Engpass an Ingenieuren: Welche Branchen braucht sie in Zukunft dringend?
Die Arbeit deutscher Ingenieure ist entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes auf dem globalen Markt. Sie entwickeln innovative Technologien und Produkte, die den hohen Qualitätsstandards „Made in Germany“ aufrechterhalten. Ihre Beiträge zur Industrie 4.0, zur Energiewende und zur Digitalisierung sind maßgeblich für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die Nachfrage nach Ingenieuren im Land steigt kontinuierlich, doch wie sieht der Arbeitsmarkt von diesen aktuell aus?
Nachfrage nach Ingenieuren steigt in den kommenden Jahren in bestimmten Bereichen
Deutschland hat aktuell viele Baustellen und vor allem solche, die nicht über Nacht zu beheben sind. Die Probleme, vor denen das Land aktuell steht, waren in vielen Bereichen abzusehen. Das leidige Thema Fachkräftemangel gehört dazu. Wer die demographische Entwicklung der letzten Jahre verfolgt und sich die Studierenzahlen der letzten Dekaden anschaut, konnte schnell erkennen, dass es früher oder später zu Engpässen in den Ingenieursberufen kommen musste. Spätestens jetzt, wo die Generation der Babyboomer in den verdienten Ruhestand kommt, tritt ein Großteil von Berufsexperten wie Ingenieure zurück. Und es macht sich bereits auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Zwar ist die Zahl der offenen Stellen in den Ingenieurberufen gesunken, dass ist unter anderem der konjunkturellen Abkühlung geschuldet, doch der erhöhte Mangel an diesen Fachkräften hindert die Digitalisierung und das Vorankommen beim Thema Klimaschutz in Deutschland massiv.
In den kommenden Jahren wird die Zahl der gebrauchten Ingenieure insbesondere in den beiden genannten Bereichen weiter ansteigen. Im ersten Quartal 2024 waren monatsdurchschnittlich insgesamt 148.230 offene Stellen zu besetzen. 104.510 offene Stellen entfielen dabei auf die acht klassischen Ingenieurberufskategorien und 43.720 auf die Informatikerberufe laut dem Verein der Ingenieure (VDI). Bei Letzteren ist dies die höchste Anzahl offener Stellen, gefolgt von den Bauingenieurberufen (42.770). An dritter Stelle stehen die Ingenieurberufe im Bereich Energie- und Elektrotechnik mit 22.430 offenen Stellen. Auch der Bereich Maschinen- und Fahrzeugtechnik hat in den letzten Quartalen wieder deutliche Zuwächse erlebt nach den Rückgängen zu Beginn der Corona-Krise. Dem gegenüber suchten im ersten Quartal 2024 monatsdurchschnittlich 44.490 Personen eine Beschäftigung in einem Ingenieur- oder Informatikerberuf. Mehr als die Hälfte der Stellen blieb somit weiterhin unbesetzt.
Ingenieure sind aber bedeutend für den Arbeitsmarkt, da sie gleichzusetzen sind mit der Innovationskraft im Land, zugleich sichern sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Ob in der Automobilindustrie, im Maschinenbau oder im Bereich der erneuerbaren Energie – deutsche Ingenieure sind bekannt für ihre Präzision, Kreativität und Problemlösungskompetenz. Fehlen diese, ist auch die Entwicklung in vielen Bereichen ausgebremst. Bereits jetzt bedeutet ihr fehlen einen Wertschöpfungsverlust von rund 13 Milliarden Euro pro Jahr. Besonders hohe Engpässe gibt es im Bereich der Elektroingenieure aber auch Bauingenieure, Informatiker und Maschinenbauer, mit zunehmender Tendenz. Ihre Arbeit bildet das Rückgrat vieler Industrien und stellt sicher, dass Deutschland auch in Zukunft als führende Industrienation bestehen kann.
Es mangelt an Absolventen und Ausbilder in den MINT-Berufen
Ein Blick in Ausbildung und Schule zeigt, dass sich die Situation auch nicht in der nächsten Zeit auf die Schnelle ändern lässt. Wie dem Nachwuchsbaromenter der Joachim-Hertz-Stiftung entnommen werden kann, lag der Anteil der Studienabbrüche oder -wechsel in MINT-Studienfächern im Jahr 2022 bei 51 Prozent. Zehn Jahre zuvor betrug er noch 16 Prozent. Die Gründe für die hohen Abbruchquoten sind vielfältig. Oftmals passen die beruflichen Tätigkeiten nicht zu den Erwartungen oder Wünschen der Auszubildenden oder die Studieninhalte entsprechen nicht ihren Interessen. Schlechte Ausbildungsbedingungen oder Überforderung sind weitere Faktoren. Darüber hinaus führen unzureichende schulische Vorkenntnisse, insbesondere in Mathematik, häufig zu schlechten Prüfungsergebnissen und tragen somit erheblich zu Studienabbrüchen bei.
Der Grundstein für das spätere Studium wird in der Schule gelegt. Und gerade hier schnitten deutsche Schülerinnen und Schüler bei PISA 2022 historisch schlecht ab. So haben Jugendliche an deutschen Gymnasien in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich eineinhalb Lernjahre im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich verloren. Besonders beunruhigend zeigt sich dabei, dass der Rückgang der naturwissenschaftlichen Leistungen in Deutschland größer ist als im mittleren Vergleich mit den Schülerleistungen anderer OECD-Staaten.
In Mathematik ist die Gruppe besonders leistungsschwacher 15-Jähriger – die sogenannte Risikogruppe – von 17,5 Prozent im Jahr 2012 auf 29,5 Prozent im Jahr 2022 angestiegen. In den Naturwissenschaften ist sie von 12,2 Prozent im Jahr 2012 auf 22,8 Prozent im Jahr 2022 angewachsen. Die Anteile der Risikogruppen haben sich damit in zehn Jahren fast verdoppelt. Keine guten Voraussetzungen, um genügend Nachwuchs in diesen Studienfächern zu bekommen. Und hätte die Zahl der ausländischen Studierenden im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr nicht um 10 Prozent zugelegt, dann länge der Anteil deutscher Erstsemester in den MINT-Fächern bei unter einem Drittel.
Die zukünftige Entwicklung der Studierenden-, Auszubildenden- und Lehrkräftezahlen im MINT-Bereich wird maßgeblich davon abhängen, wie erfolgreich es gelingt, junge Menschen für eine berufliche Laufbahn in diesem Bereich zu begeistern. Bereits in der Schule muss das Interesse an naturwissenschaftlichen und technischen Themen geweckt und kontinuierlich gefördert werden. Der Bedarf an Maßnahmen im MINT-Bereich ist enorm.
Ingenieure aus dem Ausland sichern mit den Standort Deutschland
Wir brauchen nicht nur die ausländischen Studierenden, um unsere Quote zu füllen, sondern wir brauchen auch händeringend die Fachkräfte aus dem Ausland. Ohne sie würden wir es aktuell nur schwer schaffen, unsere Innovationskraft nicht zu verlieren. Das macht sich auch an den Beschäftigtenzahlen bemerkbar. Von Ende 2012 bis September 2023 stieg die absolute Zahl der ausländischen Beschäftigten in Ingenieurberufen von 46.489 auf 114.648 und damit um 146,6 Prozent. Der Anteil ausländischer Ingenieurbeschäftigter an allen Ingenieurbeschäftigten stieg so in diesem Zeitraum prozentual von 6 Prozent auf 11 Prozent. Die ausgebildeten Fachkräfte aus dem Ausland tragen mit 16 Milliarden Euro Wertschöpfung in Deutschland pro Jahr dazu bei, die Wirtschaft am Laufen zu halten.
In einigen Städten Deutschlands ist eine Anhäufung an ausländischen Ingenieuren dabei besonders hoch, wie in München beispielsweise. Hier hat jeder vierte bis fünfte Beschäftigte in Ingenieurberufen eine ausländische Staatsangehörigkeit. Besonders stark ist die Zahl indischer Ingenieure in den letzten Jahren in Deutschland gestiegen. Die Top-6 der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Ingenieurberufen nach Staatsangehörigkeiten (Stand Ende September 2023) zeigt folgende Verteilung nach Häufigkeit sortiert: Indien: 12.769 Personen, Türkei: 8.328 Personen, Italien: 6.665, China: 6.362, Frankreich: 5.196 und Spanien: 5123 Personen. Nimmt man zu den Ingenieurberufen noch die sonstigen akademischen MINT-Berufe hinzu, von denen die Informatikerberufe den höchsten Anteil ausmachen, so sind sogar 30.752 Personen mit einer Staatsangehörigkeit aus Indien in sozialversicherungspflichtigen MINT-Expertenberufen in Deutschland derzeit beschäftigt.