Finanzen

DWN-Interview: Genossenschaftsbanken am Scheideweg

Gerald Wiegner, Vorstand der U-D-G und Experte für Genossenschaften, spricht mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten über die Herausforderungen und Veränderungen, mit denen Genossenschaftsbanken in Deutschland konfrontiert sind. Er erläutert, warum die traditionelle Rechtsform der Genossenschaft im Bankgeschäft zunehmend infrage gestellt wird und wie sich das Geschäftsmodell von Volks- und Raiffeisenbanken verändert hat. Zudem gibt er einen Ausblick auf mögliche Zukunftsmodelle und betont die Notwendigkeit europäischer Standards.
28.09.2024 11:06
Lesezeit: 6 min
DWN-Interview: Genossenschaftsbanken am Scheideweg
Der entscheidende Unterschied zwischen Genossenschaftsbanken und Sparkassen sowie anderen Geschäftsbanken liegt in ihrer Rechtsform. Genossenschaften sind Personengesellschaften und unterliegen dem Genossenschaftsgesetz (GenG). (Foto: dpa)

DWN: Können Sie uns erklären, was eine Genossenschaftsbank ist? Worin unterscheidet sie sich von einer Sparkasse oder einer normalen Geschäftsbank?

Gerald Wiegner: Genossenschaftsbanken sind Genossenschaften, die Bankgeschäfte betreiben. Der wesentliche Unterschied zu Sparkassen und anderen Geschäftsbanken liegt in der Rechtsform. Genossenschaften sind Personengesellschaften und unterliegen dem Genossenschaftsgesetz (GenG). Mit der Rechtsform ist aber auch ein völlig abweichendes Wertesystem verbunden. Hier liegt die Wurzel vieler Konflikte und Missverständnisse. Alle anderen Banken haben es da schon deutlich einfacher. Sie sind reine Kapitalgesellschaften mit relativ überschaubaren Regelungen, die beispielsweise im AG(Aktiengesetz), KWG (Kreditwesengesetz) und HGB (Handelsgesetzbuch) geregelt sind. Der wesentliche Unterschied lässt sich wie folgt beschreiben: Bei einer Genossenschaft, so zumindest die genossenschaftliche Idee, soll der Mensch im Vordergrund stehen und nicht das Kapital. Bei einer Kapitalgesellschaft hingegen geht es um Rendite und Shareholder Value.

Ob die Rechtsform der Genossenschaft heute überhaupt noch für das Bankgeschäft geeignet und praktikabel ist, darf stark bezweifelt werden. Nach Auffassung der BaFin (Bundesanstalt für Finanzaufsicht) steht das KWG als lex specialis über dem Genossenschaftsgesetz. Wenn das nun die herrschende Meinung ist - warum wird dann die Rechtsform immer noch gepflegt und in Werbeaussagen immer wieder als Alleinstellungsmerkmal hervorgehoben? Die Antwort ist recht einfach. Genossenschaften haben ein gutes Image und dieses Image wird auch gerne missbraucht. Es geht um viel Geld, herrenloses Kapital. Ergänzen kann man bei kritischer Betrachtung noch Folgendes: Die Mitglieder von Genossenschaftsbanken haben in der Regel kein ausgeprägtes Genossenschaftsbewusstsein. Sie wollen ihre Bankgeschäfte möglichst vor Ort erledigen. Dafür aber braucht niemand eine so komplizierte Rechtsform. Was man will, ist ein möglichst kostenloser Geldautomat in zentraler Lage und - wenn überhaupt - alle drei bis fünf Jahre ein Gespräch mit einem Bankberater.

Es wird eine Mitgliedschaft gekauft und das war’s. Mehr als 55 % aller Genobankkunden sind keine Mitglieder der Genossenschaft. Und die Generation der treuen Mitglieder stirbt langsam aus. Genossenschaftsmitglieder sehen sich nicht als Eigentümer ihrer Genossenschaft. Sie sind leichtgläubig, leicht manipulierbar und relativ leicht für dumm zu verkaufen. igenos kennt landesweit mehrere 1000 Fälle von frustrierten und resignierten Genossenschaftsmitgliedern, die nach Fusion und Auflösung ihrer Genossenschaft den Glauben an die Genossenschaftsidee verloren haben.

DWN: Gehen wir etwas näher auf das Geschäftsmodell der Genossenschaftsbanken ein. Was beabsichtigen sie? Und: Sind Spekulationen, etwa mit Derivaten, tabu?

Gerald Wiegner: Im direkten Wettbewerbsvergleich der Systeme gibt es keine signifikanten Unterschiede in der Geschäftspolitik oder im Geschäftsmodell. Einzelne größere Geno-Banken haben in der Niedrigzinsphase spekuliert, einige haben sich auch verspekuliert. Den größten Bestand an Derivaten verwaltet sicherlich die DZ Bank, sie hat sozusagen eine Großhandels- und Verteilerfunktion. Das gilt auch für die BayWa-Aktien. Der Handel mit Derivaten kann zu Spielschulden führen, für die dann letztendlich die Eigentümer der DZ-Bank - also die Genossenschaftsbanken - haften. Das macht uns nicht fröhlich und kann zum Einsturz des genossenschaftlich finanzierten Kartenhauses führen.

Die Unternehmenspolitik und die Strategien der BVR-Banken sind für Außenstehende nicht transparent. Als handelt es sich hier um eine geheime Kommandosache, es gibt keinen offenen und ehrlichen Dialog mit der genossenschaftlichen Basis. Es herrscht das genossenschaftliche Führerprinzip. Der BVR (Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken) führt seine Genossenschaftsbanken wie ein Franchise-Unternehmen, also wie eine Hamburger-Bude, die ihrem Partner vor Ort auch vorschreibt, wann das Frittierfett zu wechseln ist und mit der Lebensmittelaufsicht droht. Nochmals, es fehlt durchgehend an genossenschaftlicher Transparenz , Mitbestimmung und Kommunikation. Es wird auch nicht offen miteinander geredet. genoleaks.de ist die einzige (inoffizielle) Austauschplattform zwischen Verbandsmitarbeitern und den Genossenschaftsmitgliedern.

Genossenschaftsbanken sind heute reine Retailbanken wie alle anderen lokalen Wettbewerber auch. Der Markenkern Genossenschaft, also die Interpretation der eng mit der Rechtsform verbundenen genossenschaftlichen Werte, hat sich stark verändert, um nicht zu sagen verwässert. Der BVR hat sich in den letzten 25 Jahren deutlich von den genossenschaftlichen Ideen seiner Urahnen Schulze Delitzsch und Raiffeisen entfernt. Wenn eine Genossenschaft zu groß wird, so schrieb Schulze-Delitzsch selbst, ist ein Rechtsformwechsel durchaus im Interesse der Mitglieder. Schulze-Delitzsch sprach von der genossenschaftlichen AG als Alternative zur eG. Warum wird diese Empfehlung heute nicht mehr umgesetzt, sondern im Gegenteil viel daran gesetzt, durch Fusionen immer größere Genossenschaftsbanken entstehen zu lassen?

DWN: Stehen die Genossenschaftsbanken in Deutschland auf einer soliden Grundlage?

Gerald Wiegner: Die GenoBanken haben in der Vergangenheit gutes Geld verdient. Sie haben im Prinzip auch gute Arbeit geleistet, wenn da nicht die Frage der Rechtsform gewesen wäre. Mit den Fonds für allgemeine Bankrisiken wurden ausreichend Rücklagen gebildet, aber das geschah auf dem Rücken der Mitglieder und das widerspricht dem Genossenschaftsgesetz. Denn hohe Rücklagen stehen für nicht erfolgte Mitgliederförderung. Irgendwo muss der Ertrag ja herkommen. Da die Mitglieder aber nicht am Wertzuwachs ihrer Genossenschaft beteiligt sind und auch die als Gegenleistung gedachte unmittelbare Förderung nicht stattfindet, ist das genossenschaftliche Nominalwertprinzip, ein wesentliches Element der Rechtsform, mit den hohen Rücklagen nicht vereinbar. Insofern sind wir wieder beim Thema. Ist die Rechtsform der Genossenschaft geeignet, um Bankgeschäfte zu betreiben, oder ist sie nur eine schön polierte Fassade und die Genossen sind nur Mittel zum Zweck?

DWN: Gleichwohl machen sie sich dafür stark, die einzelnen Genossenschaftsbanken in Deutschland zu einer einzigen großen Genossenschaftsbank zu fusionieren. Warum?

Gerald Wiegner: Nein, die Aussage bezieht sich nur auf das System der Volks- und Raiffeisenbanken. Genossenschaftsbank ist nicht gleich Genossenschaftsbank. Die GLS Bank eG wird 2025 die 10-Milliarden-Grenze überschreiten und ist damit eine vergleichsweise große Genossenschaft. Dennoch legt die GLS Bank eG größten Wert auf Transparenz und arbeitet konsequent genossenschaftlich. igenos Deutschland ist seit langem der Meinung, dass der BVR proaktiv auf den neuen Wettbewerb durch systemfremde Anbieter reagieren muss. Diese haben den Markt umgekrempelt und die Spielregeln verändert - eine Folge der Digitalisierung. Digitale Plattformen wie AMAZON, Apple, Google oder Meta können mittelfristig auch in Finanzierungsfragen auf den „Service“ der Filialbanken verzichten. Klarna und PayPal machen es vor.

Eine VR-Bank Deutschland AG als Aktiengesellschaft mit entsprechenden Regionalzentralen wäre eine Lösung, um zumindest die Marke zu retten, deren Wert und Bekanntheit nicht zu unterschätzen ist und die das heutige Geschäftsmodell sicher überleben wird. Die aktuelle Fusionswelle konzentriert sich auf die Metropolregionen. igenos sieht dies als Zwischenschritt, der aber nicht ehrlich kommuniziert wird, weil sonst die Mitglieder nervös werden. Es besteht auch die berechtigte Angst, dass die persönlich bekannten Entscheidungsträger nicht mehr vor Ort sind? Bei den Kreditentscheidungen würde sich auch nicht viel ändern, die laufen auch heute schon über Systeme wie easycredit und sind voll automatisiert.

Auch bei den Großkrediten werden die VR-Banken heute schon von ihren Prüfungsverbänden und der BaFin ziemlich an die kurze Leine genommen. Wo ist da der Unterschied? Wohin mit dem ganzen Personal? Qualifizierte betriebswirtschaftliche Beratung vor Ort wird immer gebraucht. Es geht nicht nur darum, Kredite zu verkaufen. In besonderen Fällen, z.B. in der Start-up-Situation, sollten Geno-Banken neben dem Geld auch maßgeschneiderte Controlling-Dienstleistungen anbieten und warum nicht auch Coworking-Arbeitsplätze. Das wäre ein genossenschaftliches Dienstleistungspaket. Also nicht nur Geld verleihen, sondern sich auch darum kümmern. Das heißt, die GenoBank vergibt einen Kredit gegen Geschäftsanteile, die nach Ablauf der Finanzierung zurückgegeben werden. Warum also die VR-Bank Deutschland AG? Das traditionelle Konzept ist tot und wie heißt es so schön bei den Dakota-Indianern: Tote Pferde kann man nicht reiten.

DWN: Und was würde in einem solchen Fall mit den Eigenkapitalanteilen der einzelnen Banken passieren

Gerald Wiegner: Grob vereinfacht. Die heute noch rechtlich selbständigen Genossenschaftsbanken verkaufen ihr Bankgeschäft an die VR-Bank Deutschland AG. Es fließt kein Geld. Die Genossenschaften erhalten Aktien und sind Miteigentümer der VR-Bank Deutschland AG. Das Bankgeschäft wird als Filiale weitergeführt und von der Genossenschaft angemietet. Die Genossenschaft bleibt bestehen und sucht sich ein neues Betätigungsfeld. Der wesentliche Unterschied zur bisherigen Fusionspraxis lässt sich wie folgt beschreiben. Die Genossenschaft wird nicht aufgelöst, das Genossenschaftsvermögen bleibt vor Ort und wird nicht verschenkt.

DWN: Sind Genossenschaftsbanken Ihrer Ansicht nach auch Ausdruck einer anderen Wirtschaftsphilosophie? Und, falls ja, können Sie diese umschreiben?

Gerald Wiegner: Genossenschaften sind nach den internationalen Standards des Weltverbandes der Genossenschaften ICA eine nachhaltige und konsequente Weiterentwicklung des bestehenden Wirtschaftssystems. Genossenschaften können zur Erreichung der 17 Nachhaltigkeitsziele beitragen. Vor diesem Hintergrund hat die UNO das Jahr 2025 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften ausgerufen. Nach Einschätzung von igenos Deutschland sind unsere Volks- und Raiffeisenbanken jedoch bestenfalls „Placebo-Genossenschaften“, die mit der genossenschaftlichen Idee nicht mehr viel zu tun haben. Smarties sind, obwohl sie so aussehen, auch kein Medikament gegen Depressionen, sondern bunte und leckere Schokolinsen in Tablettenform. Aber Schokolade macht glücklich.

DWN: Und wie ist die Situation Genossenschaften im Allgemeinen in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien?

Gerald Wiegner: Wir haben mit der Geno-Ratio nachgewiesen, dass die Rechtsform der Genossenschaft im Raiffeisenland Deutschland keine besondere Rolle spielt. Wir brauchen eine europaweit gültige Definition, was eine Genossenschaft ist und wie eine Genossenschaft funktionieren soll. igenos setzt sich für ein europäisches Genossenschaftsgesetz ein, denn in Deutschland und Österreich ist historisch bedingt einiges schiefgelaufen. Und genau das werden wir ändern müssen, weil wir sonst Gefahr laufen, dass uns der Status des Weltkulturerbes Genossenschaftsidee wieder aberkannt wird.

Info zur Person: Gerald Wiegner ist Diplom-Volkswirt und gründete 1984 die Sozietät Wiegner + Weber Absatzforschung, in der er sich auf Sozial- und Marktforschung spezialisiert hat. Er verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich gruppendynamischer Prozesse und innovativer Arbeitsformen. Seit 2017 ist er Vorstand der U-D-G union-design-group eG, die auf Design Thinking und Projektmanagement fokussiert ist. Zudem ist er seit 2015 ehrenamtlicher Vorsitzender von igenos Deutschland e.V., gemeinnütziger Förderverein der Genossenschaftsidee und Interessenvertreter der Genossenschaftsmitglieder.

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