Politik

DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht

Lesezeit: 1 min
26.04.2024 16:30
Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch emotional diskutieren. An dieser Stelle stellen wir - wie jeden Freitag - unseren Standpunkt klar. Politikredakteur Peter Schubert kommentiert diese Woche Christian Dürrs Vorschlag, die britische Migranten-Diskussion in die deutsche Asyl-Debatte zu überführen.

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Der britische Premier Rishi Sunak hat diese Woche erstmals in seiner Amtszeit Berlin besucht. Die Aussichten auf eine strahlende neue Zukunft in den deutsch-britischen Beziehungen wurde zwar nicht erkennbar. Dafür hat uns Sunak eine Debatte hinterlassen: Sollen wir es mit den Migranten wie die Briten halten, sie in den Flieger nach Ruanda setzen?

Der politische Reflex ließ nicht lange auf sich warten, da sprang schon FDP-Fraktionschef Christian Dürr an und befürwortete, die britische Diskussion in die deutsche Asyl-Debatte zu überführen.

Gab es da nicht schon mal eine ähnliche Idee?

Afrika oder Albanien - egal, nur raus, in ein Drittland außerhalb der EU! Dürr, MdB aus Delmenhorst, kennt sich in seiner niedersächsischen Heimatstadt aus mit prekären Verhältnissen und Migrations-Problemen. Außer Flüchtlingen möchte niemand gerne nach Delmenhorst - in der Fremdenverkehrsstatistik belegt der Ort nahe Bremen regelmäßig einen der hinteren Plätze bundesweit.

Da muss doch was zu machen sein? Gab es da nicht schon mal eine ähnliche Idee - ja tatsächlich mit Afrika! Nicht Ruanda, sondern die Insel Madagaskar sollte 1940 Deutschlands Probleme mit einer ungeliebten Minderheit im Lande lösen - den Juden. Der berüchtigte Madagaskarplan der Nationalsozialisten, von Reichsicherheitshauptamt und Auswärtigem Amt erdacht, sah vor, vier Millionen europäische Juden auf die vor der Ostküste Afrikas gelegene Insel zu deportieren - eine französische Kolonie, wohlgemerkt, die den Nazis aber nach dem Blitzkrieg gegen Frankreich als eine perfekte Dispositionsmasse erschien.

Ganz nach dem Vorbild Sansibars übrigens. Noch so ein fragwürdiges Afrika-Geschäft. Das Kaiserreich hatte es mit dem Vereinigten Königreich 1890 im sogenannten Helgoland-Sansibar-Vertrag gegen die nahe Nordseeinsel eingetauscht. Der Clou: Das Sultanat war nicht einmal deutsche Kolonie, sondern galt nur als Einflussbereich.

Asylverfahren an Drittländer auslagern?

Ganz ehrlich: Lösungen für politische Probleme zu finden, ist ein hehres Ziel für jeden Abgeordneten und Aufgabe der Parteien. Freilich müssen sie dabei stets mit Fingerspitzengefühl vorgehen. In Deutschland sollte man bei derlei leichtfertigen Vorschlägen immer zuerst einen kritischen und reflektierten Blick ins Geschichtsbuch werfen. Die Gefahr besteht, dass ein falscher Zungenschlag jegliche Debatte bereits beendet, bevor die Diskussionen mit wirklich sinnvollen Vorschlägen befruchtet werden können.

Ich befürchte, dass Dürr und andere, die die britische Ruanda-Lösung jetzt opportunistisch als Lösungsansatz in den deutschen Europa-Wahlkampf eingeworfen haben, sich in der Sache keinen Gefallen getan haben.

Deutschland wird es eher schwerfallen, Asylverfahren an Drittländer (in Afrika oder auch nur Albanien) auszulagern. Die Briten mögen sich um ihr Kololonialerbe keinen großen Kopf machen, das mag sein. Wir können uns das in Deutschland freilich nicht leisten.

                                                                            ***

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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