Politik

Aufregung in Thüringen: Ramelow als CDU-Mehrheitsbeschaffer? Oder nicht?

Lesezeit: 3 min
04.09.2024 10:03
Die Hoffnung auf eine Mehrheitskoalition starb am Wahlabend. Nun kursieren wilde Gerüchte und Spekulationen, wie die CDU aus einer Pattsituation herauskommt. Die Hauptrolle spielt dabei ein Linker. Der Heilsbringer wäre ein alter Bekannter.
Aufregung in Thüringen: Ramelow als CDU-Mehrheitsbeschaffer? Oder nicht?
Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen nach den Landtagswahlen. (Foto: dpa)
Foto: Hannes P Albert

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Ausgerechnet Deutschlands wohl bekanntester Linker als Königsmacher eines möglichen CDU-Ministerpräsidenten in Thüringen? In den ersten Tagen nach der Landtagswahl, die für extrem komplizierte Mehrheitsverhältnisse und eine Wahlsiegerin AfD sorgte, schießen Spekulationen über eine Rolle von Noch-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) als möglicher Mehrheitsbeschaffer ins Kraut.

Eine von CDU-Chef Mario Voigt angepeilte Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der SPD hat 44 Stimmen im Landtag in Erfurt - bei 88 Sitzen ist das mindestens eine Stimme zu wenig.

„Es ist alles Quatsch“

Durch die Gänge im Thüringer Landtag und bei den Vorstandssitzungen der Parteien wabert das Gerücht, Ramelow könnte in der von ihm immer betonten „staatsbürgerlichen Verantwortung“ aus der Linke-Faktion austreten und dem fragilen Bündnis seines potenziellen Nachfolgers als Mehrheitsbeschaffer dienen. Oder der 68-Jährige könnte sich als direkt gewählter Abgeordneter der Linken stets der Stimme enthalten.

„Ich spiegel nur wider, was alles an abstrusen Vorstellungen im Raum ist“, heißt es hinter vorgehaltener Hand von manchen Landespolitikern, die die Gerüchte eifrig wiederholen. „Es ist alles Quatsch, es ist alles Unsinn“, sagt ein sichtlich erboster Ramelow dazu der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. „Es ist eine Unverschämtheit, Gerüchte zu streuen ohne Substanz. Ich verbitte mir jede Spekulation.“

Er werde als Ministerpräsident der Linken und ihr Spitzenkandidat weder seine Partei oder Fraktion verlassen, noch als Person durch Stimmenthaltung oder andere Aktionen für Mehrheiten sorgen, sagte Ramelow. Und er fügt hinzu: „Es wird aus der Linken-Fraktion auch sonst keiner wechseln.“ Er sei weder „Privatier noch eine Ich-AG“. Und er werde die parlamentarischen Regeln niemals mit Füßen treten.

„Ich werde alles tun, dass es zu einer Mehrheitsregierung kommt“

Aber von ihm stammen auch interpretierbare Sätze in diesen aufgeregten Tagen in Thüringen. Vom „Spiegel“ darauf angesprochen, dass dem denkbaren Bündnis der Konkurrenzparteien CDU, BSW und SPD eine Stimme zur Mehrheit fehlt, sagte er: „Eine Stimme sitzt vor Ihnen.“

Und immer wieder betont er nach der Erfahrung mit seiner rot-rot-grünen Minderheitskoalition, er könne niemandem eine Minderheitsregierung empfehlen. Rot-Rot-Grün wurde am Sonntag abgewählt.

Zudem bot Ramelow noch am Wahlabend Unterstützung bei der Regierungsbildung an - „falls das von den anderen Parteien gewünscht sein sollte“. „Ich werde alles tun, dass es zu einer Mehrheitsregierung kommt.“ Oder: „Ich bin bereit zu Lösungen und beteilige mich nicht an Ausschließeritis.“

Ob das auch eine Tolerierung einer möglichen Dreier-Koalition unter CDU-Führung sein könnte, lässt der Linke-Politiker auf Nachfrage offen. Oder meint er mit Mehrheitsregierung gar eine mit Beteiligung seiner Linken, die zwölf Landtagssitze hat? Thüringens Linke-Chefin Ulrike Grosse-Röthig fordert immerhin ein Überdenken des Unvereinbarkeitsbeschlusses der CDU - dieser gilt aktuell für AfD und Linke gleichermaßen.

Ramelow wartet auf CDU-Anruf

„Ich muss nicht spekulieren“, sagt Ramelow und verweist darauf, dass Voigt am Zug sei, die demokratischen Parteien zu Gesprächen einzuladen. Die CDU habe unter den demokratischen Parteien die meisten Sitze (23) erhalten und damit den Auftrag zur Regierungsbildung. Seine Linkspartei stehe zum Gespräch bereit, „wenn Herr Voigt anruft“.

Der 47 Jahre alte Voigt will zunächst mit BSW und SPD sprechen, mit Ramelow wahrscheinlich vorerst nur über den Haushaltsentwurf für 2025. Thüringens ehemalige CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht plädierte immerhin für Gespräche auch mit der Linken. „Schon allein für eine Duldung führt an der Linken kein Weg vorbei. Das ist Mathematik – nichts anderes“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Moderator-Rolle im Koalitionspoker

Der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Oppelland hält eine Koalition aus CDU, BSW und SPD - immerhin ein bisher in Deutschland einmaliges Modell - für möglich. „Auf landespolitischer Ebene sind die politischen Unterschiede zwischen der CDU und der Wagenknecht-Partei nicht so gewaltig“, sagt er.

Letztlich sei die Situation unter umgekehrten Vorzeichen mit der von Ramelow 2020 vergleichbar - sein Bündnis mit SPD und Grünen hatte auch keine Mehrheit. Zumindest für ein Jahr gab es einen Stabilitätspakt mit der CDU. Eine Tolerierung einer CDU-geführten Regierung durch die Linke sei keine Pflicht. „Aber am Ende wird es darauf hinauslaufen“, glaubt Oppelland.

Und wie sieht Ramelow seine Rolle? Zunächst bleibt er Ministerpräsident, bis eine neue Regierung im Amt ist, nach Konstituierung des Landtags wahrscheinlich Ende September geschäftsführend. Und Ramelow hat anders als Voigt und AfD-Rechtsaußen Björn Höcke seinen Landtagswahlkreis direkt gewonnen und wird nach eigenen Angaben sein Abgeordnetenmandat wahrnehmen.

Im Koalitionspoker kann sich der erfahrene Politiker, Ex-Gewerkschaftsfunktionär und Bahn-Schlichter Ramelow offenbar eine moderierende Rolle vorstellen. „Ja, wenn es gewünscht wird. Ich kann versuchen, die Parteien ins Gespräch zu bringen“, sagt Ramelow. Die erste Herausforderung sei dabei die Wahl einer Landtagspräsidentin oder eines Präsidenten. Das Vorschlagsrecht hat die stärkste Partei - die AfD.

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Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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