Das Weiße Haus sagte wegen des erwarteten Wirbelsturms die Reise des Präsidenten nach Berlin am kommenden Wochenende ab. Auch an einem Treffen der militärischen Unterstützer der Ukraine im US-Stützpunkt Ramstein am Samstag werde Biden nicht persönlich teilnehmen, teilte das Pentagon mit. Zu diesem Treffen mit vielen Staats- und Regierungschefs wurde bislang auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erwartet, um dort über seinen sogenannten Siegesplan zu sprechen.
Joe Biden kommt nicht nach Ramstein
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte Verständnis für Bidens Entscheidung. „Wenn in meinem Land solche Unwetter wüteten, dann würde ich auch diese Entscheidung treffen“, sagte er in der Sendung RTL Direkt spezial – Am Tisch mit Olaf Scholz. Es wäre „ein sehr wichtiges Treffen“ geworden, aber es werde ja nachgeholt. Biden kündigte ein Telefonat mit Scholz an, um einen Ersatztermin zu finden. Wie der US-Präsident sagte auch Außenminister Antony Blinken seine Reise nach Deutschland ab.
Für den südlichen Teil der Ukraine begann die Nacht auf Mittwoch erneut mit Luftalarm, weil nach Angaben des Militärs zahlreiche russische Kampfdrohnen in der Luft waren. Auf die Großstadt Charkiw im Osten der Ukraine warfen russische Flugzeuge am Dienstagabend erneut Gleitbomben ab. Am Tag waren durch Angriffe mit diesen schweren Bomben mindestens zwei Menschen getötet und etwa zwei Dutzend Menschen verletzt worden.
Wann bekommt Selenskyj eine Antwort auf seinen „Siegesplan“?
Selenskyjs sogenannter Siegesplan ist nicht im Detail öffentlich. Er sieht aber vor, dank westlicher Hilfe den militärischen Druck auf Russland zu erhöhen. Moskau solle erkennen, dass der Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht zu gewinnen sei. Deshalb fordert Kiew, dass es weitreichende Waffen aus den USA und Großbritannien auch gegen Militärziele im russischen Rückraum einsetzen darf. Auch erhofft sich die Ukraine die Aufnahme in die Nato oder ähnlich starke Sicherheitsgarantien.
Doch die internationalen Treffen mit einer Antwort der Unterstützerländer entfallen wegen Bidens Absage, oder ihr Format ist unklar. In Berlin hätten nicht nur der Bundeskanzler und der US-Präsident konferieren sollen. Die Regierung in London bestätigte, dass für Samstagmorgen in Berlin eigentlich ein Vierertreffen mit Biden, Scholz, dem britischen Premier Keir Starmer und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron geplant war. Für Ramstein hatten vor der Biden-Absage auch der polnische Präsident Andrzej Duda und der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau ihr Kommen angekündigt.
Kiew erwartet Friedensgipfel nicht mehr für November
Militärisch ist die Ukraine unter Druck, im Osten rücken russische Truppen trotz hoher Verluste in eine Ortschaft nach der anderen vor. Zugleich hofft die Ukraine mit diplomatischen Initiativen voranzukommen, solange in Washington noch der ihr wohlgesonnene Biden amtiert. Allerdings rechnet Kiew bereits mit einer Verschiebung des für November erhofften zweiten Friedensgipfels. Eine Beraterin im Präsidialamt, Darija Sariwna, sagte dem Nachrichtenportal „Telegraf“, dass ein Novembertermin wohl nicht zu halten sei. Derzeit liefen Konferenzen zur inhaltlichen Vorbereitung. Der Gipfeltermin könne erst danach festgelegt werden.
Zu einem ersten Friedensgipfel Mitte Juni in der Schweiz hatte die Ukraine mehr als 100 Länder und Organisationen versammelt. Russland lehnte eine Teilnahme von vornherein ab und war deshalb nicht eingeladen. Das Nachfolgetreffen – diesmal möglichst mit Moskau – sollte eigentlich noch vor der US-Wahl am 5. November stattfinden. Sollte Ex-Präsident Donald Trump wieder ins Weiße Haus einziehen, ist unsicher, ob und wie stark er dem von Russland angegriffenen Land helfen wird.
Selenskyj: Halten in Kursk Druck auf Russland aufrecht
Selenskyj betonte in seiner abendlichen Videobotschaft am Dienstag, wie wichtig der Vorstoß ukrainischer Truppen in das russische Gebiet Kursk weiterhin sei. „Die Kämpfe in der Region Kursk gehen jetzt in den dritten Monat“, sagte er. „Wir halten den notwendigen Druck auf Russland in diesem Gebiet aufrecht.“ Mobile Einheiten der ukrainischen Armee waren am 6. August über die Grenze in die Region Kursk vorgestoßen und hatten am 8. August die Kleinstadt Sudscha erobert. Die Ukrainer halten nach eigenen Angaben mehr als 1.000 Quadratkilometer besetzt. Russlands Präsident Wladimir Putin ordnete eine Rückeroberung des Gebiets an, die aber kaum vorankommt. Selenskyj betrachtet die Eroberung als Faustpfand für einen möglichen Tausch.
Fortschritte bei Rekrutierung?
Die Bundeswehr sieht bei der Ukraine große Fortschritte bei der Rekrutierung neuer Soldaten. „Wir haben einen Einblick in die ukrainischen Rekrutierungszahlen. Und die sind seit dem Frühjahr signifikant gestiegen, nämlich im fünfstelligen Bereich“, sagte Christian Freuding, Leiter des Sonderstabs Ukraine im Bundesverteidigungsministerium, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die ukrainische Armee erhalte auch mehr Munition. „Die artilleristische Überlegenheit der Russen ist nicht mehr so hoch wie noch im Frühjahr, sie hat sich von acht zu eins auf circa drei zu eins verringert.“
In der Ukraine selbst wird die derzeitige Mobilmachung weniger optimistisch gesehen. Roman Kostenko, Mitglied im Verteidigungsausschuss des Parlaments, sprach in einem Interview von Radio NV von zurückgehenden Rekrutierungszahlen. Er warnte davor, dass die ukrainische Armee bald die Verluste nicht mehr ausgleichen könne. In einem weiteren Interview empfahl Kostenko, das Rekrutierungsalter weiter von 25 auf 20 Jahre zu senken.