Fehlende Kitaplätze kosten die Wirtschaft Milliarden: Hochgerechnet auf ganz Deutschland kostet der Mangel die deutsche Gesamtwirtschaft bis zu rund 23 Milliarden Euro, was etwa 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des vergangenen Jahres entspricht. Rund 1,2 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr können nicht geleistet werden – wegen fehlender Kinderbetreuung.
Und das in Zeiten wo dem Arbeitsmarkt 573.000 Arbeitskräfte fehlen: Dazu haben Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft im Mai errechnet, dass hiesige Unternehmen in diesem Jahr außerdem 49 Milliarden Euro mehr an Waren und Dienstleistungen produzieren könnten – wenn sie ihren Fachkräftebedarf decken könnten. Eltern, insbesondere Mütter, bieten hier ein großes Arbeitskräfte-Potenzial, das aber aufgrund fehlender Betreuungsangebote nicht gehoben wird.
Kita-Mangel wird zum Risiko für die Wirtschaft
Auch Marie-Christine Ostermann, Präsidentin der Familienunternehmer, kennt und kritisiert die Problematik in einer Pressemitteilung: „Es ist eine Krux, wie Deutschland potenzielle Wirtschaftskraft im wahrsten Wortsinn verspielt, weil schlichtweg viel zu wenig Personal zur Kinderbetreuung vorhanden ist.“ Eine Umfrage nach haben 42 Prozent der befragten Unternehmer Mitarbeiter bereits gekündigt oder ihre Arbeitszeit reduziert, weil die Betreuung des Nachwuchses überhaupt nicht gesichert werden konnte.
Beide Faktoren, Kita- und Fachkräftenotstand, führen gemeinsam zu immensen und realen Verlusten für die deutsche Wirtschaft. Das Gute-Kita-Gesetz von 2019 sollte für eine bessere Betreuung an den Kindertagesstätten sorgen. Die ist aber bis heute nicht gewährleistet: Denn aktuell fehlen mehr als 125.000 Fachkräfte im gesamten Bereich der Kindertagesbetreuung, wie aus dem Kita-Bericht 2024 des Paritätischen Gesamtverbandes hervorgeht. „Viele Eltern und Alleinerziehende, vorwiegend die Mütter, würden gerne Arbeit aufnehmen oder ihre Stundenzahl ausweiten, können das aber oft nicht, da die Kinderbetreuung nicht sichergestellt ist“, erklärt Thomas Letixerant, Vizechef der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit. Da die geburtenstarken Jahrgänge den Arbeitsmarkt verlassen, sei die Schaffung von Kinderbetreuungsangeboten und die Qualifizierung von Erzieherinnen und Erziehern gerade jetzt ein wichtiger Hebel zur Bekämpfung des demografischen Wandels.
Entweder Job oder Familie – eine Zustandsbeschreibung
Die Jobplattform Stepstone hat 2000 Eltern mit Kindern unter zehn Jahren zu ihrer beruflichen Situation in einer Studie „Working Parents & Beyond“ aus dem Jahr 2023 befragt:
- Mehr als jede zweite Person ändert aufgrund von Kindern ihre beruflichen Ziele.
- Mehr als jede dritte Frau verlässt ihren Arbeitgeber nach der Elternzeit. Nur 48 % kehren zu ihren vorherigen Positionen zurück.
- Drei von vier Müttern reduzieren ihre Arbeitszeit nach der Elternzeit, bei Vätern sind es 17 %.
- 66 % der in Teilzeit beschäftigten Eltern würden gerne in Vollzeit oder vollzeitnah arbeiten, wenn die Kinderbetreuung gesichert ist.
- 65 % der Befragten wären dazu bereit, finanzielle Abstriche zu machen, wenn der Arbeitgeber besonders familienfreundlich ist.
Außerdem gilt Familienplanung immer noch als Karrierekiller Nummer Eins in Deutschland: Gerade Eltern, die eine Babypause einlegen wollen, befürchten häufig Nachteile im Job. Die Studie zeigt, dass diese Sorge nicht immer unbegründet ist. Demnach ist ein reibungsloser Wiedereinstieg in den Beruf nach der Elternzeit in Deutschland weiterhin oft schwierig und bedeutet oft unfreiwillig einen Wendepunkt in der eigenen Karriere, wie die Stepstone-Studie zeigt: Bei der Rückkehr ins Berufsleben, unabhängig davon, ob sie in neuer oder alter Position wieder einsteigen, entscheiden sich drei von vier Müttern nach der Rückkehr in den Job für eine Teilzeitbeschäftigung. Bei den Vätern sind es lediglich 17 Prozent.
Teilzeitfalle: Größtes Potenzial für Personalgewinnung
Trotz Rechtsanspruch warten viele Eltern monatelang auf einen Kindergartenplatz. Und wer einen hat, kann sich wegen spontaner Schließungen und verkürzter Öffnungszeiten nicht auf die Betreuung verlassen. Die Folge: Vor allem Mütter reduzieren nach der Elternzeit ihre Arbeitsstunden, obwohl viele lieber in Vollzeit oder vollzeitnah arbeiten würden. Oder sie kehren deutlich später als geplant in den Beruf zurück. In kaum einem europäischen Land ist die Teilzeitquote unter Müttern höher. Und Teilzeitarbeit nimmt zu: 2023 stieg die Zahl um 3,9 Prozent auf 12,2 Millionen, laut einer Auswertung des Statistischen Bundesamts. 67 Prozent aller Mütter mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren gehen einer Teilzeitbeschäftigung nach.
Arbeitgeber erschweren den Weg zurück zur Vollzeitbeschäftigung
Nach dem beruflichen Kürzertreten ist der Weg zurück oft schwierig: Zwei von drei Müttern würden gerne wieder in Vollzeit arbeiten, können es aber aufgrund von mangelnder Unterstützung durch den Arbeitgeber oder fehlender Angebote für die Kinderbetreuung nicht. „Die Studie belegt, dass viele wollen“, sagt Dr. Tobias Zimmermann, Arbeitsmarktexperte bei The Stepstone Group. „Es ist höchste Zeit, es ihnen zu ermöglichen, denn sie brauchen mehr Leistungen ihrer Arbeitgeber und eine Infrastruktur, die sie wirklich unterstützt. Nur so können wir Geschlechterungleichheit und Arbeitskräftemangel entscheidend entgegenwirken.“
Eltern fehlt vor allem die Unterstützung durch Arbeitgeber
In der Stepstone-Umfrage gab die Hälfte der befragten Eltern an, von ihrem Unternehmen keine Unterstützung beim Wiedereinstieg erhalten zu haben. 29 Prozent erwägen sogar, wegen mangelnder Unterstützung zu kündigen.
Nüchternes Fazit der Studie: Die wenigsten Unternehmen bieten betriebliche Hilfen an, die die Karriere mit Kindern erleichtern. Es fehlt an finanzieller Unterstützung bei der Kinderbetreuung, Feedbackrunden zum besseren Wiedereinstieg, Weiterbildungen und alternativen Betreuungsangebote.
Wirksame Alternative: eigene Betriebskindergärten
Einige wenige Unternehmen nehmen das Betreuungsproblem bereits selbst in die Hand: 2023 gab es in Deutschland gerade einmal 780 Betriebskitas. Prominentes Beispiel im Moment ist die geplante Betriebskita von PORSCHE in Stuttgart, die auch gerne externe Kinder aufnehmen würde.
Aber auch kleine und mittlere Unternehmen finden Finanzierungsmodelle, um den Betreuungsservice Ihren Eltern zur Verfügung zu stellen. Ein Modell ist die Kofinanzierung von „Mini-Kitas“, so wie im Fall von Sabine Fuchsberger-Paukert, Geschäftsführerin eines Münchner Arznei-Großhandels mit rund 80 Mitarbeitenden. Sie hat mithilfe des Trägers „Sira“ an der Münchner Friedenheimer Brücke eine Großtagespflege initiiert und finanziert drei von zehn Betreuungsplätzen mit: einmalig mit je 5.000 Euro pro Platz, dazu 390 Euro für die Eltern pro Monat – die Hälfte der anfallenden Gebühren. Dafür hat die Arbeitgeberin die drei Plätze zehn Jahre lang reserviert. Für die Apothekerin ist die „Mini-Kita“ unterm Strich ein Gewinn, erzählt sie: „Ich zahle das für meine Mitarbeiter, weil ich damit ein attraktiver Arbeitgeber bin. Es sind einfach Personalnebenkosten, die ich ausgebe für Mitarbeiter und die ich dann wieder zurückhole.“
Wenn es für die Umsetzung eigener Kindertagesplätze keine Kapazitäten und Möglichkeiten gibt, könnte für Arbeitergeber auch die Einrichtung einer firmeneigenen Kinderbetreuung für die Ferienzeiten eine effektive Lösung sein, denn Berufstätige haben erfahrungsgemäß nicht 6–8 Wochen frei in den Sommerferien.
Win-win-Situation: Familienfreundlichkeit als Erfolgsfaktor für Arbeitgeber
Insgesamt reduzieren 74 % der deutschen Mütter ihre Arbeitsstunden bei der Rückkehr zur Arbeit, oft aufgrund der Kinderbetreuung. Maßgeschneiderte Unterstützung und eine flexible Arbeitskultur können den Wiedereinstieg erleichtern und die Erwerbsbeteiligung von Müttern nachhaltig steigern, was für Unternehmen ein Gewinn an vielfältigen Talenten und Engagement bedeutet. Zusätzlich führen familienfreundliche Unterstützungsmaßnahmen zu einem Wettbewerbsvorteil bei der Gewinnung von neuen talentierten Arbeitskräften.
Fazit: Fehlende Kita-Plätze belasten die Wirtschaft und schaffen Personalmangel. Statt darauf zu warten, dass sich die Situation irgendwann ändert, können Unternehmen familienfreundliche Arbeitsbedingungen und betriebseigene Kindergärten einrichten. Denn eine Besserung der Betreuungslage ist langfristig nicht in Sicht: Es könnten bis 2030 noch bis zu 90.000 Fachkräfte in den Kitas fehlen, heißt es aus dem Bundesfamilienministerium. Trotzdem endet das bisherige Programm des Bundes zur Schaffung neuer Kita-Plätze im Juni – und eine Verlängerung ist derzeit noch nicht vorgesehen. Das sollte ein Alarmsignal für betroffene Arbeitgeber sein.