Der Markt für medizinisches Cannabis in Deutschland wächst derzeit stark. Im Jahr 2020 wird das Marktvolumen für medizinisches Cannabis hierzulande rund 231 Millionen Euro betragen, bis 2025 könnte es auf über 840 Millionen Euro anwachsen, so eine Prognose des britischen Beratungsunternehmens Prohibition Partners zur Entwicklung des Cannabismarktes in Europa. Deutschland wäre damit der größte Markt für medizinisches Cannabis in Europa. Genau dieses Potenzial hat hierzulande eine Debatte über die Zulassung und Ausweitung der Verschreibungsfähigkeit von Cannabis-Arzneimitteln ausgelöst.
Zulassungspraxis bleibt Herausforderung
Seit der Zulassung von medizinischen Cannabisprodukten im März 2017, als das sogenannte Cannabis als Medizin-Gesetz in Kraft trat, hat die Nachfrage erheblich zugenommen, da immer mehr Patienten und Ärzte das therapeutische Potenzial von Cannabis erkennen. So verzeichneten 2021 die Krankenkassen im ersten Halbjahr einen Umsatz von fast 90 Millionen Euro durch Verordnungen von medizinischen Cannabisprodukten, wie der GKV-Spitzenverband berichtet.
Trotz des wachsenden Marktes haben Patienten Schwierigkeiten, an entsprechende Medikamente zu kommen. „Die aktuelle Genehmigungspraxis ist eine große Herausforderung für Patienten und Ärzte“, erklärte etwa Christiane Neubaur, Geschäftsführerin des Verbands der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA), gegenüber dem Handelsblatt. Bis Anträge auf Kostenübernahme von den Krankenkassen bearbeitet werden, müssen Patienten lange Wartezeiten in Kauf nehmen.
Lauterbach fordert Reformen
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat daher mehrfach darauf hingewiesen, dass die Zulassungs- und Erstattungsverfahren für Cannabis als Medizin reformiert werden müssen. „Wir müssen dafür sorgen, dass Patienten, die medizinisches Cannabis benötigen, es auch ohne unnötige bürokratische Hürden bekommen“, sagte er der Süddeutschen Zeitung.
Kritiker einer breiteren Zulassungspraxis wie Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, warnen hingegen vor einem erweiterten Zugang. „Es besteht die Gefahr, dass bei einer zu breiten Zulassung von Cannabispräparaten die Verschreibungspraxis aus dem Ruder läuft und Medikamente verordnet werden, ohne dass eine wirkliche medizinische Notwendigkeit besteht. Das Risiko des Missbrauchs ist dabei nicht zu unterschätzen“, so Reinhardt in einem Interview mit der Ärzte Zeitung.
Niederlande: Vorbild für liberale Cannabisregulierung
Während in Deutschland noch darüber diskutiert wird, wie der erweiterte Zugang zu medizinischen Cannabisprodukten geregelt werden soll, haben andere Länder bereits Lösungen gefunden. In den Niederlanden beispielsweise ist der Zugang zu medizinischem Cannabis seit 2003 relativ liberal geregelt. Dort können Patienten mit einem Rezept ihres Arztes Cannabis in der Apotheke erhalten. Diese Regelung ermöglicht jährlich etwa 50.000 Patienten den Zugang zu Cannabisblüten oder -extrakten für medizinische Zwecke.
Das Land gilt als Pionier bei der Regulierung von medizinischen Cannabispräparaten und verfügt über eine etablierte Infrastruktur für den Anbau, den Vertrieb und die Verschreibung von Cannabis. Der staatlich kontrollierte Anbau wird von der Cannabisagentur des Gesundheitsministeriums, dem Bureau voor Medicinale Cannabis (BMC), organisiert. Das BMC stellt sicher, dass die Qualität und der THC-Gehalt der Cannabisprodukte konstant und zuverlässig sind. Darüber hinaus gibt es in den Niederlanden deutlich weniger bürokratische Hürden: Ärzte haben mehr Freiheiten bei der Verschreibung, ohne langwierige Genehmigungsverfahren durchlaufen zu müssen.
Wenn das Gras nicht wächst: Produktionsengpässe als Dauerproblem
Anders in Deutschland: Zwar boomt der Markt für medizinisches Cannabis, doch die bürokratischen Hürden für Patienten sind hoch. Derzeit müssen Ärzte für die Erstverordnung von Cannabis eine Genehmigung der Krankenkasse einholen, was oft mit langen Wartezeiten verbunden ist. Zudem darf Cannabis nur verschrieben werden, wenn alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und Aussicht auf eine spürbare positive Wirkung besteht - bei weniger eindeutigen Indikationen oder als Erstlinientherapie ist eine Verordnung nicht zulässig.
Darüber hinaus ist die lokale Versorgungssituation noch ausbaufähig. Teilweise sind bestimmte Produkte wochenlang nicht verfügbar, so dass Patienten ihre Therapie unterbrechen oder auf weniger wirksame Alternativen ausweichen müssen. VCA-Chefin Neubaur: „Bei Lieferengpässen müssen Apotheken oft ein neues Rezept anfordern, was den Versorgungsprozess weiter verzögert.“ Um diese Engpässe zu beheben, fordern Branchenvertreter eine stärkere Förderung der heimischen Produktion. Derzeit wird der Großteil der benötigten Cannabisprodukte aus dem Ausland importiert. Schätzungen zufolge stammen etwa 40 Prozent aus Kanada und weitere 30 Prozent aus den Niederlanden.
Neue Weichenstellung für den Cannabis-Markt
Die Weichen für den weiteren Ausbau der Verschreibungspraxis von medizinischem Cannabis in Deutschland sind jedoch bereits gestellt. In einem ersten Schritt hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen, dass der Genehmigungsvorbehalt für die Erstverordnung von Cannabis durch Hausärzte, Anästhesisten und zahlreiche weitere Fachärzte künftig entfällt.
„Es bleibt dennoch wichtig, dass Ärzte weiterhin die Möglichkeit haben, bei Unsicherheiten eine Vorabgenehmigung einzuholen“, betont Dr. Sibylle Steiner, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in einer kürzlich veröffentlichten Mitteilung des KBV. Mit Inkrafttreten des Beschlusses hätten Patientinnen und Patienten einen schnelleren und einfacheren Zugang zu Cannabis als Medizin – ein klarer Fortschritt für die Versorgung.