Politik

Cannabis auf Rezept: Zwischen Boom und Bürokratie

Deutschlands Markt für medizinisches Cannabis boomt, doch Bürokratie und Lieferengpässe bremsen den Zugang für Patienten. Dabei gibt es positive Signale für eine einfachere Verschreibung – Stichwort: Genehmigungsvorbehalt.
25.08.2024 06:03
Aktualisiert: 25.08.2024 13:00
Lesezeit: 3 min

Der Markt für medizinisches Cannabis in Deutschland wächst derzeit stark. Im Jahr 2020 wird das Marktvolumen für medizinisches Cannabis hierzulande rund 231 Millionen Euro betragen, bis 2025 könnte es auf über 840 Millionen Euro anwachsen, so eine Prognose des britischen Beratungsunternehmens Prohibition Partners zur Entwicklung des Cannabismarktes in Europa. Deutschland wäre damit der größte Markt für medizinisches Cannabis in Europa. Genau dieses Potenzial hat hierzulande eine Debatte über die Zulassung und Ausweitung der Verschreibungsfähigkeit von Cannabis-Arzneimitteln ausgelöst.

Zulassungspraxis bleibt Herausforderung

Seit der Zulassung von medizinischen Cannabisprodukten im März 2017, als das sogenannte Cannabis als Medizin-Gesetz in Kraft trat, hat die Nachfrage erheblich zugenommen, da immer mehr Patienten und Ärzte das therapeutische Potenzial von Cannabis erkennen. So verzeichneten 2021 die Krankenkassen im ersten Halbjahr einen Umsatz von fast 90 Millionen Euro durch Verordnungen von medizinischen Cannabisprodukten, wie der GKV-Spitzenverband berichtet.

Trotz des wachsenden Marktes haben Patienten Schwierigkeiten, an entsprechende Medikamente zu kommen. „Die aktuelle Genehmigungspraxis ist eine große Herausforderung für Patienten und Ärzte“, erklärte etwa Christiane Neubaur, Geschäftsführerin des Verbands der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA), gegenüber dem Handelsblatt. Bis Anträge auf Kostenübernahme von den Krankenkassen bearbeitet werden, müssen Patienten lange Wartezeiten in Kauf nehmen.

Lauterbach fordert Reformen

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat daher mehrfach darauf hingewiesen, dass die Zulassungs- und Erstattungsverfahren für Cannabis als Medizin reformiert werden müssen. „Wir müssen dafür sorgen, dass Patienten, die medizinisches Cannabis benötigen, es auch ohne unnötige bürokratische Hürden bekommen“, sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Kritiker einer breiteren Zulassungspraxis wie Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, warnen hingegen vor einem erweiterten Zugang. „Es besteht die Gefahr, dass bei einer zu breiten Zulassung von Cannabispräparaten die Verschreibungspraxis aus dem Ruder läuft und Medikamente verordnet werden, ohne dass eine wirkliche medizinische Notwendigkeit besteht. Das Risiko des Missbrauchs ist dabei nicht zu unterschätzen“, so Reinhardt in einem Interview mit der Ärzte Zeitung.

Niederlande: Vorbild für liberale Cannabisregulierung

Während in Deutschland noch darüber diskutiert wird, wie der erweiterte Zugang zu medizinischen Cannabisprodukten geregelt werden soll, haben andere Länder bereits Lösungen gefunden. In den Niederlanden beispielsweise ist der Zugang zu medizinischem Cannabis seit 2003 relativ liberal geregelt. Dort können Patienten mit einem Rezept ihres Arztes Cannabis in der Apotheke erhalten. Diese Regelung ermöglicht jährlich etwa 50.000 Patienten den Zugang zu Cannabisblüten oder -extrakten für medizinische Zwecke.

Das Land gilt als Pionier bei der Regulierung von medizinischen Cannabispräparaten und verfügt über eine etablierte Infrastruktur für den Anbau, den Vertrieb und die Verschreibung von Cannabis. Der staatlich kontrollierte Anbau wird von der Cannabisagentur des Gesundheitsministeriums, dem Bureau voor Medicinale Cannabis (BMC), organisiert. Das BMC stellt sicher, dass die Qualität und der THC-Gehalt der Cannabisprodukte konstant und zuverlässig sind. Darüber hinaus gibt es in den Niederlanden deutlich weniger bürokratische Hürden: Ärzte haben mehr Freiheiten bei der Verschreibung, ohne langwierige Genehmigungsverfahren durchlaufen zu müssen.

Wenn das Gras nicht wächst: Produktionsengpässe als Dauerproblem

Anders in Deutschland: Zwar boomt der Markt für medizinisches Cannabis, doch die bürokratischen Hürden für Patienten sind hoch. Derzeit müssen Ärzte für die Erstverordnung von Cannabis eine Genehmigung der Krankenkasse einholen, was oft mit langen Wartezeiten verbunden ist. Zudem darf Cannabis nur verschrieben werden, wenn alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und Aussicht auf eine spürbare positive Wirkung besteht - bei weniger eindeutigen Indikationen oder als Erstlinientherapie ist eine Verordnung nicht zulässig.

Darüber hinaus ist die lokale Versorgungssituation noch ausbaufähig. Teilweise sind bestimmte Produkte wochenlang nicht verfügbar, so dass Patienten ihre Therapie unterbrechen oder auf weniger wirksame Alternativen ausweichen müssen. VCA-Chefin Neubaur: „Bei Lieferengpässen müssen Apotheken oft ein neues Rezept anfordern, was den Versorgungsprozess weiter verzögert.“ Um diese Engpässe zu beheben, fordern Branchenvertreter eine stärkere Förderung der heimischen Produktion. Derzeit wird der Großteil der benötigten Cannabisprodukte aus dem Ausland importiert. Schätzungen zufolge stammen etwa 40 Prozent aus Kanada und weitere 30 Prozent aus den Niederlanden.

Neue Weichenstellung für den Cannabis-Markt

Die Weichen für den weiteren Ausbau der Verschreibungspraxis von medizinischem Cannabis in Deutschland sind jedoch bereits gestellt. In einem ersten Schritt hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen, dass der Genehmigungsvorbehalt für die Erstverordnung von Cannabis durch Hausärzte, Anästhesisten und zahlreiche weitere Fachärzte künftig entfällt.

„Es bleibt dennoch wichtig, dass Ärzte weiterhin die Möglichkeit haben, bei Unsicherheiten eine Vorabgenehmigung einzuholen“, betont Dr. Sibylle Steiner, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in einer kürzlich veröffentlichten Mitteilung des KBV. Mit Inkrafttreten des Beschlusses hätten Patientinnen und Patienten einen schnelleren und einfacheren Zugang zu Cannabis als Medizin – ein klarer Fortschritt für die Versorgung.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Neue Biomüll-Verordnung ab Mai: Bis zu 2.500 Euro Strafe bei falscher Mülltrennung
30.04.2025

Ökologische Pflicht zur Mülltrennung: Ab dem 1. Mai 2025 tritt die neue Bioabfallverordnung (BioAbfV) in Deutschland in Kraft. Dann...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Die Tech-Giganten blasen zum Angriff: Neue Funktionen und digitale Machtverschiebung im Frühjahr 2025
30.04.2025

Die digitale Elite schläft nicht – sie beschleunigt. Im Frühjahr 2025 liefern die großen US-Tech-Konzerne ein beispielloses Arsenal an...

DWN
Politik
Politik Rohstoffdeal Ukraine steht kurz bevor: USA sichern sich Zugriff auf ukrainische Ressourcen
30.04.2025

Ein Durchbruch im Schatten des Krieges: Nach zähen Verhandlungen stehen die USA und die Ukraine offenbar kurz davor, ein weitreichendes...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Fall Pirelli: Beginn einer europäischen Gegenoffensive gegen Chinas Wirtschaftsmacht?
30.04.2025

Der Entzug chinesischer Kontrolle bei Pirelli markiert einen Wendepunkt: Europa ringt um Souveränität – zwischen amerikanischem Druck...

DWN
Politik
Politik Wie Trump den grünen Wandel ausbremst – Chronik eines klimapolitischen Rückschritts
30.04.2025

Während Europa sich zunehmend in grüne Bürokratie verstrickt und Milliarden für Klima-Versprechen mobilisiert, marschiert der ehemalige...

DWN
Panorama
Panorama Inflationsrate sinkt auf 2,1 Prozent – Lebensmittelpreise steigen aber weiter
30.04.2025

Die Inflation in Deutschland geht leicht zurück – doch die Entlastung kommt nicht überall an. Während Energie günstiger wird, ziehen...

DWN
Technologie
Technologie Im Moment gewinnen wir gegen die künstliche Intelligenz – noch
30.04.2025

Im Wettrennen zwischen Mensch und Maschine scheint die Entscheidung längst gefallen: Algorithmen rechnen schneller, analysieren...

DWN
Politik
Politik 100 Tage Präsident: Trump gibt sich Bestnoten
30.04.2025

Donald Trump hat seine ersten einhundert Tage der neuen Amtszeit zum Triumphzug erklärt – mit scharfen Angriffen auf Joe Biden, Justiz,...