Politik

6-Tage-Woche in Griechenland: Arbeiten die Deutschen zu wenig?

Trotz Personalmangel wird in Deutschland die Vier-Tage-Woche getestet. In Griechenland passiert gerade das Gegenteil: Ein neues Gesetz zur Einführung der 6-Tage-Woche geht ab Juli an den Start. Mit der Maßnahme möchten die Griechen gegen den Fachkräftemangel vorgehen. Die Lösung: Die Arbeitszeit wird verlängert – freiwillig und gut bezahlt. Mehr Arbeit und weniger Freizeit zum Wohle der Wirtschaft – auch in Deutschland denkbar?
25.06.2024 15:19
Aktualisiert: 24.06.2030 16:00
Lesezeit: 4 min
6-Tage-Woche in Griechenland: Arbeiten die Deutschen zu wenig?
Personalmangel: Griechenland will die Arbeitsproduktivität steigern und führt am 1. Juli die 6-Tage-Woche ein. (Foto: dpa) Foto: Socrates Baltagiannis

Nach 15 Jahren Krise und drei Euro-Rettungspaketen wächst Griechenlands Wirtschaft wieder. Der Schuldenabbau läuft dank wirtschaftlicher Kehrtwende. Jetzt soll die Arbeitsproduktivität durch Mehrarbeit gesteigert werden: Die konservative Regierung führt zum 1. Juli die Möglichkeit einer 6-Tage-Woche ein.

6-Tage-Woche gegen Personalmangel

Das neue Gesetz soll eine freiwillige Basis schaffen und nicht verpflichtend wirken. Ab dem 1. Juli ermöglicht es den Griechen, sechs Tage pro Woche arbeiten zu dürfen. Die konservative Regierung hatte bereits, unter erheblichen Protest der Gewerkschaften und der Opposition, zuvor ein Gesetz beschlossen, mit dem die Sechstagewoche ausgeweitet wird. Bislang waren sechs Arbeitstage nur im Tourismus und der Lebensmittelindustrie erlaubt. Jetzt steht diese Option sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor zur Verfügung, insbesondere in Bereichen wie Banken, Versorgungsunternehmen und Landwirtschaft. Beamte jedoch sind von der Arbeitszeitverlängerung ausgenommen.

Griechen werden unfreiwillig „Helden der Arbeit“

Mit der neuen Regelung wird die maximal zulässige Arbeitszeit von 40 auf bis zu 48 Stunden angehoben. Dabei sind die Griechen jetzt schon Europameister: Mit durchschnittlich 41 Stunden pro Woche arbeiten sie länger als alle anderen EU-Bürger, wie aus Zahlen von Eurostat hervorgeht – und werden dafür ziemlich schlecht bezahlt. Die Tarifverträge sind seit Jahren eingefroren, in vielen Unternehmen arbeiten die Mitarbeiter im Rahmen individueller Arbeitsverträge. Mit einem Mindestlohn von 830 Euro liegt Griechenland auf Platz 15 der Liste der EU-Länder. Gemessen an der Kaufkraft ist Griechenland das vorletzte Land in Europa.

Die meisten Griechen arbeiten bereits sechs Tage in der Woche, um finanziell um die Runden zu kommen. „Aufgrund der geringen Lohnentwicklungen und der hohen Inflation haben viele bereits gezwungenermaßen zwei Jobs“, so Griechenland-Experte Jens Bastian zu Business Punk. Freiwilligkeit sieht für ihn anders aus.

Strategie gegen Fachkräftemangel

Auch in Griechenland fehlt es an allen Ecken und Enden an notwendigen Arbeitskräften. Durch die 6-Tage-Woche soll diese Lage verbessert werden, denn die Mehrarbeit wird durch Zuschläge richtig entlohnt: Handelt es sich beim sechsten Arbeitstag um einen Samstag, gibt es 40 Prozent mehr Gehalt für die Arbeitnehmenden – an Sonn- und Feiertagen gibt’s sogar 115 Prozent mehr.

Die Regierung erhofft sich auch so Schwarzarbeit einzudämmen und die in Griechenland üblichen „Zweitjobs“ aus der Illegalität zu holen. Arbeitende können künftig neben einer Vollzeitstelle von acht Stunden auch noch einen Nebenjob von bis zu fünf Stunden pro Tag annehmen. Damit werden sogar 13 Arbeitsstunden pro Tag und eine Höchstarbeitszeit von bis zu 78 Wochenstunden möglich.

Staat oder Arbeitnehmer: Wer profitiert wirklich von der 6-Tage-Woche?

Ein Zuschlag von bis zu 115 Prozent hört sich viel an. Doch wie viel landet auf dem Konto der Arbeitnehmenden? Griechenland-Experte Jens Bastian vermutet, dass am Ende am meisten der Staat von der neuen Regelung profitiert: „In Griechenland haben wir immer noch eine steuerliche Situation und Sozialversicherungsabgaben, die den Arbeitgebern wie den Beschäftigten zu viel vom Lohn abzieht. Und deswegen sind viele gezwungen, am Ende mehr zu arbeiten.“

Hinzu kommt, dass die 6-Tage-Woche zwar nur dann Verwendung finden soll, wenn Arbeitgebende und Arbeitnehmende sich beidseitig dafür entscheiden, doch in der Praxis soll es einen sogenannten Aushandlungsprozess zwischen den Parteien geben. Das führt dazu, dass der Arbeitgebende im Zweifel auch gegen den Willen des Arbeitnehmenden eine 6-Tage-Woche fordern könnte, so Jens Bastian.

Kritik: Ausbeutung oder Chance?

Mit dem neuen Gesetz werden aber gleichzeitig auch andere Bestimmungen des Arbeitsrechts flexibilisiert. So können Beschränkungen von Probezeiten beispielsweise gelockert oder Kündigungen im ersten Jahr der Anstellung ausgesprochen werden. Die Gewerkschaften befürchten Missbrauch, auch wenn die Regierung Kontrollen und digitale Arbeitszeiterfassungssysteme angekündigt hat. Denn laut EU-Kommission darf die Wochenarbeitszeit 48 Stunden nicht überschreiten.

Aktuell bleibt abzuwarten, ob die 6-Tage-Woche in der Praxis Bestand haben wird und sich damit auch qualifiziertes Personal anwerben lässt. Und ob Griechenland Vorreiter auch für andere europäische Länder wird – im Kampf gegen den Fachkräftemangel.

Auch beim Nachbarn Österreich ist die Debatte in vollem Gange. „Österreich ist sicher kein Land der Faulpelze“, sagt Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV) bei einem Pressegespräch im April. Er fordert keine Arbeitszeitverkürzung, wie die SPÖ, sondern „es brauche eine 41-Stunden-Woche ohne Lohnerhöhung“.

Im Vergleich: Arbeiten die Deutschen zu wenig?

In Deutschland werden die Stimmen immer lauter, um aus der Krise zu kommen, müsste mehr gearbeitet werden. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (57, CSU) lobt gerade die 6-Tage-Woche Griechenlands und fordert von den Deutschen mehr Fleiß. Söder sagte zu „Bild am Sonntag“: „In Griechenland gibt es jetzt zum Beispiel eine 6-Tage-Woche, bei uns wird über eine Vier-Tage-Woche diskutiert. So werden wir den Rückstand nicht aufholen. Wir müssen wieder mehr arbeiten.“

Angesichts der wirtschaftlichen Stagnation raten einige Unternehmensvorstände und Politiker zu längeren Arbeitszeiten der Bürger. So verlangt die FDP, dass die Steuer auf Überstunden sinkt, damit diese attraktiver werden. Auch sollen die Beschäftigten später in Rente gehen.

Das schwache Wirtschaftswachstum bildet eine Begründung für die Forderung nach längeren Arbeitszeiten. Der Zusammenhang ist einfach: Wenn die Erwerbspersonen mehr Stunden tätig sind, stellen sie mehr Waren und Dienstleistungen her, es wird mehr verkauft, die Unternehmen verdienen besser, vielleicht investieren sie auch zusätzlich. Die Wirtschaftsleistung könnte steigen.

Mehr als fünf Millionen Erwerbspersonen weniger

Aber es herrscht Fachkräftemangel. Firmen finden monatelang keine geeigneten Bewerberinnen und Bewerber. Das sind Probleme, die sich in den kommenden Jahrzehnten vermutlich verschärfen werden, denn Millionen Angehörige der geburtenstarken Jahrgänge beenden bald ihr Berufsleben. Die Einwohnerschaft Deutschlands soll bis 2060 um etwa zwölf Millionen auf 72 Millionen Leute sinken und die Zahl der Erwerbspersonen um mehr als fünf Millionen im Vergleich zu heute zurückgehen, schätzt das Forschungsinstitut IAB der Bundesagentur für Arbeit. Längere Beschäftigungszeiten könnten diesen Personalmangel mildern, heißt es.

Interessant: Während in Deutschland insgesamt mehr geschuftet wird, sinkt die Dauer der bezahlten Tätigkeit pro Person. Den DIW-Angaben zufolge betrug 1991 die wöchentliche Durchschnittsarbeitszeit 39 Stunden, jetzt sind es noch 36,5 Stunden.

Fazit: Im Moment möchten die meisten Deutschen eher weniger arbeiten. Sie können auch Gehaltseinbußen in Kauf zu nehmen, weil sie es sich leisten können. Für die, die das nicht können, wäre eine freiwillige, ordentlich bezahlte Sechstagewoche, sicher eine Option. Noch sieht die Politik eher die Lösungsansätze, Frauen aus der Teilzeitfalle zu holen, ältere Arbeitnehmer länger zu beschäftigen und Einwanderer per Fachkräftegesetz anzuwerben. Dennoch wird Deutschland nicht umhinkommen, als Anreiz, die Abgabenlast für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu senken. So könnte man sich auch eine Erhöhung des Mindestlohnes sparen. Aber dann hätte ja der Staat weniger Steuereinnahmen.

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Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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