Politik

DWN-Interview mit Otto Fricke: Haushalt 2025 muss ohne Notlagenbeschluss kommen - trotz Ukraine-Krieg!

Lesezeit: 13 min
08.07.2024 17:54  Aktualisiert: 08.07.2024 17:54
Die Bundesregierung hat sich über den Haushalt 2025 verständigt. Am 16. Juli soll der Etat beschlossen werden, dann kommt die Stunde der Haushaltsexperten im Bundestag. Gut möglich, dass alles erst am 20. Dezember 2024 in Sack und Tüten ist - mit der allerletzten Bundesratssitzung des Jahres. Das sagte Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten. Es gebe zwar noch große Meinungs-Verschiedenheiten, doch die seien „schon im Koalitionsvertrag angelegt“ gewesen.
DWN-Interview mit Otto Fricke: Haushalt 2025 muss ohne Notlagenbeschluss kommen - trotz Ukraine-Krieg!
Bleibt Optimist: Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, äußert sich im Interview zu den Gesprächen in der Ampel-Koalition (Foto: dpa).

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DWN: Am vergangenen Freitag haben sich die Spitzen der Ampel-Koalition nach langen Verhandlungen auf eine Einigung über den Bundeshaushalt 2025 verständigt. Sehr geehrter Herr Fricke, ab sofort geht es in die Details - und an das Eingemachte. Die Stunde der Haushälter ist gekommen. Sind Sie beunruhigt deswegen?

Otto Fricke: Nein, nicht wirklich. Ich bin ja als Rheinländer immer Optimist. Nervös machen gilt da nicht. Ich persönlich würde sagen: Es ist noch ein ganz schönes Stück Arbeit, aber es gibt Bewegung. Bewegung heißt für mich, man verhandelt miteinander auf Grundlage von positiven Positionen. Dann kann da auch was Gutes bei heraus kommen.

DWN: Gibt es noch viele Punkte, wo sie mit ihren Kollegen von SPD und Grünen differieren?

Fricke: Mein aktuelles Bild, um den Fortgang zu beschreiben, ist nicht mehr der Marathonlauf, auf dem wir uns befinden, sondern die Mittelstrecke. Da tun die letzten zwei Runden natürlich auch weh. Ich bin gespannt. Die müssen im Kanzleramt verhandeln, das ist zunächst eine regierungsinterne Sache. Jeder muss nachgeben. Gut ist, und auch das ist ein Grund, warum ich so positiv eingestellt bin, dass öffentlich bisher nichts bekannt wird.

DWN: Also werde ich Ihnen inhaltlich auch kaum etwas entlocken können? Sie werden vielmehr erklären, wie Haushaltsberatungen technokratisch ablaufen. Ich versuche es mal mit einem Europavergleich. Frankreich, Italien und Polen reißen alle ihre Defizitziele, dann hat Deutschland doch noch Spielraum für Investitionen, oder nicht?

Fricke; Aufgrund unserer geringeren Staatsverschuldung müssen wir umgerechnet auch etwa 20 Milliarden weniger an Zinsen zahlen als beispielsweise die Italiener. Spannend ist, dass die Länder, in denen die Gesamt- als auch die Neuverschuldung besonders hoch ist, extrem wählen. Es wird ja immer behauptet, durch mehr Ausgaben verhindere ich, dass extrem gewählt wird. Entweder, siehe Frankreich, sie hatten eine nicht extreme Regierung mit Macron, die die Ausgaben stark erhöht hat, und es wird extrem gewählt. Oder ich habe eine extreme Regierung, in Italien etwa, die weiter viel ausgibt. Woran liegt das? Das sind die zunehmenden Anforderungen an den Staat, das ist der Glaube, der Staat könne alles machen und erledigen, dieser Irrglaube, der Staat könne alle Probleme lösen.

DWN: Heißt das auf Deutschland übertragen, wenn die AfD jetzt ans Ruder käme, explodieren die Schulden, obwohl die ja immer und überall behaupten, sie hätten ein Patent-Rezept?

Fricke: Die Schulden würden möglicherweise nicht steigen, wenn die AfD eine ökonomische Partei wäre. Aber wenn man sich anschaut, wie sie im Bereich Sozialpolitik unterwegs ist, kommen daran große Zweifel auf. Die AfD behauptet, sie würde weniger Geld für Ausländer ausgeben. Sie sagt aber nicht, dass sie weniger Geld ausgeben würde für Bürgergeld für sogenannte Nichtausländer. Also kann man eher davon ausgehen, dass auch hier wie bei anderen populistischen Parteien dem erkennbaren Muster gefolgt wird. Die AfD hat kein wirkliches Rentenprogramm, also geht der Rentenzuschuss aus dem Bundeshaushalt hoch.

DWN: Es verengt sich in der öffentlichen Debatte ja derzeit alles auf die Schuldenbremse. Sie stellen sich auf den Standpunkt, das ist grundsätzlich die Basis, auf der die Ampel verhandelt. Sie werden sich da also nicht bewegen, nehme ich an?

Fricke: Da können sich auch die anderen eigentlich nicht bewegen. Beispielsweise haben wir auch gesagt, wir reformieren das Bürgergeld, wissend, dass uns das teilweise schmerzen würde. So wie wir auch an anderen Stellen mitgemacht haben, wie zum Beispiel bei der 25-Prozent-Beteiligung an TransnetBW, dem Strom-Übertragungsnetzbetreiber in Baden-Württemberg. Obwohl das für einen Liberalen nicht schön ist. Wir wollen sicher keine Verstaatlichung. Das war für uns ein Kompromiss, mit dem wir aber leben können. So ist das auch bei dem für uns so wichtigen Einhalten der Schuldenbremse (inklusive flexibler Konjunkturkomponente). Aber eben nicht die Schwarze Null, für die wir als FDP noch nie waren.

Und zweitens: keine Steuererhöhungen. Das wussten die anderen auch, und wir haben deshalb den Koalitionsvertrag unterschrieben. Jetzt zu sagen: Wir wollen die Verfassung ändern, nicht etwa nur eine Regel, sondern gleich die Verfassung umschreiben. Zumal ich es für eine sinnlose Diskussion halte, weil die CDU im Moment einen Teufel tun würde und einer Änderung der Schuldenbremse im Grundgesetz zustimmen würde.

DWN: Der Bürger glaubt ja, der Haushalt ist ein unüberschaubarer Wust von Positionen, aber in Wirklichkeit streiten Sie sich noch nur über eine sehr überschaubare Zahl von Sachfragen, oder?

Fricke: Jein! Man muss verstehen, dass der Haushalt auf zwei Kernregeln basiert. Der Haushalt ist ein Gesetz. Mit erster Lesung, Ausschussberatung und zweiter, dritter Lesung im Bundestag. Auch mit Entscheidung des Bundesrats, es ist ein Einspruchsgesetz. Innerhalb dieses Gesetzes mit seinen über 4000 Einzelpositionen, mit Anmerkungen und Bemerkungen, kann man theoretisch alles klären. Man kann über die Frage Personaländerung die Höhe der Personalkosten bestimmen. Man kann über Subventionsregeln Subventionsausgaben ändern. Oder über die Frage der Einspeisevergütung im Klima- und Transformationsfonds (KTF) Ausgaben ändern.

Der KTF ist auch Teil des Haushalts und kein Schattenhaushalt, er stellt ein Sondervermögen dar. Hierfür kann man auch die Höhe eines Zuschusses regeln. Und jetzt kommt das Besondere: Daneben gibt es Positionen, die stehen eigentlich fest, weil Leistungsgesetze - Stichwort Rente oder Bürgergeld - festlegen, wieviel der Staat seinen Bürgern zahlen muss. Doch man kann während der Haushaltsberatungen solche Gesetze durchaus ändern. Das hat man im letzten Jahr auch getan. Ich nenne immer gern das Beispiel des Elterngeldes.

Deswegen: In der Theorie kann man fast alles im Haushalt ändern, in der Praxis nimmt man meist auf nur 15 bis 20 Prozent Einfluss, weil man an bestimmte Dinge nicht ran geht. Aber möglich wäre das. Ich gehe davon aus, dass wir auch im Haushalt 2025, wie schon 2024, über ein sogenanntes Haushaltsbegleitgesetz bzw. Haushaltsfinanzierungsgesetz auch noch an Dinge herangehen, die in Leistungsgesetzen geregelt sind.

DWN: Um wie viele Positionen geht es denn genau?

Fricke: Im oberen dreistelligen Bereich! Wir haben beim Haushalt für das Jahr 2024 etwa 900 erfolgreiche Änderungsanträge im parlamentarischen Verfahren gehabt. Man darf auch da nicht vergessen, viele der Veränderungen tauchen gar nicht auf, weil man sie nicht sofort sieht. Erst später heißt es denn, ach das habt ihr ja auch noch verändert. Beispiel: Wir haben in Leuna bei einem Projekt für E-Fuels das Problem gehabt, dass die Bundesregierung nicht in der Lage war, das Forschungsvorhaben weiter zu finanzieren. Dann haben wir drei haushaltspolitischen Sprecher die benötigten Mittel auf unterschiedlichen Wegen bereitstellen können und so das Vorhaben auch für die nächsten Jahre absichern können. Das kriegt man oftmals gar nicht mit, dass das auf einer Haushaltsänderung beruht. Ein anderes Beispiel im Kulturbereich ist das Goethe-Nationalmuseum in Weimar. Da sorgt der Bund, obwohl er für Kultur gar nicht zuständig ist, aufgrund der nationalen Bedeutung gemeinsam mit dem Land Thüringen, der Klassik Stiftung Weimar und in diesem Fall – erfreulicherweise – auch mit starken privaten Geldgebern für eine gemeinsame Finanzierungsgrundlage. Aber so etwas zeigt sich meist erst, wenn die Diskussion darüber in der Öffentlichkeit beginnt. Also ja, der Haushälter macht nicht die große Politik. Aber er kann in vielen Details an den kleinen Schrauben drehen und Dinge regeln.

DWN: Es werden nur wenige Positionen sein, die sie letztlich kommunizieren müssen.

Fricke: Ja, oder noch besser formuliert: je weniger ich kommuniziere, was ich geändert habe, umso besser kann ich es ändern, weil es bei jeder Änderung Widerstand gibt. Bei Kürzungen zum Beispiel ist der Effekt bei der betroffenen Gruppe immer: Sorgsam haushalten ja, aber nicht bei mir! Wenn man aber das Gesamtbild betrachtet, bei jedem ein bisschen, dann fällt die öffentliche Vermittlung deutlich leichter. Manche Dinge sind aber auch Automatismen: Wenn zum Beispiel die neue Steuerschätzung kommt, dann ändert man noch mal Haushaltspunkte oder wenn sich bei der Arbeitslosigkeit oder bei den Zinsen die Annahmen ändern, werden diese Posten angepasst. Es ändert sich oft deshalb so viel, weil zwischen dem Beschluss des Kabinetts im Juli und dem Beschluss des Bundestags noch einmal gut fünf Monate vergehen.

DWN: Gibt es denn nicht die eine oder andere Schnittstelle, bei der man zur Abwechslung auch ganz gut zu Kompromissen kommen kann?

Fricke: Man wird nicht drum herumkommen den Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, anzufassen. Da kommt natürlich sofort der Reflex: Aha! Die FDP will bei Sozialleistungen kürzen. Die Antwort lautet: Nein! Aber man muss unterscheiden zwischen Leistungen für Findige, die behaupten, sie seien sozial bedürftig, und den Leistungen für Schwache.

Die Aussage unseres Parteivorsitzenden Christian Lindner ist im Übrigen nie gewesen, wir kürzen, sondern es gibt keine Erhöhungen und auch keine Einführung neuer Sozialleistungen. Die SPD, auch wenn es erst mal nur um kleine Summen im Ertrag geht, verändert ihre Position auch längst. Im letzten Haushalt hat die SPD zum Beispiel ihre Positionen zu den sogenannten Totalverweigerern geändert. Das sind diejenigen, die zum Amt gehen und sagen, ich bin überhaupt nicht bereit, irgendetwas zu tun. Bei diesem Punkt hat die SPD eingeräumt, dass man für eine bestimmte Zeit die Leistungen kürzen kann, weil die gesellschaftliche Solidarität zielgerichtet und bewusst boykottiert wird.

Dabei geht es „nur“ um einen zweistelligen Millionenbetrag im Jahr. Das ist nicht viel bei einem 175 Milliarden starken Sozialhaushalt. Aber jetzt hat die SPD auch gesagt, wer schwarz arbeitet und dabei erwischt wird, dem sollte man, wenigstens für eine bestimmte Zeit, zwei oder drei Monate, die Mittel kürzen dürfen. Die zentrale Frage wird auch in Zukunft eine Leistung ohne wirkliche Bedürftigkeit sein.

DWN: Was gibt die FDP im Gegenzug ihren Koalitionspartnern? Den Solidaritätszuschlag?

Fricke: Ich bin mir sicher, wir werden auch etwas geben müssen. Aber es wäre kontraproduktiv, wenn ich das jetzt hier an dieser Stelle sagen würde. Am Ende geht es um das berühmte Gesamtpaket, das wir schnüren müssen. Keiner ist Gewinner, keiner ist Verlierer und keiner geht aus der Kneipe raus, bevor nicht die Rechnung bezahlt ist, wie man bei uns am Niederrhein sagt.

DWN: Es gibt Leute, die sagen, das kann nicht gutgehen. Und andere behaupten, in der Ampel haben alle der drei Partner so viel zu verlieren derzeit, deshalb raufen sie sich wieder zusammen.

Fricke: Ich mache schon seit 2002 Haushaltspolitik. Es gab immer wieder diese Situationen die, wie jetzt, zu den anstrengenderen gehören. Aber, ganz ehrlich, auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im letzten Jahr hieß es überall, das kriegen die nie und niemals hin…

DWN: Da gab es aber auch noch eine Euphorie und einen Aufbruchswillen in der Regierung.

Fricke: Naja, nach dem Urteil war das für mich im Großen und Ganzen noch sehr übersichtlich, was da zu machen war. Jetzt haben wir mit den Europawahl-Ergebnissen und den Wahlen in den ostdeutschen Ländern bei den drei Koalitionspartnern noch einmal unterschiedliche Ausgangslagen. Doch wenn ich das mit den Krisen vergleiche, die wir früher hatten, mit der Finanzkrise 2008, mit der Euro-Krise, mit den Hilfen für den Autobauer Opel …

Was wir da so alles schon hatten, wo die Welt tatsächlich hätte untergehen können, wenn wir nicht an einem Samstag, Sonntag reagiert hätten. Das ist alles viel schlimmer gewesen, als es jetzt ist. Denn jetzt geht davon nicht die Welt unter, sondern sie wird nur schwieriger. Oder nehmen Sie, bevor 2009 bis 2013 die FDP dran war, die Koch-Steinbrück-Liste oder die Reformen, die unter Gerhard Schröder (SPD) zur Agenda 2010 geführt haben. Damals hat es keiner vorher für möglich gehalten, dass man so etwas macht; wir waren in einer Lage mit über fünf Millionen Arbeitslosen und einem Haushalt, der nicht ausgeglichen war.

DWN: Was wäre denn ein Ausnahmetatbestand, wo die Schuldenbremse greifen würde?

Fricke: Sie meinen die Notsituation? Das Verfassungsgericht hat das sehr eng dargelegt, und jetzt muss kurz mal der Jurist ran und nicht der Haushälter. Im Wesentlichen geht es um vier Punkte: Eine außergewöhnliche Notsituation, die sich der Kontrolle des Staates entzieht. Das kann zum Beispiel ein Erdbeben sein, ein Vulkanausbruch oder ein Hochwasser, aber - Achtung! - eine außergewöhnliche Notsituation.

Und das heißt: Es muss außerhalb der Gewohnheit sein. Und so schlimm die Situation in der Ukraine ist, und so wichtig es ist, der Ukraine zu helfen, es ist keine außergewöhnliche Situation mehr. Es ist eine schlimme Situation, eine harte Lage. Es ist eine, die uns wirklich viel Unterstützung abverlangt, weil unser System und unsere Art zu leben dort verteidigt wird. Aber nach über zwei Jahren ist es eben nicht mehr außerhalb der Gewohnheit.

Auf langfristige Herausforderung muss sich der – ich nenne ihn immer Kernhaushalt – einstellen und das kann er auch. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes gibt es nun zwei Alternativen sich zu entscheiden: entweder man erhöht die Steuern oder gibt das Geld woanders aus. Was nicht geht, ist zu sagen, das ist eine dauerhafte Notsituation. Sonst könnte man zum Beispiel auch argumentieren, die Klimakrise wäre eine außergewöhnliche Notsituation. Doch, so wie ich die Sache verstehe, ist es eine Aufgabe des Staates sich darauf einzustellen.

Anders gefragt, was könnte eine Ausnahme von der Schuldenbremse begründen? Das könnte unter bestimmten Umständen zum Beispiel, eine weitreichende Frontveränderung sein, oder wir hätten in Deutschland zehn Millionen mehr Flüchtlinge, zumindest wenn das eine sehr plötzliche und sehr schnelle Änderung wäre.

DWN: Und was ist, wenn unsere großen Partner in Europa alle plötzlich den Hahn zudrehen?

Fricke: Wenn wir feststellen, dass sich die Situation so außergewöhnlich schnell verschlechtert, dass wir nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes eine außergewöhnliche Notsituation haben, dann ja. Aber selbst dann müssten wir immer einen Konnex haben zwischen den Mehrschulden, die wir machen, und dieser Notsituation. Es geht also nicht zu sagen, das ist eine Notsituation, jetzt geben wir einfach mehr Geld für die Rente aus oder mehr Geld für Bürgergeld. Die Ausnahme gilt immer nur für krisenbedingte Mehrausgaben.

Umgekehrtes Beispiel: Ahrtal, am Anfang eine außergewöhnliche Situation. Jetzt aber sagt jeder, nein, wir müssen denen helfen, aber aus den normalen Haushaltsmitteln. Entweder Steuern erhöhen oder an anderer Stelle weniger ausgeben.

DWN: Es gibt Leute, die sagen in Europa für die Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommen, zahlen wir ja auch schon mehr oder weniger alleine. Wenn wir demnächst für den Krieg in der Ukraine auch noch für die anderen europäischen Partnerländer die Kosten mitfinanzieren müssen und dann in 2025 womöglich noch die USA als Geldgeber ausfallen, was dann?

Fricke: Dann haben wir weiterhin eine schwierige Situation. Klar, dann würde ich auch sagen, das geht so nicht weiter. Aber es ist keine außergewöhnliche Notsituation im Sinne der Verfassung.

Der Denkfehler, den viele machen, ist, die Politik definiert, wann eine außergewöhnliche Situation vorliegt. Das Gericht hat gesagt, eine Situation muss vorliegen, und erst dann kann die Politik entscheiden, ob sie mit Kanzlermehrheit eine Notsituation auch erklärt. Die Erklärung einer Notsituation ist übrigens – auch das hat das Urteil deutlich gemacht – immer auch gerichtlich überprüfbar, teilweise bis in eine sehr große Detailtiefe hinein.

DWN: Ist es das, wenn die Amerikaner und Franzosen aus der Finanzierung aussteigen…

Fricke: … wenn wir dann merken, dass sich dadurch die Lage so außergewöhnlich dramatisch verschlechtert, dass wir plötzlich in einer nicht mehr beherrschbaren Notsituation sind, die die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt, dann ja. Aber erst dann. Die andere Frage innerhalb Europas wäre, welche Kosten wir übernehmen. Ja, da ist Deutschland inzwischen Hauptfluchtort, wir haben knapp 25 Prozent der Wirtschaftsleistung, aber übernehmen 60 Prozent der Flüchtlinge. Das passt irgendwie nicht ganz, hat aber auch damit zu tun, dass Osteuropa häufig einfach durchleitet.

DWN: Was spricht eigentlich haushaltstechnisch dagegen, dass man den Bürgern Steuervorteile anbietet, um mehr Wohnungen zu bauen?

Fricke: Eigentlich gar nichts! Wenn bei diesen Steuervorteilen Bund, Länder und Kommunen mitmachen, die dann ja alle weniger Einnahmen hätten. Damit kommen wir tatsächlich zum dritten Teil unserer Verhandlungen. Wir haben den Haushalt, das Haushaltsbegleitgesetz und drittens die Wirtschaftswende, womit wir Anreize für mehr Wirtschaftswachstum schaffen wollen. Wir wollen erreichen, dass die Bürgerinnen und Bürger etwas weniger Steuern bezahlen, dafür aber viel mehr selbst investieren. Weil sie an einen ordentlichen Ertrag glauben. Es ist übrigens dasselbe derzeit bei der Diskussion um das 49-Euro-Ticket: Soll es bei 49 Euro bleiben oder nicht besser ein etwas teureres Deutschland-Ticket, wofür die Bahn dann mehr investieren kann? Es geht also um die Frage: Wollen wir ein billigeres Ticket haben oder eine bessere Bahn?

DWN: Kann man das zahlenmäßig antizipieren, wie hoch die Kosten im Haushalt durch einen Steuervorteil ausgeglichen werden müssten beim Wohnungsbau?

Fricke: Grob kann man das. Dafür sind die Steuerschätzer da, da gibt es Berechnungsmethoden. Dann kommt noch die Frage, wieviel Zuschuss gebe ich? Wie kann ich eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren erreichen? Das führt zu so und so viel Mindereinnahmen bei der Steuer, führt aber möglicherweise an anderer Stelle zu Mehreinnahmen bei Steuern, versetzt über die Zeit.

DWN: Reden Sie konkret über das Thema Wohnungsbau in der Koalition?

Fricke: Das Thema Bau ist für den Kanzler ein ganz wichtiges Thema. Und für uns ist es das auch. Das ist ja das Spannende, an einer solchen Frage, wieviel Gemeinsamkeiten man hat. Am Anfang war es Christian Lindner, der gesagt hat, wir wollen eine Wirtschaftswende. Dann meinte auch Robert Habeck als Wirtschaftsminister, ja stimmt! Und dann hat die SPD gemeint Wirtschaft läuft doch. Gleichzeitig hat die SPD aber auch gesagt, wir bauen zu wenig. Wenn wir da eine Überschneidung finden, mit der wir das Bauen steuerlich anreizen, statt immer nur Subventionsprogramme aufzulegen, könnte das ein Zeichen setzen.

Nur mal fiktiv gedacht: Die Grünen sagen, wir wollen mehr bauen, weil wir nachhaltiger bauen müssen. So bekommen wir auf Dauer mehr Wohnungen mit einem besseren energetischen Zustand. Das ist dringend notwendig, um Energie einzusparen und sorgt für einen geringeren CO-2-Verbrauch. Die SPD sagt, wir sorgen dafür, dass die Leute endlich bezahlbare Wohnungen haben, die Grünen sagen, wir bringen den Klimaschutz im Wohnen voran und die FDP sagt, wir sorgen dafür, dass die Wirtschaft angekurbelt wird. Dann wäre das ein gutes Beispiel, wo alle drei gut rauskommen.

Die Frage ist: Schaffen wir das zu dritt oder scheren zwei aus? Nicht nur beim Bauen, auch bei der Schiene wäre es ja möglich. Bei der Straße leider nicht, weil das die Grünen nicht wollen. Aber Bau ist ein gutes Beispiel, weil man sich da gut in Richtung Nachhaltigkeit bewegen kann.

DWN: Herr Fricke, wie ist das mit den Investitionen in die Bahn-Infrastruktur? Wie schlägt das haushaltstechnisch durch?

Fricke: Kommt darauf an, wie man es macht. Es gibt ungefähr 20 Punkte, für die die Bahn vom Bund Mittel bekommt. Zum Beispiel für das Eigenkapital. Dafür haben wir gerade erst vier Milliarden bereitgestellt, die sie nun für Investitionen einsetzen kann. Zweitens: Wir geben der Bahn Mittel, um Schienenstränge in Ordnung zu bringen, Brücken zu renovieren oder zu bauen. Das Dritte ist: Wir geben der Bahn Mittel für neue Waggons und Loks. Es gibt aber auch Mittel, um das Mobilfunksystem auszubauen.

DWN: Wo erreicht man mit Geld die beste Hebelwirkung, mit KfW-Darlehen vielleicht?

Fricke: Ja, die KfW ist dabei auch immer wieder gefragt. Das Problem ist, zum Beispiel beim Heizungsgesetz, wenn man sagt, 70 Prozent für die neuen Heizungen werden bezahlt, dann ist leider auch der Hebel nicht mehr besonders hoch. Es sei denn, der Eigentümer hätte sonst gar nichts gemacht. Es könnte aber sein, dass wenn die Heizung ausgetauscht wird, zugleich noch das komplette Dach saniert und mit einer Solaranlage ausstattet wird. Dann ist der Hebel natürlich viel höher. Nur kann man das nicht immer auf den Cent genau nachrechnen.

Investitionen helfen zumeist dann, wenn es sich um besonders arbeitsstundenintensive Investitionen handelt. Also vor allem Handwerker-Leistungen. Das geht aber nur, wenn es auch tatsächlich genug Handwerker gibt, sonst schiebt man ja die Investitionen nach hinten raus oder verteuert die Leistung einfach nur inflationär.

DWN: In der Abwägung zwischen KfW-Mitteln und Steuerbegünstigungen, was wirkt da besser, damit die Leute in der Breite der Gesellschaft selbst investieren? Denn, bei Olaf Scholz habe ich immer die Sorge, dass er noch in den 70er-Jahren lebt und am liebsten große Siedlungen bauen möchte und zu sehr an die öffentliche Hand als Bauherr glaubt.

Fricke: Ja, Olaf Scholz - aber auch die CDU - denken, in den „Economies of scale“ immer eher an Großeinheiten. Das konnte man auch beim Netzausbau sehen. Das Problem bei Zuschüssen ist, dass Beamte das Kontrollieren wollen und sagen: Das will ich, das will ich nicht! Würden wir es über Steuern regeln und die üblichen baurechtlichen Ordnungen beachten, kann jeder selbst entscheiden, was geht und was nicht.

DWN: Zum Beispiel bei der Heizungsfrage…weil die Bürger selbst am besten begreifen, was für sie die beste Investition ist, oder?

Fricke: Bei den Heizungen ja, oder nehmen wir das berühmte Mehrfamilienhaus, wo man zu dem Ergebnis kommen könnte, dass die Wärmepumpe die beste Lösung darstellt. Dann könnte man zum Beispiel das Dach ausbauen, eine weitere Etage einziehen, hätte einen Mitbewohner mehr, montiert Solarpanel aufs Dach und findet gleich die richtigen Stellen für die Wärmetauscher, wo sie niemanden lärmtechnisch stören. Alles in einem Abwasch. Das kann man nur in der kleineren Betrachtung hinbekommen. Neubaugebiete, das ist eher etwas für die Vonovias dieser Welt.

DWN: Herr Fricke, vielen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit inmitten der Haushaltsgespräche.

                                                                            ***

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.



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