, die Kapazitäten zur Atomenergieerzeugung bis 2050 zu verdreifachen.

Warum jetzt dieses Gipfeltreffen?

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und die derzeitige EU-Ratspräsidentschaft Belgien luden zu dem Treffen. „Es geht nicht darum, einfach die Atomenergie zu feiern", sagt IAEA-Chef Rafael Grossi im Vorfeld. Es gehe darum, Themen im Kontext der Beibehaltung oder des Ausbaus von Atomkraft zu besprechen - etwa die Frage, wie AKW-Projekte leichter finanziert werden könnten, erklärt Grossi. Es sei eine Veranstaltung, die ausdrücke, dass die Kernenergie angesichts des steigenden Energiebedarfs „ein Teil des Puzzles" ist, meinte Belgiens Premierminister Alexander De Croo jüngst.

Wer nahm an dem Treffen teil?

Deutschland sitzt nicht mit am Tisch. Neben De Croo werden mehr aber als 30 weitere Staats- und Regierungschefs erwartet, die an der Kernkraft festhalten wollen. Unter anderem der französische Präsident Emmanuel Macron, sein finnischer Kollege Petteri Orpo, aus Tschechien Petr Fiala und aus Ungarn Viktor Orban. Erwartet werden auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie EU-Ratspräsident Charles Michel.

Das Bundesumweltministerium gibt sich betont gelassen: „Dass es unter den EU-Mitgliedstaaten bezüglich der Atomkraftnutzung unterschiedliche Sichtweisen gibt, ist bekannt und wird gegenseitig respektiert", sagte ein Sprecher. Deutschland habe mit seinem Ausstieg den Kreis der atomkritischen EU-Mitgliedstaaten gestärkt.

Wie wird in Europa die Kernkraft genutzt?

Aktuell werden in zwölf der 27 Mitgliedstaaten Atommeiler betrieben, in der Slowakei und in Frankreich befinden sich gar zwei neue Kernkraftwerke in Bau. Als Reaktion auf die geänderten Rahmenbedingungen infolge des Ukrainekriegs hat Belgien den beschlossenen Ausstieg auf 2035 verschoben, Spanien hält am Ausstieg fest. Die mit Abstand meisten Meiler gibt es in Frankreich. Auch Polen beabsichtigt ein Kernenergieprogramm neu zu starten, Tschechien plant ebenfalls den Neubau von Meilern, wie viele, ist noch unklar.

Warum hat Frankreich eine Sonderrolle?

56 der 100 Atomkraftwerke in Europa sind in Frankreich. Grundsätzlich wird der Bau von 14 oder möglicherweise noch mehr neuer Anlagen in Erwägung gezogen. Außerdem soll die Laufzeit bestehender Kraftwerke verlängert werden, wenn die Sicherheit dies zulässt. Jedoch zeigt sich hier auch, wie schwierig der Neubau ist: Mitte 2024 soll in Flamanville in der Normandie ein neuer Meiler ans Netz gehen - mehr als 16 Jahre nach Baubeginn und mit geschätzten Kosten in Höhe von 13,2 Milliarden Euro viermal so teuer wie vorgesehen.

Als Atommacht setzt Frankreich aber nicht nur aus Gründen der Energieversorgung auf die Kernkraft: Erst kürzlich hat Frankreichs Verteidigungsministerium angekündigt, in zwei Reaktoren des AKW Civaux in Zentralfrankreich Material, das Lithium enthält, anreichern zu wollen. Im Anschluss solle daraus das seltene Gas Tritium gewonnen werden, das für Abschreckungswaffen gebraucht werde.

Wie ist die Lage in den USA und weltweit?

Derzeit sind laut IAEA weltweit 415 Atomreaktoren in Betrieb. Die USA sind nach Angaben der Lobbyorganisation WNA der weltweit größte Produzent von Kernenergie, gefolgt von China und Frankreich. In der amerikanischen Bevölkerung ist die Unterstützung für Atomstrom gewachsen, wohl auch wegen steigender Öl- und Gaspreise. Laut Umfragen spricht sich eine Mehrheit für die Nutzung von Kernenergie aus. Nach Angaben der US-Energieinformationsbehörde EIA waren landesweit (August 2023) 94 Reaktoren im Einsatz. China und Indien treiben derzeit den Ausbau von Kernkraftwerken am aktivsten voran.

Wie ist die Situation in Deutschland?

Trotz des vollzogenen Atomausstiegs gibt es Rufe nach einem Wiedereinstieg. CDU und CSU machen sich dafür ebenso stark wie FDP und AfD. Dagegen betonen SPD und Grüne, dass die Atomkraft keine Zukunft hat und vielmehr der Ausbau der erneuerbaren Energien auch aus Kostengründen vorangetrieben werden müsse. Kanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte im vergangenen Jahr, wer neue Atomkraftwerke fordere, verkenne die langen Bauzeiten, die hohen Kosten und eine Fertigstellung „irgendwie Ende der 30er-Jahre mit Strompreisen, die beim Doppelten bis Dreifachen dessen liegen, was wir bezahlen müssen mit den erneuerbaren Energien, die wir dann längst flächendeckend ausgebaut haben".

Aus dem Wirtschaftsministerium hieß es zudem, dass der Atomausstieg keine negativen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in Deutschland hatte. Das Umweltministerium betonte: „Der Atomausstieg macht unser Land sicherer, die Risiken der Atomkraft sind letztlich unbeherrschbar."

Welche Erwartungen haben die Befürworter?

Die Internationale Energieagentur (IEA) misst der Kernkraft beim Klimaschutz eine Schlüsselrolle zu. Bei der Weltklimakonferenz Ende vergangenen Jahres hatten zudem rund 20 Staaten angekündigt, zum Wohle des Klimas die Energieerzeugung aus Atomkraft hochschrauben zu wollen. Bis zum Jahr 2050 sollten die Kapazitäten verdreifacht werden, hieß es in einer Erklärung, die unter anderem von Frankreich und den USA unterzeichnet wurde. Auch Kanada, Japan, Großbritannien und andere europäische Länder schlossen sich dem Pakt an. Dafür müsste die aktuelle Kapazität von gut 370 Gigawatt um etwa 740 GW ausgebaut werden. Die IEA hat jedoch darauf hingewiesen, dass die Gesamtleistung aller im Bau befindlichen und geplanten Reaktoren dazu bei Weitem nicht ausreicht.

Warum ist Atomkraft umstritten?

Vor allem wegen der hohen Risiken, wie die Reaktorkatastrophen im damals zur Sowjetunion gehörenden Tschernobyl und im japanischen Fukushima gezeigt haben. Experten sagen zudem, dass ohne staatliche Subventionen die Kosten niemals wirtschaftlich seien. Da die Uranvorkommen auch endlich sind, erwarten Fachleute auch hier stark steigende Preise und wegen der langen Bauzeiten der Meiler sei die Technologie nicht geeignet, im Kampf gegen die Klimakrise etwas zu bewirken. Hinzu kommt die nicht gelöste Frage der Endlagerung des radioaktiven Abfalls. (dpa)


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