Das Brexit-Votum hat über die Grenzen des Vereinigten Königreichs hinaus Wellen geschlagen, indem es europaweit den Ruf nach mehr Bürgerbeteiligung verstärkt hat. In diesem Kontext hat die Alternative für Deutschland (AfD) die Idee einer Volksabstimmung über einen EU-Austritt Deutschlands ins Spiel gebracht.
Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD, betrachtet das britische Beispiel als richtungsweisend und plädiert für tiefgreifende Reformen innerhalb der EU. Sie stellt klar: Sollten solche Reformen unerreichbar bleiben, sollte das Volk über Deutschlands EU-Zukunft entscheiden dürfen.
„Wir könnten ein Referendum abhalten – über den deutschen Ausstieg aus der EU“, so Weidel. Ursprünglich vertrat die Partei die Idee einer „geordneten Auflösung der EU“, nahm jedoch später von diesem Ansatz Abstand.
Die rechtliche Lage: Erlaubt das Grundgesetz Volksabstimmungen zum EU-Austritt?
Doch wie wahrscheinlich ist ein solches Referendum? Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, der die Abgeordneten berät, hat sich in die Untiefen unserer Verfassung vorgewagt, um eine Antwort zu finden.
Laut den Experten gibt es in der deutschen Verfassung keine Grundlage für ein Referendum. „Den Begriff des Referendums kennt das Grundgesetz nicht“, so die Ausführungen ihrer aktuellen Kurzinformation. Der Artikel 20 des Grundgesetzes (GG) spricht zwar von der Macht des Volkes, die durch Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird, aber ein EU-Austritt? Fehlanzeige.
Für verbindliche Volksentscheide bedarf es einer Verfassungsänderung!
Doch das bedeutet nicht, dass der Weg für immer versperrt ist. Theoretisch könnte das Grundgesetz geändert werden, um eine Volksentscheidung zu ermöglichen. Die sogenannte Ewigkeitsklausel in Artikel 79 des Grundgesetzes, die die grundlegenden Prinzipien unserer Demokratie schützt, würde einer solchen Erweiterung nicht im Weg stehen. Allerdings bedarf eine Verfassungsänderung der breiten Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Die nötige Zweidrittelmehrheit für solch fundamentale Veränderungen ist eine Hürde, die nur schwer erreichbar scheint.
Weitere rechtliche Voraussetzungen für einen EU-Austritt
Außerdem verbietet das Grundgesetz einen Austritt aus der EU, solange es nicht geändert wird. Nach den derzeitigen Regeln, wie sie Artikel 23 des Grundgesetzes formuliert, ist Deutschland ein aktiver Gestalter der EU - und ein Alleingang aus dem Staatenbund ist rechtlich nicht vorgesehen! Nicht nur, dass es einer gesetzlichen Grundlage entbehrt – das Bundesverfassungsgericht unterstreicht, dass Deutschland verpflichtet ist, zum Zusammenwachsen Europas beizutragen.
Es ist also nicht einfach nach Belieben möglich, sich von der EU zu trennen. Ein EU-Austritt ähnelt dem Szenario, dass ein Bundesland versucht, sich aus Deutschland zu lösen – nahezu undenkbar. Auch eine solche Verfassungsänderung bedürfte einer breiten politischen Mehrheit, die kaum denkbar erscheint. Somit bleibt die Möglichkeit einer bindenden Volksentscheidung zum EU-Austritt Deutschlands vorerst eine theoretische Überlegung, die von verfassungsrechtlichen Schranken begleitet wird.
Wachsende EU-Skepsis in Europa: Eine Herausforderung für Parteien und Wirtschaft
Aktuell befindet sich die AfD im Fokus der EU-skeptischen Diskussion in Deutschland, mit Forderungen nach einer grundlegenden Transformation der Union hin zu einem „Bund europäischer Nationen“. Ihr Ziel: Mehr nationale Autonomie und ein Gegenentwurf zum föderalen Europa. Keine der anderen etablierten Parteien in Deutschland stellt ähnliche Forderungen. Die AfD stellt also in dieser Hinsicht eine Ausnahme im deutschen politischen Spektrum dar.
Insgesamt verstärkt sich in Europa der Trend zur Unterstützung rechter und EU-skeptischer Kräfte. Beispiele hierfür sind Italien unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, sowie die politischen Entwicklungen in Finnland und Griechenland. Auch in anderen Ländern könnte sich ein ähnlicher politischer Wandel anbahnen. Es ist daher anzunehmen, dass die Europa-Kritik weiter zunehmen wird.
Das Für- und Wider eines EU-Austritts Deutschlands
Die politischen Strömungen spiegeln eine Stimmung wider, die auch die Wirtschaft erfasst. Laut dem neuesten Unternehmensbarometer der Industrie- und Handelskammer (DIHK) zur Europawahl betrachten Firmen die EU zunehmend skeptischer. Eine kritische Haltung gegenüber der EU scheint sich auch in der wirtschaftlichen Landschaft zu etablieren.
Was würde ein EU-Austritt für Deutschland bedeuten? In der Debatte prallen zwei Welten aufeinander: Befürworter des „Dexit" sehen darin die Chance für Deutschland, wieder das Ruder in der eigenen Hand zu halten – gerade in Kernfragen der Rechtsprechung und Einwanderung. Sie malen das Bild eines Landes, das unabhängig agiert, selbstbestimmte Handelsverträge schließt und sich von den finanziellen und regulativen Fesseln der EU befreit, was, so die Hoffnung, zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führt.
Kritiker hingegen warnen, dass ein „Dexit“ zu erheblichen wirtschaftlichen Turbulenzen führen könnte, darunter eine Destabilisierung der Handelsbeziehungen und potenzielle Investitionsrückgänge. Sie betonen, wie sehr Deutschlands Export vom Zugang zum EU-Binnenmarkt abhängt und befürchten den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze sowie Einbrüche im Bruttoinlandsprodukt. Die Finanzmärkte könnten durch diese politischen Unsicherheiten in heftige Schwankungen geraten, was wiederum Kredite und staatliche Finanzierungen verteuern würde. Dies zeigt: Die Frage eines EU-Austritts bleibt eine komplexe Angelegenheit mit weitreichenden Konsequenzen in vielen Bereichen.