Weltwirtschaft

Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Big Tech in der Cloud

Lesezeit: 4 min
14.07.2024 16:03
Die digitale Transformation hat in den letzten Jahren einen enormen Schub erfahren, und die Cloud-Technologie spielt dabei eine zentrale Rolle. Die deutsche Wirtschaft setzt zunehmend auf Cloud-Lösungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und Innovationen voranzutreiben. Doch diese Entwicklung bringt auch Herausforderungen mit sich, besonders in Bezug auf die wachsende Abhängigkeit von großen Technologieunternehmen, den sogenannten Big Tech-Firmen.

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Cloud Computing bezeichnet die Auslagerung von IT-Infrastruktur und -Dienstleistungen in Rechenzentren von Drittanbietern. Die Bedeutung der Cloud für deutsche Unternehmen wird durch aktuelle Statistiken deutlich. Das Ifo-Institut beziffert den Anteil der Cloud-Nutzung auf 46,5 Prozent und laut dem Branchenverband Bitkom nutzen mittlerweile sogar 81 Prozent der Unternehmen in Deutschland Cloud-Dienste. Welche Zahl auch immer näher an der Realität liegt, sie zeigt die hohe Adaptionsrate und wie tief die Cloud-Technologien bereits in der deutschen Wirtschaft verankert sind.

Ein weiterer Beleg für diese Entwicklung sind die erheblichen Investitionen der großen Cloud-Anbieter in Deutschland. Amazon Web Services (AWS), der weltweit führende Cloud-Anbieter, hat kürzlich angekündigt, rund 8,8 Milliarden Euro in den Ausbau seiner Cloud-Infrastruktur in Deutschland zu investieren. Auch Google hat im Oktober 2023 sein erstes eigenes Cloud-Rechenzentrum in Deutschland eröffnet und Microsoft hat Anfang 2024 seine Kapazitäten in Deutschland verdoppelt. Diese massiven Investitionen unterstreichen die Bedeutung und das Potential Deutschlands als Standort für Cloud-Infrastrukturen.

Gründe für die Cloud-Nutzung

Die Gründe für die zunehmende Nutzung von Cloud Computing-Diensten durch deutsche Unternehmen sind vielfältig. Der KPMG Cloud Monitor 2023 gibt einen detaillierten Einblick in die Motive der Unternehmen:

  1. Flexibilität und Skalierbarkeit: Cloud-Lösungen ermöglichen es Unternehmen, ihre IT-Ressourcen flexibel und bedarfsgerecht zu skalieren, was in dynamischen Geschäftsfeldern von Vorteil ist.

  2. Beschleunigung von Innovationen: Die Cloud ermöglicht es Unternehmen, neue Produkte und Dienstleistungen schneller zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Durch den direkten Zugriff auf neueste Technologien können Ideen schnell getestet und umgesetzt werden.

  3. Kosten sparen: Durch die Nutzung von Cloud-Diensten können Unternehmen ihre IT-Infrastrukturkosten deutlich senken. Zudem können sie dem Fachkräftemangel entgegenwirken, da sie weniger eigenes IT-Personal benötigen.

  4. Zugang zu neuesten Technologien: Cloud-Anbieter stellen regelmäßig aktualisierte und innovative Technologien zur Verfügung. Viele neue KI-Funktionen sind nur über Cloud-Dienste verfügbar, während eigenständige Software diese Möglichkeiten nicht bietet.

  5. Höhere Datensicherheit: Professionelle Cloud-Anbieter investieren massiv in Sicherheitsmaßnahmen, die viele Unternehmen intern nicht umsetzen könnten.

  6. Verbesserte Zusammenarbeit: Cloud-basierte Kollaborationstools erleichtern die Zusammenarbeit in verteilten Teams. Anwendungen und Daten sind in der Cloud auch für Mitarbeitende im Home Office jederzeit verfügbar.

Marktdominanz globaler Tech-Konzerne

Die Cloud-Technologie eröffnet der deutschen Wirtschaft zweifellos enorme Chancen. Allerdings bringt die zunehmende Abhängigkeit von großen Technologiekonzernen auch Risiken mit sich, die nicht übersehen werden dürfen.

Ein zentrales Thema ist die Marktkonzentration. Deutsche Unternehmen sollten ihre Beziehungen zu den großen US-Technologiekonzernen sorgfältig managen. Laut einer Analyse der Synergy Research Group schrumpft der Marktanteil europäischer Cloud-Anbieter stetig, während US-Giganten wie Amazon, Microsoft und Google ihre Dominanz weiter ausbauen. Diese Entwicklung verstärkt die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von ausländischen Technologieunternehmen. Diese Unternehmen gewinnen durch die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten tiefere Einblicke in die Kernprozesse deutscher Firmen und profitieren zudem finanziell, indem sie einen Großteil der Margen abschöpfen.

Die wachsende Abhängigkeit zeigt sich an konkreten Beispielen: Der Volkswagen-Konzern setzt bei seiner digitalen Transformation stark auf AWS-Dienste. VW nutzt die Cloud-Plattform nicht nur für die IT-Infrastruktur, sondern auch für fortgeschrittene Anwendungen wie die Entwicklung autonomer Fahrzeuge und die Optimierung von Produktionsprozessen. Siemens vertraut für seinen „Industrial Copilot“ auf die Technologie von Microsoft. Während Siemens keine zusätzlichen Kosten für das Produkt in Rechnung stellt, profitiert Microsoft direkt durch höhere Umsätze aus abgerechneten Cloud-Leistungen.

Strategien zur Reduzierung der Abhängigkeit

Um die Risiken einer zu starken Abhängigkeit zu mindern, können Unternehmen verschiedene Strategien verfolgen:

  1. Multi-Cloud-Ansatz: Durch die Nutzung mehrerer Cloud-Anbieter können Unternehmen vermeiden, wegen entstehender Wechselkosten oder sonstiger Wechselbarrieren an einem Anbieter gebunden zu sein. Allerdings nimmt die Komplexität stark zu und die Anforderungen an eine ganzheitliche Unternehmensstrategie steigen.

  2. Klare Bedingungen für Datenmigration: Unternehmen sollten von Anfang an klare Vereinbarungen darüber treffen, wie Daten im Bedarfsfall zu einem anderen Anbieter migriert werden können. Dies erleichtert einen reibungslosen Wechsel und minimiert Ausfallzeiten.

  3. Lokale Backups: Regelmäßige lokale Sicherungen kritischer Daten gewährleisten, dass Unternehmen auch bei Problemen mit dem Cloud-Anbieter weiterhin handlungsfähig bleiben und Datenverluste vermeiden.

  4. Investitionen in eigene Kompetenzen: Der Aufbau interner Cloud-Expertise ermöglicht es Unternehmen, die Kontrolle über ihre IT-Infrastruktur zu behalten und unabhängiger von externen Dienstleistern zu agieren.

  5. Förderung europäischer Alternativen: Die Unterstützung und Nutzung europäischer Cloud-Anbieter kann langfristig zu einer diversifizierteren Anbieterlandschaft beitragen und die Abhängigkeit von US-Technologiekonzernen verringern.

Steuerliche Aspekte und wirtschaftliche Auswirkungen

Die massiven Investitionen globaler Technologiekonzerne in deutsche Cloud-Infrastrukturen werden durch attraktive steuerliche Rahmenbedingungen gefördert. Eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeigt, dass Deutschland weltweit zu den Ländern mit den höchsten Steueranreizen für den Kauf von Software und Investitionen in Hardware gehört. Dennoch führt dies oft nicht zu entsprechenden Einnahmen für den deutschen Staat, da multinationale Technologiekonzerne von Steuerschlupflöchern und komplexen internationalen Steuerstrukturen profitieren.

Um sicherzustellen, dass die wirtschaftlichen Vorteile des digitalen Wandels, vor allem im Bereich der künstlichen Intelligenz, breiter verteilt werden, sollten Regierungen weltweit nach geeigneten Maßnahmen suchen. Der globale Mindeststeuersatz von 15 Prozent, auf den sich über 140 Länder geeinigt haben, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Weitere Maßnahmen könnten eine zusätzliche Steuer auf Gewinnüberschüsse, eine höhere Besteuerung von Kapitalgewinnen und eine bessere Rechtsdurchsetzung sein. Seit den 1980er Jahren ist die Steuerlast auf Kapitaleinkommen in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften nämlich kontinuierlich gesunken, während die Steuerlast auf Arbeitseinkommen gestiegen ist.

Für Deutschland bedeutet dies eine Gratwanderung: Einerseits möchte das Land für Investitionen globaler Technologieunternehmen attraktiv bleiben, andererseits muss sichergestellt werden, dass diese Investitionen zu einem angemessenen Steueraufkommen, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zu einem nachhaltigen volkswirtschaftlichen Nutzen führen. Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen der Förderung von Innovation und der Sicherstellung fairer Steuerpraktiken zu finden.

Fazit und Ausblick

Für die Zukunft ist es entscheidend, dass deutsche Unternehmen und politische Entscheidungsträger eine ausgewogene Strategie verfolgen. Diese sollte die Vorteile der Cloud-Technologie nutzen, gleichzeitig aber auch die digitale Souveränität wahren und eine zu starke Abhängigkeit von einzelnen US-Anbietern vermeiden.

Der Staat steht vor der Aufgabe, ein Gleichgewicht zwischen der Förderung von Investitionen und der Sicherstellung eines fairen Beitrags der Tech-Giganten zum Gemeinwohl zu finden. Dies könnte die Überarbeitung von Steuergesetzen, die Förderung europäischer Plattformen wie Gaia-X und die Investition in digitale Bildung und Infrastruktur umfassen.

Letztendlich liegt es an den Unternehmen selbst, die Chancen der Cloud-Technologie zu nutzen, dabei aber stets die langfristigen Konsequenzen im Blick zu behalten. Eine kluge Mischung aus Cloud-Nutzung, Risikomanagement und dem Aufbau eigener digitaler Kompetenzen wird entscheidend sein, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, ohne in eine übermäßige Abhängigkeit zu geraten.

Die Entwicklung der kommenden Jahre wird zeigen, ob es Deutschland gelingt, die Balance zwischen Innovation und digitaler Souveränität zu finden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Vorteile der Cloud-Revolution nicht nur den Tech-Giganten, sondern der gesamten deutschen Wirtschaft und Gesellschaft zugutekommen.



 

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