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Lieferdienste in Deutschland: Bei Flink, Wolt und anderen Lieferando-Konkurrenten geht es um alles oder nichts

Lesezeit: 5 min
25.04.2024 15:43
Getir, Lieferando, Wolt, UberEats - das Angebot der Essenskuriere ist kaum noch überschaubar. Wer am Markt letztlich bestehen wird, scheint eine Frage der internationalen Geldgeber zu sein. Wer investiert die meisten Millionen um ein Monopol aufzubauen? Die ersten Lieferdienste haben bereits aufgegeben oder wurden von großen Food-Sharks der Branche gefressen - ein Überblick.

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Die Qual der Wahl zu haben, ist mal wieder so ein typisches Luxus-Problem der Großstädter. Die junge urbane Elite nutzt wie selbstverständlich E-Scooter, hat per App Zugang zu sämtlichen Sportplätzen, Schwimmhallen und Fitness-Centern der Stadt und bestellt die Mahlzeiten wie selbstverständlich im Netz über Lieferdienste und lässt billige Kurierfahrer antreten. Auf dem Lande ist man schon froh, wenn es der überhaupt ein Restaurant gibt, dass ausliefert. Es gibt auch Grenzen im Dienstleistungs-Eldorado!

Fangen wir beim Überblick der Deutschen Wirtschaftsnachrichten am besten im Kleinen an: Zum Beispiel bei Nilgün Sunar in Berlin. Die Türkin bietet unter dem Titel „Mutti kocht“ Hausgemachtes wie das würzige Auberginengericht Karniyarik oder Lana Sarmasi - das sind gefüllte Kohlblätter - auf der App HomeMeal an. Die extra zubereitete Mahlzeit kommt mit einem liebevollen Zettelchen der Köchin ins Haus - muss dann nur noch kurz nach Anleitung aufgewärmt werden. HomeMeal ist damit ein Zwitter unter den neuen Lieferdiensten und hat sich (bisher exklusiv in Berlin) gezielt für eine Nische entschieden - eine Mischung aus Essensboxen von HelloFresh und den gängigen Lieferdiensten wie Wolt, Getir, Flink, UberEats & Co.

Hausgemachtes Essen als Nische am Liefermarkt

Okay, für die schnelle Pizza von nebenan ist HomeMeal die falsche Adresse. Aber die Differenzierung ist noch immer in vollem Gange. Neuerdings scheint vor allem Wolt, ein ursprünglich in Finnland gestarteter Lieferdienst immer mehr Kunden an sich zu binden. Durch exklusive Vereinbarungen mit Trend-Restaurants, die es bei anderen Kurieren nicht zu bestellen gibt. Und durch eine benutzerfreundlich und graphisch besonders ansprechende Oberfläche der App. Insbesondere im trendigen Bereich mit asiatischem Essen scheint Wolt derzeit den Markt aufzumischen.

In 23 Ländern sind die Finnen präsent - überwiegend in Ost- und Nordeuropa. Dem „Manager Magazin“ zufolge zählen sie zu den am schnellsten wachsenden Unternehmen in Europa. In Deutschland wollen sie sich vor allem gegen Lieferando in Stellung als Marktführer bringen. Ihr Pres scheint ein unbegrenzt scheinendes Reservoir an jungen willigen Fahrern aus prekären Verhältnissen zu sein, die das jeweilige Liefergebiet nicht nur abdecken, sondern geradezu im Verkehrsfluss überschwemmen. Die Rede ist von aktuell 20.000 Fahrern - ein Lieferantenheer!

Kaum eine Branche ist in der Corona-Zeit so schnell gewachsen wie die der Kurierdienste. Während die Restaurants wegen der Quarantäne-Beschränkungen nicht öffnen könnten, sattelten viele auf Home-Lieferung um. Die Kundenzahlen bei Lieferando explodierten. Die großen Supermärkte und Lebensmittel-Größen wie die Oetker-Gruppe und Edeka stiegen gleichfalls ein und versuchten, mit Lebensmittel und Getränkelieferanten wie Flaschenpost (Oetker) und Bringmeister (Edeka) ein Stück vom großen Kuchen abzubekommen. Doch der Markt bleibt in ständiger Bewegung. Die Investitionen haben sich noch nicht bezahlt gemacht. So einige Dienstleister gibt es gar nicht mehr. Deliveroo zum Beispiel. Foodora, Pizza de und Lieferheld wiederum wurden verkauft und gelten als verglühte Fixsterne aus der Vorzeit. Den eigenen Sohn mit Mofa Nudeln ausliefern zu lassen, das passiert auch kaum mehr.

Coupon-Aktionen und Rabatt-Angebote locken

Inzwischen scheinen eher international aufgestellte Ketten die Marktmacht an sich zu reißen - mit irrwitzigen Coupon-Aktionen („20 Prozent Ermäßigung“ hie, „50 Prozent Rabatt“ da) und zig Millionen an Venture-Kapital, die von Geldgebern in das skalierungsträchtige Business gesteckt werden. In der großen Hoffnung, am Ende des mörderischen Wettbewerbs bestehen zu können - als Monopolist am besten oder mindestens als Platzhirsch unter den Lieferdiensten. Eine besondere Rolle nimmt hierbei UberEats ein, die nicht von ungefähr zum Fahrdienst Uber gehören und von dessen großen Netzwerk an Fahrern profitieren. Uber-Chauffeure haben neuerdings die Wahl, Passagiere oder Pizza auszufahren. Uber, in den USA an der Wall Street notiert, hofft somit, zwei Fliegen mit einer Klasse zu schlagen. Angesichts der weltweiten Aufstellung von Uber werden derzeit erste Wetten angenommen, wer sich letztlich als Marktführer durchsetzen wird.

Freilich nicht jeder Sieger wird unter dem Strich als Gewinner aus dem Konkurrenzkampf hervorgehen. Können Sie sich beispielsweise noch an die Gorillas erinnern - ein Startup, dass teils vom börsennotierten Berliner Unternehmen Delivery Hero unterstützt worden war. Mit flotter Werbung und im Stadtbild auffälligen Fahrern in Berlin wie auch New York gestartet, sind sie längst unter den Mantel des in Istanbul gestarteten Lieferdienstes Getir geschlüpft. Mit 12,8 Milliarden Risikokapital in der Hinterhand schienen die Türken bestens für ihren globalen Feldzug gerüstet - in den USA, Großbritannien, Holland und bei uns sind sie präsent.

In Deutschland konnte Getir nicht so gut gegen Flink, Gorillas und andere ständig neu auf den Markt drängende Mitbewerber durchsetzen. Gorillas konnte man vor zwei Jahren schlucken. Hinter Flink ist mit Rewe eine der großen Supermarkt-Ketten in 43 Gemeinden bundesweit (in Frankreich und den Niederlanden) im Geschäft - da wird andernorts das Geld verdient, dass im Wettbewerb nachgeschossen werden muss. Getir selbst scheint vor allem in der Zielgruppe der Migranten treue Kundschaft gefunden zu haben. Nicht genug für eine breite Marktabdeckung. In den trendigen Innenstadtvierteln von Hamburg, München und Berlin begegnet man deren Elektro-Bike-Kurieren eher selten an der Kreuzungen - stattdessen denen von Flink und neuerdings Massen von Wolt-Fahrern in ihrem leuchtenden Himmelblau. Getir könnte der nächste Big Fish sein, der von größeren Haien verspeist wird. Experten sehen deren Coupon-Aktionen jedenfalls als Vorboten eines bevorstehenden Rückzugs vom deutschen Markt. Aus Spanien, Portugal und Italien ist Getir bereits abgezogen.

Liefert an der Börse, aber kein Essen

Delivery Hero wiederum, deren Firmensitz in der Hauptstadt ist, verdient sein Geld überwiegend im Ausland - in Großbritannien vor allem. Während der zwischenzeitlich in Deutschland führende Dienst Lieferando dem großen gleichfalls an der Börse notiertem Konkurrenten Just Eat Takeaway gehört. Eine Standort-Verwirrung, die Börsenanalysten seit jeher ratlos zurückgelassen hat.

Die große Erfolgswelle während der Corona-Jahre ist längst abgeebbt. „Die Expansion der Lieferdienste geht wesentlich langsamer voran als in der Hochphase während der Pandemie“, bestätigt Eva Stüber vom Kölner Handelsinstitut IFH. Sie glaubt, dass die großen Player immer noch beständig Geld verbrennen und Gewinnen bzw. schwarzen Zahlen noch weit entfernt sind. Nach einem Bericht der „Lebensmittel-Zeitung“ warten bereits die ersten Lieferanten auf ihr Geld. Keine guten Aussichten mehr. Steht ein Rückzug in die Türkei bevor? Ein Staatsfonds aus Abu Dhabi tritt als strategischer Investor bei Getir und Flink zugleich auf und könnte auf Trennung der Marktbereiche dringen, heißt es.

Neu am Start ist der Lieferdienst Picnic. Es konnte vor allem in NRW und Berlin 2023 die magische Milliardenmarke beim Umsatz knacken. Hannover soll nun folgen und Süddeutschland. Es handelt sich ebenfalls um ein Unternehmen aus den Niederlanden (mit Edeka-Beteiligung), die sich Gedanken über die Wartezeit für das gelieferte Essen gemacht haben und auf ihrer App deshalb geregelte Lieferfenster vorgeben. Damit wir logistisch ein neues Feld beschritten, lobt Lieferdienst-Expertin Stüber. Die Chancen, dass die Mahlzeit in genießbarem Zustand ankommt, erhöht sich dadurch wohl erheblich - möglich ein weiteres relevantes Alleinstellungsmerkmal beim Konkurrenzkampf.

Lieferdienst eröffnet Online-Supermarkt

Der finnische Lieferdienst Wolt indessen hat Berlin jetzt noch einen Akzent gesetzt und beim Kräftemessen für Aufsehen gesorgt - mit einem virtuellen Supermarkt, der quasi alle Lebensmittel zum Endverbraucher nach Hause liefert, auch in kleinen Mengen, nicht nur den notorischen Einkauf beim großen Supermarkt. Als App für alles ist das Angebot konzipiert. Das Lager umfasst 5000 Artikel (Haushaltsartikel, Lebensmittel-Konserven, aber auch Molkerei- und Frische-Produkte) und befindet sich - strategisch bestens positioniert - mitten in Berlin am früheren Checkpoint Charlie. Das Ziel ist es, alles in bestenfalls nur 30 Minuten liefern zu können. Wer das schafft, wird sich durchsetzen, glaubt Mike Kuusi, Gründer von Wolt. Er will Sushi ausfahren, notfalls auch Sneakers.

Am Ende stellt sich nur noch die Frage, wann der einst mit Büchern gestartete und nun größte Versandhändler der Welt Amazon seinerseits richtig auf die Tube drückt und Amazon Fresh in den Kampf am Kunden bringt. Bisher ist es beim Versuch geblieben - nicht viel mehr als ein Testballon in einigen ausgewählten Städten.

 

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Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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