Unternehmen

Flüchtlingswelle 2015: Drei Viertel der Zugezogenen in Arbeitsmarkt integriert

Lesezeit: 3 min
23.05.2024 15:50  Aktualisiert: 23.05.2030 11:50
Arbeitsmarktexperte bringt mit der Initiative „Job-Turbo“ Geflüchtete schneller in Arbeit: Die Erwerbstätigenquote der 2015 nach Deutschland Zugezogenen liege inzwischen bei 64 Prozent und nähere sich damit dem Bevölkerungsdurchschnitt von 77 Prozent, sagt Daniel Terzenbach, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA): „Wenn man dabei nur die Männer anschaut, arbeiten sogar drei Viertel.“ Wie kann das sein, trotz angespanntem Arbeitsmarkt und mehr Bürgergeldbeziehern?

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Seit dem großen Flüchtlingstreck auf dem Balkan anno 2015 sind mittlerweile rund 2,1 Millionen Zuwanderer in die Bundesrepublik gelangt. Die meisten haben zwar Asylantrag gestellt, de facto wurde mit dem Zuzug der Flüchtlinge jedoch wohl der Grundstein für das Einwanderungsland Deutschland gelegt. Vielen macht dies Sorgen, währen in der Wirtschaft viele Unternehmer froh sind, aus dem Pool Arbeitskräfte zu rekrutieren. Und das scheint besser zu laufen, als von den meisten Bürgern erwartet.

Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten zieht jedenfalls eine positive Bilanz - trotz anhaltend schwacher Konjunktur. Die Erwerbstätigenquote stieg um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr: 2023 waren etwa 55 Prozent der Geflüchteten erwerbstätig.

Immer mehr Ukrainer in Arbeit

Auch bei der Integration der Menschen aus der Ukraine in den Arbeitsmarkt gebe es „ermutigende Fortschritte“, ergänzte Daniel Terzenbach. Im Herbst seien nur 19 Prozent von ihnen in Arbeit gewesen, doch seitdem gelinge es immer häufiger, dass sie „aus der Arbeitslosigkeit in eine Beschäftigung wechseln“. Die zentrale Kenngröße dafür ist, wie viele Menschen im Laufe eines Monats aus der Arbeitslosigkeit in einer Beschäftigung wechseln. Und da können wir feststellen, dass sich diese Zahl binnen eines Jahres mehr als verdoppelt hat: Im April 2024 haben fast 6.800 Ukrainer die Arbeitslosigkeit hinter sich lassen können. Im Vergleich: April 2023 waren es nur knapp 2.900. Und das sei umso höher zu bewerten, da die allgemeine Lage am Arbeitsmarkt seither schwieriger geworden sei.

Dass die Beschäftigungsquote von Ukrainern insgesamt bisher nur knapp über 20 Prozent gestiegen sei, hat Terzenbach zufolge vor allem damit zu tun, dass aus dem Land immer weiter Menschen neu hier ankämen: „Aussagekräftiger ist daher die Zahl der Beschäftigungsaufnahmen. Und die zeigt übrigens auch positive Entwicklungen für Geflüchtete aus anderen Ländern wie Syrien.“ Laut dem Arbeitsmarktexperten haben im April erstmals mehr als 21.000 Geflüchtete den Einstieg in Arbeit geschafft, wenn man die Ukraine und die wichtigsten Asylherkunftsländer zusammennimmt.

Niedrigere Beschäftigungsquote als in den Niederlanden und Dänemark

Tatsächlich kommen weiterhin Menschen aus der Ukraine neu an, das ist in den Niederlanden und Dänemark derzeit nicht so. Außerdem bemüht sich Deutschland stärker darum, „Geflüchteten durch Sprach- und Integrationskurse eine Perspektive zu geben, die über eine eilige Vermittlung auf Helferjobs hinausreicht. Das dauert dann etwas länger, aber es zahlt sich nach meiner Überzeugung und auch den wissenschaftlichen Erkenntnissen nachhaltig aus.“

Herbstinitiative „Job-Turbo“ der Bundesregierung

Daniel Terzenbach, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, wurde im Oktober letzten Jahres zum Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration Geflüchteter ernannt. Im Rahmen der Initiative „Job-Turbo“ sollte er Hunderttausende, die Deutsch gelernt haben, schnell in Arbeit bringen. Für ihn war es eine zentrale Aufgabe, „systematische Kontakte zwischen Menschen mit Fluchtgeschichte und Betrieben zu ermöglichen“. Dafür organisiert die Bundesagentur Veranstaltungen, um Bewegungsräume zu schaffen, etwa Jobbörsen und Jobcafés. Bis zum Spätsommer werden es insgesamt 2.500 Veranstaltungen bundesweit sein.

Viele Unternehmen beschäftigten schon Geflüchtete, „aber gerade mit Blick auf kleine und mittlere Betriebe, die noch keine Erfahrung mit Geflüchteten haben, ist so ein Kennenlernen ein wichtiger erster Schritt. Und wir können dabei gut über Fördermöglichkeiten informieren, die wir haben.“ Auch kann der Einstieg Besserqualifizierte über einen Helferjob eine gute Basis sein, um Deutsch zu lernen oder erste Jobhürden zu überwinden.

Zurück zum Billigjob anstatt qualifizierter Einstieg?

Derzeit ist es aber tatsächlich für Arbeitslose schwierig, einen Job zu finden, wie während des zweiten Lockdowns im Winter 2020/21. In Zahlen heißt das: Es gibt heute 15 Prozent weniger freie Helferstellen und 20 Prozent weniger Zeitarbeitsstellen.

Für den „Job-Turbo"–Sonderbeauftragten sind die Ergebnisse bisher besser als oft wahrgenommen. „Die Integrationspolitik hatte viel zu lernen.“ Zutreffend ist allerdings auch, dass es bisher weit weniger gut gelingt, geflüchtete Frauen in Arbeit zu bringen. Bisher arbeitet knapp nur ein Drittel der 2015 zugezogenen Frauen. Deshalb sieht er auch keinen Spielraum für Mittelkürzungen 2025 bei den Jobcentern. Außerdem hat der Anstieg der Arbeitslosigkeit schon dieses Jahr dazugeführt, dass die Regierung Mittel nachschießen musste, um die Pflichtausgaben für das Arbeitslosengeld II zu decken.

 

                                                                            ***

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Quiet Quitting: Der stille Job-Rückzug mit gefährlichen Folgen
22.12.2024

Ein stiller Rückzug, der Unternehmen erschüttert: Quiet Quitting bedroht die Substanz deutscher Betriebe. Warum immer mehr Beschäftigte...

DWN
Technologie
Technologie DWN-Sonntagskolumne: Künstliche Intelligenz Hype Cycle - Zwischen Revolution und Enttäuschung
22.12.2024

Ist künstliche Intelligenz nur ein Hype oder der Beginn einer Revolution? Zwischen hohen Erwartungen, Milliardeninvestitionen und...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Ursachen, Folgen und Lösungen
22.12.2024

So können Unternehmen gegen verbale Übergriffe aktiv werden- Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen: Rund ein Drittel der...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindergeld beantragen: Tipps und wichtige Infos für 2025
22.12.2024

Wussten Sie, dass Sie Kindergeld bis zu sechs Monate rückwirkend erhalten können? Dies gilt sowohl für Ihr erstes Kind als auch für...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Märchen vorbei? Steht Deutschlands Automobilindustrie vor dem Aus?
22.12.2024

Volkswagen in der Krise, Mercedes, BMW & Co. unter Druck – und hunderttausende Jobs stehen auf dem Spiel. Wie kann der Kampf um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Credit Suisse-Debakel: Ausschuss sieht Schuld bei Bank
22.12.2024

Die Nervosität an den Finanzmärkten war im Frühjahr 2023 groß - drohte eine internationale Bankenkrise? Für den Schweizer...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Volkswagen-Deal: Worauf sich VW und die IG Metall geeinigt haben
22.12.2024

Stellenabbau ja, Werksschließungen nein: Mehr als 70 Stunden lang stritten Volkswagen und die IG Metall um die Sparmaßnahmen des...

DWN
Technologie
Technologie Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“
22.12.2024

Angesichts des wachsenden Drucks durch die Transformation hin zur Elektromobilität und steigender Kosten in der Branche sprechen Markus...