Politik

Steinmeier reist mit Dönerspieß und Imbissbesitzer in die Türkei

Lesezeit: 3 min
22.04.2024 14:09  Aktualisiert: 22.04.2024 14:09
Zehn Jahre ist es her, dass ein Bundespräsident der Türkei einen Besuch abgestattet hat. Jetzt reist Frank-Walter Steinmeier an den Bosporus. Er will nicht nur auf die offiziellen Beziehungen schauen. Ein Anflug von Döner-Diplomatie.
Steinmeier reist mit Dönerspieß und Imbissbesitzer in die Türkei
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kommt auf dem Flughafen Istanbul an. Anlass der Reise ist das 100. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. (Foto: dpa)
Foto: Bernd von Jutrczenka

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Ein 60 Kilo schwerer und tiefgefrorener Dönerspieß - eine solche Fracht dürfte noch nie an Bord einer deutschen Präsidentenmaschine bei einer Auslandsreise gewesen sein. Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Montag mit einem Airbus A350 der Flugbereitschaft der Bundeswehr in Istanbul landete, brachte er genau das mit - und den dazugehörenden Imbissbuden-Besitzer aus Berlin. In dritter Generation betreibt Arif Keles seinen Döner-Imbiss. Steinmeier nahm ihn und eine Reihe weiterer Gäste als Beispiele für deutsch-türkische Migrationsgeschichten mit.

„Jemand aus dem Bundespräsidialamt hat mich angerufen, er wollte auf einen Kaffee vorbeikommen und hat mir von der Idee erzählt, mich mit auf den Staatsbesuch zu nehmen. Ich dachte nur: Was für eine Ehre!", sagte Keles vor Beginn der Reise. Nach der Landung machte er sich auf den Weg in die Sommerresidenz des deutschen Botschafters, wo er am Abend seinen Döner bei einem Empfang den Gästen servieren wollte. Keles ist in Berlin kein Unbekannter - bei ihm kehrten auch schon mal die Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft ein.

Der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu sagte Keles, er sei dankbar für die Reise: „Das ist sehr schön." Er brachte neben dem Dönerspieß auch die Soßen mit. In der Türkei wird Döner oft als Portion zusammen mit Reis gegessen. Verschiedene Soßen, die den Döner im Fladenbrot in Deutschland ausmachen, gibt es in der Türkei so nicht. Unter den weiteren Gästen war beispielsweise Belit Onay, Sohn türkischer Einwanderer und seit 2019 Grünen-Oberbürgermeister von Hannover. Oder der Schauspieler Adnan Maral, geboren in Ostanatolien, mit zwei Jahren nach Deutschland gekommen und in Frankfurt am Main aufgewachsen. Bekannt wurde er unter anderem durch die Vorabendserie „Türkisch für Anfänger". Mit in die Türkei reiste auch Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz (SPD), deren Eltern Anfang der Sechzigerjahre aus Istanbul gekommen waren und sich als Kaufleute in Hamburg niedergelassen hatten.

Doch das kulinarische Get-together ist nicht alles

Steinmeier kommt nur wenige Wochen nach den Kommunalwahlen in der Türkei, deren Bedeutung über das Lokale hinausging. Die Wähler verpassten dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Ende März einen Denkzettel. Seine islamisch-konservative AKP wurde erstmals in ihrer Geschichte nicht mehr stärkste Kraft im Land. Stattdessen triumphierte landesweit die größte Oppositionspartei CHP.

Treffen mit dem Bürgermeister von Istanbul

Der Bundespräsident wird gleich nach seiner Ankunft den wiedergewählten Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu treffen. Der Erdogan-Widersacher wird als künftiger Präsidentschaftskandidat gehandelt. Imamoglu bezeichnete die deutsch-türkischen Beziehungen im Vorfeld als etwas sehr Besonderes.

Der Besuch hat gewissermaßen ein auf dem Kopf stehendes Programm. Normalerweise fliegt der Bundespräsident in die Hauptstadt des jeweiligen Landes, wird dort vom Gastgeber mit militärischen Ehren begrüßt, dann zieht man sich zum Gespräch zurück, trifft sich später wieder zu einem offiziellen Essen. Und erst dann schließen sich andere Stationen im Gastland an. Bei der Türkei-Reise verhält es sich umgekehrt: Die Hauptstadt Ankara und Gastgeber Erdogan kommen erst zum Abschluss des Besuches am Mittwoch dran.

Indem er erst Imamoglu trifft, setzt Steinmeier - egal ob gezielt oder nicht gezielt - das Signal, dass Berlin auch schon auf die Nach-Erdogan-Zeit schaut. Dazu passt, dass auch ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der Oppositionspartei CHP, Özgür Özel, vorgesehen ist.

Drei Stunden mit Erdogan - wo der gute Ton zählt

Etwa drei Stunden werden Steinmeier und Erdogan zusammen sein. Dabei dürften auch unangenehme Themen zur Sprache kommen. So sitzen noch immer wichtige Vertreter der Zivilgesellschaft wie der Kulturförderer Osman Kavala in Haft. Die Organisation Reporter ohne Grenzen appellierte an Steinmeier, auf die Freilassung inhaftierter Medienschaffender zu drängen.

Eine besondere Herausforderung wird das Thema Gaza-Krieg werden, bei dem Berlin und Ankara völlig konträre Positionen einnehmen. Auf deutscher Seite sorgt Erdogans Haltung zur islamistischen Hamas für Irritationen. Die Palästinenserorganisation ist für das Massaker am 7. Oktober in Israel verantwortlich - doch Erdogan bezeichnet sie als Befreiungsorganisation. Dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wirft er ein «Massaker» im Gazastreifen vor, vergleicht ihn auch schon mal mit Adolf Hitler. Unmittelbar vor Steinmeiers Ankunft traf sich Erdogan am Wochenende ausgerechnet mit Hamas-Auslandschef Ismail Hanija.

876.000 Türken kamen nach 1961 nach Deutschland

In Berlin wie Ankara wird aber betont, dass sich Steinmeier und Erdogan gut kennen. Beide Politiker können also auch Klartext miteinander sprechen. Und sie müssen miteinander sprechen, denn die Bande zwischen beiden Ländern sind eng. Nach dem Abschluss eines Anwerbeabkommens 1961 kamen laut Auswärtigem Amt etwa 876.000 Menschen aus der Türkei nach Deutschland. Viele blieben für immer, holten ihre Familien nach. Heute leben in Deutschland fast drei Millionen Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte.

Die enge Verbindung wurde auch nach dem schweren Erdbeben in der Türkei und in Syrien im Februar vergangenen Jahres deutlich. Allein in der Türkei starben nach offiziellen Angaben mehr als 53.000 Menschen. Die Bundesregierung sagte beiden Ländern damals eine Erdbebenhilfe von 238 Millionen Euro zu. Zudem wurden in einem beschleunigten und vereinfachten Verfahren mehr als 17.000 Visa für vom Erdbeben betroffene Türken ausgestellt, damit diese vorübergehend oder im Rahmen des Familiennachzugs auch dauerhaft nach Deutschland kommen konnten. Ein Besuch im Erdbebengebiet steht auch auf Steinmeiers Reiseprogramm.


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