Viele Krisen, wie die Covid-Pandemie, stark gestiegene Energiepreise, Inflation und der Ukrainekrieg haben mittlerweile ihre Spuren hinterlassen und nicht nur Menschen mit niedrigem Einkommen stark gebeutelt, sondern auch die deutsche Mittelschicht in weiten Teilen finanziell überfordert.
Nach der Mittelschichtsdefinition der OECD gehören Haushalte mit einem verfügbaren Jahreseinkommen als Alleinstehende von 17.475 bis 46.600 Euro, Paare ohne Kinder mit 26.212 bis 69.900 Euro und Familien mit zwei Kindern mit 36.698 bis 97.860 Euro zur deutschen Einkommensmittelschicht. Zählten 1995 noch 70 Prozent der Bevölkerung zur mittleren Einkommensgruppe, waren es bereits 2018 nur noch 64 Prozent.
Mittelschicht dominiert noch
In Deutschland gehörten im Jahr 2019 acht Prozent der Haushalte zur Schicht der Höherverdienenden und 29 Prozent zu den Niedrigverdienern. Ab dem sogenannten Mittelstandseinkommen werden die Haushalte aufgrund des progressiven Einkommensteuertarifs und der einkommensabhängigen gesetzlichen Sozialabgaben dabei zunehmend belastet. Bei den mittleren Einkommen bleibt dabei vom nächsten hinzuverdienten Euro effektiv nur die Hälfte übrig. Die Mittelschicht in Deutschland trägt die Hauptlast des deutschen Steuer- und Sozialsystems. Die Haushalte der Niedrigverdiener sind zu großen Teilen Nettotransferempfänger, die mehr staatliche Transferleistungen erhalten, als sie selbst an Steuern und Sozialabgaben bezahlen. Dies zeigt auch, dass der deutsche Sozialstaat für einen großen Teil der Bevölkerung von existenzieller Bedeutung ist.
Mittelschicht finanziert Sozialsysteme
In der Mittelschicht gärt es. Gestiegene Preise, aufkommende Politikverdrossenheit und die Angst vor Armut und sozialem Abstieg lähmt sie. Die Steuer- und Abgabenlast ist in Deutschland mittlerweile auf dem zweithöchsten Niveau der Industriestaaten angekommen. Die Mittelschicht finanziert das Sozialsystem und die Sozialleistungen steigen. Sie zahlt immer mehr Lasten und hat selbst netto immer weniger übrig. Das führt zu Frust und auch zu sozialen Spannungen.
Wie eine Studie verschiedener Non-Profit-Organisationen nun zeigt, zahlen in Deutschland Milliardäre anteilig weniger Steuern als eine Familie aus der Mittelschicht. Der durchschnittliche Abgabensatz einschließlich der Sozialabgaben liegt demnach bei Milliardären bei 26 Prozent; ein Single in Deutschland mit einem Bruttoeinkommen von 4000 Euro zahlt 35 Prozent und eine Mittelschichtsfamilie ganze 43 Prozent.
Deutschlands Mittelschicht lag im europäischen Vergleich aufgrund ihrer Größe im Jahr 2007 noch auf Rang neun und damit im oberen Drittel. Bis zum Jahr 2019 ist sie auf Platz 14 und damit ins Mittelfeld abgerutscht.
Abstiegsrisiko in der unteren Mittelschicht
Insbesondere in den vergangenen Jahren ist für die untere Mittelschicht das Abstiegsrisiko gestiegen und sie ist zunehmend von Armut bedroht. Gleichzeitig haben die Chancen abgenommen, aus den unteren Einkommen in die Mittelschicht aufzusteigen. Auch ist die Mittelschicht stärker gealtert als die gesamte Bevölkerung. Über die Hälfte der deutschen Mittelschicht ist über 45 Jahre alt.
Die Generationen, die den Babyboomern folgten, hatten es zunehmend schwer, sich in den mittleren Einkommensgruppen zu etablieren. Für die Generationen nach den Babyboomern wurde es zunehmend schwer, sich einen Platz in der mittleren Einkommensgruppe zu sichern. Dementsprechend machen sich auch gerade die jüngeren Generationen zunehmend Sorgen um steigende Lebenshaltungskosten und gehen von einer Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse aus, wie in verschiedenen Sozialstudien festgestellt wurde.
Spitzensteuersatz auch für die Mittelschicht
In Deutschland wird der Spitzensteuersatz von 42 Prozent bereits bei einem Einkommen von knapp unter 67.000 Euro fällig. Dabei wird zum Problem, dass der progressive Anstieg des Steuersatzes gerade zu Beginn sehr steil ist, wodurch gerade untere und mittlere Einkommen mit einer stark ansteigenden Steuerbelastung zu kämpfen haben. Auch ist der Spitzensteuersatz heute bereits ab dem 1,5-fachen des Durchschnittseinkommens eines Vollzeitbeschäftigten zu bezahlen; dies war 1970 erst beim 8,2-fachen des Durchschnittseinkommens der Fall.
Verschärft wird das noch durch die hohen Sozialausgaben. Die OECD stellt immer wieder fest, dass die deutschen Arbeitnehmer hier einen besonders großen Teil ihres Einkommens dafür abgeben müssen.
Steuererleichterungen für 2024
Um den steigenden Belastungen und Lebenshaltungskosten entgegenzuwirken, hat nun der Bundesfinanzminister ein Steuerentlastungspaket in Höhe von 35 Mrd. Euro noch für dieses Jahr vorgestellt. Im Rahmen der Steuererleichterungen soll der Grundfreibetrag und der Kinderfreibetrag für 2024 angehoben werden, um die Steuerlast zu senken. Zusätzlich sollen die Steuertarife an die Inflationsrate angepasst werden, um die sogenannte kalte Progression auszugleichen. Diese tritt immer dann auf, wenn Bürger rein inflationsbedingt mehr Gehalt bekommen und dann aufgrund der steigenden Steuertarife mehr Steuern bezahlen müssen.