Der Kanzler zaudert und hat noch vergangene Woche erklärt, er begegne Überlegungen, die derzeitige Struktur des Bundesverfassungsgerichtes zu verändern, mit Skepsis. Es scheint so, als würde Olaf Scholz (SPD) mal wieder die eigene Koalition links wie rechts überholen wollen.
Denn sowohl Vertreter der Ampel-Regierung als auch der Union sind scheinbar auf bestem Wege, sich auf eine institutionelle Stärkung der Richter in Karlsruhe als Hüter der Verfassung im Lande zu verständigen. Die Parteien wollen das Schiff der Demokratie wetterfest gegen etwaige Angriffe extremistischer Parteien machen.
Justizminister begrüßt Haltung der Union
Die Gespräche sind ganz offenkundig in vollem Schwung - vertraulich zwar, aber vernehmlich. Marco Buschmann, der Bundesjustizminister von der FDP, dessen Ministerium federführend dabei ist, Vorschläge auszuarbeiten, wie das hohe Gericht in Zukunft besser geschützt werden kann, begrüßte jetzt ausdrücklich die konstruktive Haltung der Union. „Ich freue mich sehr darüber, dass die Union an den Verhandlungstisch zurückgekehrt ist", sagte Buschmann am Donnerstag in einem Interview. Es gehe darum, „die notwendigen Mehrheiten zu organisieren, um die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz stärker zu verankern."
Buschmann hat bereits einen ersten zwölfseitigen Gesetzentwurf vorgelegt. Dem Minister zufolge ist es „ein Arbeitsdokument", auf dessen Grundlage diskutiert und beraten werde derzeit. Demnach sollen die beiden Senate als einzige Kammern des Gerichts festgeschrieben werden, die Wahl der jeweils acht Richter durch Bundestag und Bundesrat gesichert sowie deren Amtszeit von zwölf Jahren und die Altersgrenze von 68 Jahren verbindlich geregelt bleiben. Laut Gesetzesentwurf hinzugefügt wird außerdem der Satz: „Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie die Gerichte und Behörden." Einem Coup d'État durch die kalte Küche soll so gewissermaßen vorgebeugt werden.
Der FDP-Politiker betonte, dass es in der Sache um „unsere gemeinsame gesamtpolitische Verantwortung als seriöse Demokaten" gehe. Dies wiege deutlich schwerer als „parteipolitische Auseinandersetzungen". Ohne dies extra zu sagen, wendet sich dies natürlich vor allem gegen die AfD, deren Vertreter bereits in aller Öffentlichkeit angekündigt haben, dass sie sich einen Umbau unseres Staates und Gemeinwesens vorgenommen haben.
Wie schnell nämlich knappe politische Mehrheiten ein Parlament und ein Staatswesen gefährden können, hat man zuletzt am Beispiel Polens sehen können, wo die regierende Pis-Partei von Jaroslaw Kaczynski konsequent Schlüsselbereiche einer funktionierenden Demokratie wie Medien und Gerichte mit Gefolgsleuten in Stellung und auf Kurs gebracht hatte. Dass dies extremistische Politiker wie der AfD-Politiker Björn Hocke als Blaupause auffassen können, wollen die bürgerlichen Parteien möglichst verhindern.
Sich damit angreifbar zu machen für Kritik, wollen sie gleichwohl in Kauf nehmen, so scheint es. Besser den Staat schützen und seine Institutionen absichern, als der drohenden Debatte aus dem Weg gehen, heißt wohl die neue Devise in Berlin. Buschmann sagt dazu: „Die traurige Erfahrung in Polen, in Ungarn und teilweise auch in Israel ist, dass Verfassungsgerichte schnell politische Angriffsziele sein können."
Für Richterbund ist Justiz Bollwerk der Demokratie
Inzwischen hat auch der Deutsche Richterbund die Pläne zum besseren Schutz des Verfassungsgerichts begrüßt. Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Richterbunds, gab zu Protokoll: „Eine bessere Absicherung kann aber nur ein erster Schritt sein, um den Rechtsstaat insgesamt wehrhafter gegen Extremisten aufzustellen. Es braucht jetzt auch in den Ländern politische Institutionen, um die Justiz besser vor parteipolitischen Durchgriffen zu schützen und sie als Bollwerk der Demokratie zu stärken."
Darauf zu hoffen, dass das schon irgendwie wird, sei „kein Ersatz für vorausschauende Politik", sagte Rebehn. Er ließ aber offen, wer in der Bundesregierung sein Adressat ist. Olaf Scholz gab sich zuletzt ja so zurückhaltend, weil er „fest davon überzeugt" sei, besser nicht „das Narrativ der Rechten und Rechtsextremen zu bedienen, dass sie schon auf der Siegerstraße gehen". Die Debatte über das Bundesverfassungsgericht, für dessen Stärkung eine breite Zweidrittel-Mehrheit im Parlament erforderlich wäre, tat der Kanzler sogar als „Nebenkriegsschauplatz" ab - in seiner Koalition scheinen dies viele mal wieder völlig anders einzuschätzen.