Es gab Zeiten, da wurde Berlin für seine Ämter und deren unvorstellbar lange Bearbeitungszeiten ausgelacht. Geradezu legendär sind die Geschichten über sich stapelnde Wohngeldanträge, misslungene Passverlängerungen, eine telefonisch nicht erreichbare Polizei, hunderttausende unbearbeiteter Fälle und Mahnbescheide wegen fehlender Auto-Ummeldungen, die eintreffen, bevor überhaupt ein entsprechender Termin vergeben wurde.
Berliner Zustände auch beim bayerischen Provinzamt
Inzwischen ist die Häme der Bürger in Richtung Bundeshauptstadt etwas überholt. Denn auch in einstmals gut funktionierenden Stadtverwaltungen im Rest des Landes sind die Zustände nicht mehr viel anders. Sogar in einer bayerischen Provinz im tiefsten Süden der Republik, wo ja angeblich alles besser und effizienter läuft, ist Terminstau allgegenwärtig und man sollte mittlerweile für Behördentermine - angesichts der teils endlosen Wartezeiten - besser einen halben Tag einplanen.
Wer hätte schon ahnen können, wie viel Glück all diejenigen hatten, die ihren Reisepass noch Anfang 2022 beantragt haben? Für einen Termin war lediglich ein bis zwei Wochen Wartezeit erforderlich und vor Ort lief dann alles relativ reibungslos ab. Das ist heute nur noch im Traum denkbar. Jetzt müssen sich Bürger mindestens einen Monat für einen Termin gedulden und warten dann gut und gerne zwei bis drei Stunden für absolute Lappalien wie eine Wohnsitz-Anmeldung oder, noch schlimmer, die Abholung ihres Personalausweises. Das passierte früher höchstens, wenn man zu Stoßzeiten ohne Termin eine längere Dienstleistung beanspruchte.
Wenn es so weitergeht, sind so manche Studenten wohl schon exmatrikuliert und Arbeitnehmer längst wieder umgezogen, bevor sie ihren neuen Wohnsitz angemeldet bekommen. Selbst für triviale (und zudem zahlungspflichtige) Dienste wie Beglaubigungen muss man mitunter monatelang warten. Gut, dass es zumindest beim Notar um die Ecke noch normal zugeht.
Frustrierende Beamtenmentalität
Trotz dieser kafkaesken Umstände sind Kulanz und Flexibilität bei den Mitarbeitern der Lokalbehörden absolute Fremdwörter. Die allzu offenkundige Beamtenmentalität kann bittstellende Bürger schier zur Weißglut bringen. Gearbeitet wird maximal acht Stunden und keine Minute länger – ohne Ausnahmen, egal wie dringlich der Fall auch sein mag. Die halbe Stunde Pause ist sowieso unantastbar.
Ob es wohl möglich ist, heute kurz nach Schließung oder am nächsten morgen vor dem ersten Termin vorbeizukommen, frage ich naiv, als ich nach zwei Stunden Warten im bayerischen Bürgeramt feststelle, die falschen Unterlagen mitgenommen zu haben. „Nein, keine Chance“, erwidert die schroffe Sachbearbeiterin. Ein paar schnell erledigte Termine in fünf Minuten zu bündeln, ist für die Bürokraten natürlich ebenso undenkbar wie eine Mutter mit drei Kleinkindern frühzeitig von der Warterei zu erlösen. Viel wird an die nette Frau am Anmeldeschalter abgewälzt, die den frustrierten Bürgern klarmachen muss, dass es trotz Termin noch eine ganze Weile dauern könnte und man sich den Aufwand ohne Termin am besten spart.
Es wäre naheliegend, dass Personalmangel der dominierende Faktor für den jämmerlichen Status quo ist. Ähnliche Zustände zeigen sich nämlich auch in anderen chronisch unterbesetzten Bereichen, etwa im Online-Kundenservice. Der offensichtliche Vergleich zum Ämter-Chaos ist unser Gesundheitswesen. Aber an zu wenig Medizin-Absolventen kann es dort kaum liegen, denn deren Anteil an der Gesamtbevölkerung ist seit Jahrzehnten relativ konstant.
Doch die Beamtenmentalität dringt auch vermehrt in die Arztpraxen vor, die beispielsweise ihre Öffnungszeiten reduzieren, obwohl zugleich mehr Ärzte im Gemeinschaftsbetrieb arbeiten. Die hohe medizinische Nachfrage in den Städten tut dann ihr Übriges, um dafür zu sorgen, dass ein sechs Monate langer Terminstau bei bestimmten Facharztrichtungen keine Seltenheit ist. Immerhin können sich alle Kassenpatienten damit trösten, dass sie Engelsgeduld, Sarkasmus und Sitzfleisch nicht nur für Arztbesuche trainieren, sondern sich diese Tugenden auch gleich für den nächsten Behördenhang von großem Nutzen erweisen werden.
Staatsapparat bläht sich auf – aber an den falschen Stellen
Auf den ersten Blick spricht die Entwicklung des deutschen Beamtenapparats gegen einen vermeintlichen Personalmangel. Die Zahl der Stellen im öffentlichen Dienst, also Beamte und sonstige sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer, ist laut einem aktuellen Bericht des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) von 2012 bis 2022 um 584.000 Stellen oder 14 Prozent auf 4,83 Millionen gestiegen. Dass zuletzt ein erheblicher Anteil des Stellenzuwachses bei Ländern und Kommunen auf Teilzeitkräfte zurückging, ist laut IW keine Erklärung für Unterbesetzung.
Trotzdem fehlen dem Staat gemäß Zahlen des Beamtenbunds (DBB) aktuell über 550.000 Beschäftigte und die Anzeigen wegen zu hoher Arbeitsbelastung häufen sich. Der Teufel liegt im Detail. Die IW-Studie lässt erahnten, dass es in der Kommunalverwaltung tatsächlich einen Personalmangel gibt, wobei im Bereich „Wohnungswesen, Städtebau, Raumordnung und kommunale Gemeinschaftsdienste“ und in den Finanzabteilungen besonders viele Stellen gestrichen wurden. Die Experten mutmaßen, dass finanzielle Einsparungen das zentrale Motiv für den kommunalen Personalabbau sind. Es ist auch denkbar, dass pensionierte Beamte zunehmend nicht mehr ersetzt werden können, weil die junge Generation einfach nicht für eine Arbeit in der Lokalverwaltung zu begeistern ist. Unterdessen werden etwa bei der Polizei und Kitas deutlich mehr Stellen geschaffen – aus Sicht der Autoren aber nicht genug.
Besonders kritisch bewerten die IW-Experten den massiven Stellenaufbau im Aufgabenbereich „politische Führung und zentrale Verwaltung“, der auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene ähnlich stark ausgeprägt ist. Beim Bund stieg die Anzahl solcher Stellen innerhalb von zehn Jahren um knapp ein Drittel auf 11.000, bei den Ländern um 21 Prozent auf 28.000 und bei den Kommunen um 27 Prozent auf 79.000. Der Verdacht liegt nahe, dass der Staat generell zu viel Personal in gut dotierten Führungspöstchen, für Klimabürokratie oder an den Universitäten in neumodischen Studienfächern beschäftigt.
Für ukrainische Flüchtlinge ist immer Zeit
Die Lokalverwaltungen bleiben auf der Strecke und müssen zum Beispiel sehr viel Zeit für die Bearbeitung von Anträgen ukrainischer Migranten aufwenden. Im oben erwähnten bayerischen Provinzamt konnten aufmerksame Beobachter einmal die Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters bestaunen, der hinter dem riesigen Stapel von Papierkram der Ukraine-Asylanten kaum noch zu erkennen war. Terminstau dürfte es hier keinen geben. Überhaupt werden augenscheinlich arbeitslose ausländische Mitbürger, die ihr Anliegen lautstark in wenigen Worten gebrochenem Deutsch vortragen, meist direkt drangenommen, während die Leistungsträger weiter Schlange stehen wie im Sozialismus oder entfernten Entwicklungsländern. Verkehrte Welt.
Die an anderer Stelle sehr umtriebigen Ämter setzen falsche Prioritäten. In bestimmten Aspekten kommt der Staat seinen Aufgaben nicht mehr nach und bevorzugt Ausländer. Das soziale Klima wird zwangsläufig darunter leiden. Die Deutschen sind ein geduldiges und leidfähiges Volk, aber irgendwann haben auch wir die Schnauze voll. Es ist höchste Zeit, dass sich die Bürokratie umorganisiert, an den richtigen Stellen verschlankt, digitalisiert, und endlich wieder auf die wirklich drängenden Aufgaben fokussiert.