Politik

Lehrerverband will Islamunterricht: Lösung für bessere Integration oder Anbiederung?

Gut 1,6 Millionen Schüler muslimischen Glaubens besuchen mittlerweile Deutschlands Schulen. Für sie wünscht sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Stefan Düll einen flächendeckenden Unterricht „im Sinne des Grundgesetzes“ – mit einheitlichen Regelungen und staatlich ausgebildeten Religionslehrern. Der Unterricht soll ein Weg sein, um der Radikalisierung junger Muslime entgegenzuwirken. Wird der Islamunterricht ein fester Bestandteil des deutschen Schulsystems?
22.05.2024 13:10
Lesezeit: 3 min
Lehrerverband will Islamunterricht: Lösung für bessere Integration oder Anbiederung?
An Bayerns Schulen entscheiden sich immer mehr Schüler für das Wahlpflichtfach Islamischer Unterricht. (Foto: dpa) Foto: Frank Rumpenhorst

Der Deutsche Lehrerverband will islamische Theologie an deutschen Schulen lehren lassen. „Wir müssen einen Islamunterricht unter staatlicher Aufsicht aufbauen“, verkündete Lehrerverbandspräsident Stefan Düll diese Woche. Er ist seit 1. Juli letzten Jahres der Nachfolger von Heinz-Peter Meidinger, dem bisher bekanntesten Lehrer Deutschlands. Zuletzt irritierte Meidinger immer wieder mit Äußerungen zu Migration, Geflüchteten und Gendern.

Neu ist die umstrittene Debatte in Deutschland nicht, dass sie jetzt wieder vom deutschen Lehrerverband thematisiert wird, liegt auch an dem jährlich steigenden Anteil moslemischer Schüler in deutschen Klassenzimmern. Seit Jahren wird deshalb darüber diskutiert, ob islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen stattfinden soll. Der Bedarf von muslimischen Eltern ist da. Sie wünschen sich laut dem Präsidenten des Lehrerverbands einen aufgeklärten Islamunterricht für ihre Kinder – abseits von der Türkei oder dem Iran gestellten Imamen.

Deshalb fordert der Deutsche Lehrerverband auch eine staatliche Ausbildung von Islamlehrern in allen Bundesländern. Die Erteilung eines verpflichtenden Ethikunterrichtes sei vielen muslimischen Eltern nicht ausreichend, sagt Düll. „Vielmehr drücken sie immer wieder ihren Wunsch aus, dass ihre Kinder eine islamische Unterweisung unter staatlicher Aufsicht erhalten, weil sie vor der Qualität von außerschulischen Angeboten und den dort vermittelten Werten häufig berechtigte Sorge hätten.“ Der Lehrerverbandspräsident erklärt dazu: „Deshalb müssten Angebote unter staatlicher Aufsicht im Sinne des Grundgesetzes geschaffen werden.“

Modellversuch: Islamkunde auf Deutsch

Aktuell sind rund 1,6 Millionen Schüler bundesweit muslimischen Glaubens, das sind etwa 15 Prozent aller Schüler in Deutschland. Tendenz steigend! Viele Bundesländer haben auf den veränderten Bedarf bereits reagiert und bieten seit einigen Jahren im Rahmen von Modellversuchen Islamkunde-Unterricht an. Die Idee dahinter: Der Unterricht wird im Gegensatz zu dem in Moscheen auf Deutsch angeboten, Lehrer haben eine staatliche pädagogische Ausbildung und der Unterricht soll einen Beitrag zur Integration leisten.

In bisher elf Bundesländer gibt es an öffentlichen Schulen einen islamischen Religionsunterricht beziehungsweise islamische Religionskunde. Das geht aus einem Bericht vom Mediendienst Integration von 2023 hervor. Dabei gibt es unterschiedliche Modelle: So werden in Bayern, Schleswig-Holstein und seit 2021 auch in Hessen das Fach „Islamkunde“ in staatlicher Verantwortung angeboten.

Interessant: In den fünf östlichen Bundesländern Thüringen, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gibt es bisher kein Angebot für muslimische Schüler. Als Alternative zum christlichen Religionsunterricht stehen dort Fächer wie Ethik, Lebenskunde oder Philosophie zur Auswahl.

Wahlpflichtfach in Bayern – unter staatlicher Aufsicht

Der Freistaat Bayern hat das Fach seit 2009 als Modellprojekt an 350 öffentlichen Schulen erprobt und bietet es seit dem Schuljahr 2021/2022 bereits als Wahlpflichtfach an. Islamische Gemeinden, wie Ditib, kritisieren allerdings diese Praxis. Kern der Kritik ist der Umstand, dass das Fach nicht als konfessionelles Wahlpflichtfach eingeführt wird, wie dies beim christlichen Religionsunterricht der Fall ist.

Wenn es um den Islamunterricht geht, versucht der Staat die Zügel in der Hand zu halten. Egal, ob es um die Ausbildung der Lehrer, die Unterrichtsinhalte oder die Auswahl der Lehrer geht. Gemäß der Interpretation von Islamverbänden sollten also sie – und nicht der Freistaat – die Lehrer auswählen, ausbilden und den Lehrplan erstellen.

Zu wenig ausgebildete Religionslehrer für zu viel Schüler

Allein in NRW kamen 2023 auf 26.020 Schüler nur 263 Lehrer. Also knapp 100 Schüler pro Lehrer. Ein Problem ist, dass es bislang kaum ausgebildete Lehrkräfte gibt, die für den Islamunterricht speziell ausgebildet sind. Außerdem ist der Islam nicht gleich Islam. Es gibt unterschiedliche Richtungen, verschiedene Vertretungen in Deutschland – nur eines gibt es nicht: einen Verband, der für alle Muslime in Deutschland sprechen kann. Somit fehlt der Ansprechpartner für die Ausgestaltung der religiösen Inhalte. „Es gibt noch zu wenig Ausbildungskapazitäten und viele Unsicherheiten für Lehrkräfte“, sagt Birgül Karaarslan, die Vorsitzende des Verbandes muslimischer Lehrkräfte. Zugleich habe der Beruf ein Imageproblem, was ihn auch unattraktiv für Berufsanwärter mache. „Die neuen Religionslehrer werden oft nicht richtig im Kollegium angenommen.“

In Zukunft Islamunterricht auf Deutsch?

Islam an deutschen Schulen – aber staatlich geprüft. Die alte Debatte wurde vom neuen Lehrerverbandspräsidenten Düll wieder neu entfacht, vielleicht angesichts steigender Radikalisierung einige moslemischen Verbände, wie Muslim Interaktiv, die bei Ihren Märschen in Essen und Hamburg mit Ihrem Slogan „Das Kalifat ist die Lösung“ eine bundesweite Empörung auslöste. Es bleiben Zweifel, ob die Einrichtung eines staatlichen Islamkunde-Unterrichts ein sinnvoller Weg zur Etablierung und zur Akzeptierung des Islams in der Gesellschaft beiträgt. Grundsätzlich bleibt die Frage zu klären, welchen Platz Religion in der Schule einnehmen soll.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

DWN
Politik
Politik Ukraine-Verhandlungen: Warum Europas Rettungsplan den Konflikt noch verschärfen könnte
27.11.2025

Ein umstrittener US-Friedensplan setzt die Ukraine massiv unter Druck. Und Präsident Wolodomir Selenskyj kämpft gleichzeitig gegen...

DWN
Technologie
Technologie KI als Jobkiller: Weltweit große Unterschiede bei der Akzeptanz von Künstlicher Intelligenz
27.11.2025

In Deutschland lehnen 42 Prozent der Menschen die wachsende Verwendung von KI ab. In China ist die Zustimmung deutlich höher. Was die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Milliarden für dänischen Wasserstoffmarkt: Wird die Pipeline bald Realität?
27.11.2025

Europa muss seine Energieversorgung neu ordnen und verlässliche Partner finden, um die Industrie zukunftsfähig zu halten. Kann eine...

DWN
Panorama
Panorama Eilmeldung Washington DC: Schüsse nahe dem Weißen Haus - Zwei Nationalgardisten angeschossen
26.11.2025

In der Nähe des Weißen Hauses in Washington sind zwei Nationalgardisten von einem Schützen angeschossen worden. Sie befinden sich in...

DWN
Politik
Politik Deutsche Bank gegen Verband der Familienunternehmer: Mietvertrag gekündigt auf Grund der Einladung eines AfD-Politikers
26.11.2025

Der Verband „Die Familienunternehmer“ lädt einen AfD-Politiker ein – entgegen der politisch gewollten Brandmauer der etablierten...

DWN
Politik
Politik Bündnis Sahra Wagenknecht: AfD unterstützt Neuauszählung der Bundestagswahl
26.11.2025

An gerade mal 9.500 fehlenden Stimmen scheiterte im Februar der Einzug des BSW in den Deutschen Bundestag. Seitdem fordert die Partei eine...

DWN
Politik
Politik Grüngasquote für Energiewende: Mehr Umweltschutz und mehr Kosten für Industrie und Verbraucher
26.11.2025

Die schwarz-rote Regierung plant eine Quote, um die schleppende Wasserstoffwirtschaft und Energiewende in Deutschland weiter...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenz bei GOVECS – das Ende der elektrischen Schwalbe
26.11.2025

Das Münchner Unternehmen Govecs stellt unter dem Namen der in der DDR populären Moped-Marke seit einigen Jahren Elektroroller her. Nun...