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OWF24 - Wirtschaft in Ostdeutschland: Die Ampelregierung auf Stimmenfang

Lesezeit: 4 min
04.06.2024 12:05
Beim ostdeutschen Wirtschaftsforum in Bad Saarow hebt der Bundeskanzler die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte gerade Ostdeutschlands hervor, Wirtschaftsminister Habeck wirbt für die Energiewende. Doch die Stimmung der ansässigen Unternehmer im Superwahljahr ist schlecht. Sie blicken zwar optimistischer in die Zukunft, doch der Schein trügt.
OWF24 - Wirtschaft in Ostdeutschland: Die Ampelregierung auf Stimmenfang
Bundeskanzler Olaf Scholz (l, SPD) und Frank Nehring, Präsident Ostdeutsches Wirtschaftsforum (OWF) diskutieren auf der dreitägigen Konferenz Chancen und Herausforderungen der ostdeutschen Wirtschaft. (Foto: dpa)
Foto: Monika Skolimowska

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Auf der Wirtschaftskonferenz des Ostdeutschen Wirtschaftsforums (OWF) hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag, drei Monate vor den Landtagswahlen in Sachsen, in Thüringen und Brandenburg, die Bedeutung Ostdeutschlands für die deutsche Wirtschaft hervorgehoben. „Ostdeutschland kann Veränderung und ist ein zentraler Impulsgeber für unsere Wirtschaft“, sagte Scholz zur Eröffnung des ostdeutschen Wirtschaftsforums am Sonntag in Bad Saarow.

Der klimaneutrale Umbau der Industrie, die Digitalisierung und die Nutzung Künstlicher Intelligenz würden den Takt der wirtschaftlichen Entwicklung vorgeben, sagte er zum Auftakt vor mehr als 400 Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. „Die Geschwindigkeit halten wir hoch in den kommenden Jahren“, versprach der Kanzler anlässlich des Spitzentreffens der ostdeutschen Wirtschaft.

Wenige Tage vor der Europawahl am Sonntag, bei der die Umfragen der AfD nicht nur in Ostdeutschland Stimmengewinne zutrauen, formulierte Scholz auch einen Wunsch für das Zusammenwirken von Politik und Wirtschaft. „Offen, konstruktiv, Hands-On. So verteidigen wir unser geeintes Europa. So verteidigen wir die demokratische Entwicklung der vergangenen 35 Jahre. Und so schreiben wir unsere wirtschaftliche Erfolgsgeschichte fort – gerade hier in Ostdeutschland.“

Stimmungsbarometer der ostdeutschen Wirtschaft zeigt nach unten

Gute Stimmung und positive Wortmeldungen sind angebracht, auch wegen der drei ostdeutschen Landtagswahlen im September, das weiß auch der Kanzler. Denn die Realität ist eine andere: Die Stimmung in der ostdeutschen Wirtschaft im Superwahljahr ist schlecht und unterscheidet sich kaum von den Einschätzungen der Unternehmen in den alten Bundesländern.

Der ifo-Geschäftsklimaindex Ostdeutschland hat im Mai zwar bereits zum dritten Mal in Folge zugelegt. „Die wirtschaftliche Situation ist aber auch in Ostdeutschland durch die anhaltende konjunkturelle Schwäche gekennzeichnet“, sagt Joachim Ragnitz, Geschäftsführer der Niederlassung des ifo Instituts in Dresden. Die konjunkturelle Entwicklung im Osten unterscheide sich schon seit Jahren nicht mehr von der Dynamik im Westen. „Der Fachkräftemangel ist im Osten allerdings besonders stark ausgeprägt und die politische Unsicherheit ist vor den Landtagswahlen in drei Bundesländern höher“, sagt der Ökonom zu den besonderen Herausforderungen für die Unternehmer in Ostdeutschland.

Mehr als die Hälfte sieht wirtschaftliche Situation negativ

Laut einer Umfrage unter 1.500 Entscheidern in der ostdeutschen Wirtschaft, die das Meinungsforschungsunternehmen Civey für das OWF 2024 durchgeführt hat, sehen fast drei Fünftel der Befragten die Gewinnung von Mitarbeitern als Herausforderung für ihr Unternehmen. Mehr als ein Drittel bewerten die Möglichkeit einer politischen Radikalisierung als Risiko am Wirtschaftsstandort Ostdeutschland.

Auf Platz drei in der Liste der am häufigsten genannten Herausforderungen liegt der wachsende Wettbewerbsdruck. Insgesamt schätzen nur 29 Prozent der Entscheidungsträger im Osten die wirtschaftliche Lage als gut ein. Mehr als die Hälfte bewerten sie negativ.

Über 70 Prozent sehen keine Unterstützung durch die Ampelregierung

Zur schlechten Stimmung in der ostdeutschen Wirtschaft trägt auch die Ampel-Regierung in Berlin bei. Laut Civey-Umfrage empfinden mehr als zwei Drittel der ostdeutschen Unternehmer ihre Unternehmen nicht ausreichend durch die Politik unterstützt, während nur eine Minderheit die Unterstützung als ausreichend ansieht.

Dass fast 70 Prozent die politische Unterstützung der Politik nicht wahrnehmen, hat nach Einschätzung von Ifo-Ökonom Ragnitz nicht zuletzt mit der besonders stark von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägten Wirtschaftsstruktur im Osten zu tun. „Mein Eindruck ist, dass die Bundesregierung gerade in der Klimapolitik nur die Interessen von Großunternehmen berücksichtigt, während die kleineren Unternehmen häufig allein gelassen werden“, sagt Ragnitz.

Die Umfrage zeigt auch, dass vor allem in Sachsen-Anhalt die fehlende politische Unterstützung als besonders problematisch wahrgenommen wird.

Forderungen an die Regierung

Ostdeutsche Unternehmer fordern vor allem Bürokratieabbau von der Politik. Auch die Stärkung von Wissenschaft und Forschung sowie Anreize für die Ansiedlung von Familien stehen hoch im Kurs. Zudem gibt es Kritik an der unterschiedlichen Bewertung der Forschungsförderung zwischen den einzelnen ostdeutschen Bundesländern. Insbesondere in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern wird ein größerer Bedarf gesehen.

Robert Habeck nennt Ostdeutsche eine „aufgeraute Gesellschaft“

Gestern hat sich auch der Bundeswirtschaftsminister in Bad Saarow den Fragen zur Energiewende gestellt – wieder mit dem Hinweis, dass die Union für die jetzige Wirtschaftskrise verantwortlich ist. Dabei wird ihm selbst oft vorgeworfen, sich zu sehr auf das Klima und zu wenig auf die Wirtschaft zu fokussieren. Auch ein Grund, warum die grüne Partei in den ostdeutschen Bundesländern nach wie vor sehr unbeliebt ist: Die Zustimmung für die Grünen liegt in Thüringen, Sachsen und Brandenburg zwischen fünf und 7,5 Prozent.

In einem Interview der Berliner Zeitung begründet der Wirtschaftsminister die Unbeliebtheit seiner Partei mit dem unterschiedlichen Einkommen zwischen Ost- und Westdeutschland. Die Inflation habe die Ostdeutschen durch ungleiche Löhne härter getroffen als die Westdeutschen. „Dass das wiederum zu einer aufgerauten Gesellschaft führt und zu Veränderungsunwilligkeit oder Skeptizismus, kann man sofort verstehen“, sagt Habeck. Zudem lobt er industrielle Ansiedlungen im Osten, die mit dem Aufbau grüner oder sauberer Technologie der nächsten Generation verbunden sind – sprich Batterien, Halbleiter oder auch Solarpaneele. Und das sei umso wichtiger für die Zukunft, heißt es.

Und dafür wird es künftig offenbar auch Unterstützung der Bundesregierung geben. Robert Habeck kündigte beim OWF24 an, dass die Gelder, die ursprünglich für die Kohlegewinnung zur Verfügung gestellt wurden, nun umstrukturiert werden und für wirtschaftliche Tätigkeiten genutzt werden können. Der Bund will damit die Ansiedlung neuer Wirtschaftszweige fördern. „Es gibt eben Nachfrage, es gibt einen Investitionswunsch in Ostdeutschland“, sagt Habeck. Die Öffnung der Gelder gelte aber auch für Westdeutschland, so der Wirtschaftsminister schließlich.

Bleibt die Frage, ob das Werben der Ampel-Regierung um den ostdeutschen Wirtschaftsstandort und das Auftreten der Ampelpolitiker im brandenburgischen Bad Saarow, die Stimmung und vor allem das Wählerverhalten positiv beeinflussen werden. Zusätzlich haben noch Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Ihren Besuch angekündigt. Unter dem Motto „fast forward“ diskutieren sie zusammen mit etwa 450 hochrangige Entscheiderinnen und Entscheider aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, über die Dynamik der Strukturwandelprozesse am Standort.

Das Ostdeutsche Wirtschaftsforum (OWF) ist ein Projekt der Standortinitiative Deutschland – Land der Ideen. Die Initiative wurde 2006 anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft von der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft, vertreten durch den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), gegründet. Ziel ist es, wegweisende Ideen zu fördern sowie Transformationsprozesse zu gestalten, die den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland prägen.

 

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Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.


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