Die westlichen Sanktionen gegen die Tanker, die Russlands Öl transportieren, zeigen weiterhin wenig Wirkung. Seit Anfang August sind mindestens 12 mit russischem Rohöl oder raffinierten Produkten beladen Schiffe identifiziert worden, die von den USA, dem Vereinigten Königreich oder der Europäischen Union als Reaktion auf Moskaus Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 mit Sanktionen belegt wurden. Die anfängliche Zurückhaltung russischer Kunden, diese Schiffe in ihren Häfen zu akzeptieren, hat sich nach ersten erfolgreichen Lieferungen aufgelöst. Zuvor hatten Käufer russischen Öls befürchtet, den Zugang zu westlichen Finanzsystemen zu verlieren, wenn sie mit sanktionierten Unternehmen handeln. Da jedoch keine Strafen gegen die ersten Abnehmer verhängt wurden, schwanden diese Bedenken. Bemerkenswerterweise verflüchtigt sich nicht nur die frühere Zurückhaltung der russischen Kundschaft, auch die Schattenflotte selbst agiert mehr und mehr im hellen Tageslicht. Waren die sanktionierten Tanker bei den ersten Transporten noch für automatische Ortungssysteme unsichtbar, so wurden die jüngsten Lieferungen nach China und Indien offen durchgeführt. Die Schiffe sendeten während ihrer gesamten Reise eindeutige Positionssignale, luden ihre Ladung entgegen der vormaligen Praxis nicht auf See um und versteckten oder fälschten ihre Position nicht. Die Schiffe, die auf der schwarzen Liste stehen, laufen keine westlichen Häfen an, nehmen keine westlichen Dienstleistungen, wie Versicherungen oder Finanzierungen, in Anspruch oder sind im Besitz von Unternehmen, die vor potenziellen Sanktionen geschützt sind.
Die Ölexporte sinken – aber Sanktionen haben damit nichts zu tun
Im Vier-Wochen-Durchschnitt stiegen die Ladungen russischen Erdöls in der Woche bis zum 6. Oktober um rund 60.000 Barrel pro Tag auf 3,3 Millionen Barrel pro Tag und erreichten in dieser Betrachtung den höchsten Stand seit Anfang Juli. Insgesamt hatten 31 Tanker in der genannten Woche nahezu 24 Millionen Barrel russisches Rohöl geladen, das geht aus Schiffsverfolgungsdaten und Berichten von Hafenagenturen hervor. Während die russischen Erdölexporte im rollierenden Durchschnitt steigen, zeigt sich ungeglättet auf Wochenbasis, dass die Verschiffungen aus den baltischen und asiatischen Häfen zurückgeht, in der Woche bis zum 06. Oktober wurde fast die Hälfte des Anstiegs der Vorwoche wieder abgegeben. Einige sehen darin einen Erfolg der Sanktionspolitik, tatsächlich hängt diese Entwicklung jedoch mit den Beschlüssen der OPEC+-Gruppe zusammen, der Russland angehört. Russland hatte seine Exportziele Ende Mai aufgegeben und eine Drosselung der Produktion eingeleitet, so, wie es auch seine Partner in der Gruppe der OPEC+-Ölproduzenten tun. Die Fördermenge des Landes ist bis Ende November auf 8,978 Millionen Barrel pro Tag festgelegt, nachdem eine geplante Lockerung einiger Produktionskürzungen um zwei Monate verschoben wurde. Moskau hat sich außerdem verpflichtet, die Produktion im Oktober und November dieses Jahres und dann zwischen März und September 2025 weiter zu senken, um eine vorausgegangene Überschreitung seiner Quote auszugleichen. Wie russische Daten zeigen, hat das Land im September sogar geringfügig unter seinem Förderziel gepumpt. Aus den momentan sinkenden Ausfuhrmangen ein Einknicken Moskaus gegenüber westlichen Sanktionsmaßnahmen zu schließen, ist somit falsch. Wer weniger fördert, kann schlicht weniger exportieren.
Der Rubel rollt dennoch
Öl ist nach wie vor eine wichtige Geldquelle für den Kreml, der versucht, den westlichen Sanktionen zu widerstehen und die wachsenden militärischen Kosten der Invasion in der Ukraine zu decken. Und der Rubel rollt weiter, auch im September verzeichneten die Öleinnahmen des russischen Staates einen im Vorjahresvergleich geringen Anstieg, in der ersten Oktoberwoche belief sich der Bruttowert der russischen Rohölexporte, trotz gesunkener Exportmenge, auf 1,54 Milliarden US-Dollar. Dabei wurde der Rückgang der wöchentlichen Lieferungen durch die Erhöhung der Durchschnittspreise für russisches Rohöl ausgeglichen. Diese war wiederrum auf den allgemeinen Anstieg der globalen Benchmarks zurückzuführen, die den derzeitigen Marktsorgen hinsichtlich des sich verschärfenden Konflikts zwischen Iran und Israel, der die Lieferungen aus dem Nahen Osten nachhaltig stören könnte, Rechnung tragen.
Für Erdgas gibt es offiziell keine Abnehmer
Auch hinsichtlich Erdgas kümmert sich Moskau nicht um Sanktionen – und kann dies auch gar nicht, schließlich will Russland bis zum Ende des Jahrzehnts 20 % des weltweiten LNG-Marktes kontrollieren, damit geht es um mehr als 103 Millionen Tonnen Flüssiggas. Für dieses Jahr sieht das Basisszenario des Wirtschaftsministeriums den Export von insgesamt 35,2 Millionen Tonnen des Brennstoffs vor, knapp zwei Millionen mehr als 2023. Da die beiden größten russischen LNG-Anlagen Yamal LNG und Sakhalin LNG, die beide nicht mit Strafmaßnahmen belegt sind, bereits über ihrer Auslegungskapazität arbeiten, müsste mindestens die Hälfte dieser Menge aus der von Valdimir Putin zu einem nationalen Prestigeprojekt erklärten Anlage Arctic LNG 2 kommen, und die steht seit November 2023 genauso im Mittelpunkt der US-Energiesanktionen gegen den Kreml, wie die daran angeschlossenen Tankschiffe. Bislang hat kein von den Sanktionen betroffener Tanker Ladung in einem ausländischen Hafen gelöscht, da viele potenzielle Käufer von LNG-Lieferungen aus den USA, der Nummer eins unter den Exporteuren, abhängig sind und sich deshalb hüten, in dessen Fadenkreuz zu geraten. Sogar die großen chinesischen Importeure halten sich zurück, Indien, ein Großabnehmer von russischem Öl, hat öffentlich erklärt, dass es das Gas nicht einführen wird. Allerdings befinden sich derzeit zwei Schiffe mit LNG auf dem Weg nach Asien, was darauf hindeutet, dass es Abnehmer geben könnte. Eines befindet sich vor der Westküste von Hokkaido, Japan, und nimmt Kurs auf China. Ob der Tanker seine Ladung tatsächlich in einem chinesischen Hafen löschen wird, ist noch ungewiss. Möglicherweise ändert das Schiff seinen Kurs noch, wenn sich kein Abnehmer findet. Sollten die Sanktionen an dieser Stelle wirken und die Lieferungen ihre Ziele verfehlen, könnte Russlands Schaden Amerika erheblich nutzen. In dem Fall würde Washington zum einen seine geopolitischen Ziele erreichen und Russland finanziell treffen, darüber hinaus profitierten auch die einheimischen LNG-Exporteure. Könnte, denn neben der offiziellen Version existiert ja auch noch die Realität.
Moskau findet kreative Lösungen
Angesichts dessen, dass für Moskau einiges auf dem Spiels steht, müht sich Russland nach Kräften, die Erdgassanktionen zu umgehen. So wurde in den vergangenen Monaten in Indien, Dubai und China ein Netz kleiner, im Energiesektor bislang vollkommen unbekannter Firmen errichtet, die jene Schattentankerflotte unterstützt, die Flüssigerdgas von oben erwähnter LNG-Anlage oberhalb des Polarkreises exportiert. Dabei geht Russland ausgesprochen konspirativ vor. Selbst die Geschäftsführer und Direktoren dieser oft in unscheinbaren Wohnungen oder Hotels residierenden Kleinstfirmen hatten zuvor in der Regel überhaupt keine Verbindung zur Energiewirtschaft und sind mehr oder weniger unwissentlich in ein komplexes Netzwerk geraten, in dem Moskau im Verdacht steht, im Hintergrund sämtliche Fäden zu ziehen. Glaubhaften Berichten zufolge sind russische Regierungsbeamte involviert, die über die neu errichteten Firmenstrukturen dabei sind, eine Flotte von willigen Schiffseignern und Käufern aufzubauen, um mit Exporten aus der gesperrten Anlage zu beginnen. Dafür spricht auch der eher lockerer Umgang mit Geld, private Firmen agieren in dieser Hinsicht verantwortungsvoller. Nicht nur, dass potenzielle, noch zögerliche, Kunden mit steilen, mitunter marktfernen Preisnachlässen von bis zu 40 % geködert werden, auch die Preise, die für die alten, teils schrottreifen Tankschiffe gezahlt werden, sind betriebswirtschaftlich nicht zu rechtfertigen. Mit jenen Schiffen wiederholt Russland nun im Grunde die vormals bei Erdöl angewandten Strategien. Nicht nur, dass Satellitenbilder zeigen, wie ein mit Sanktionen belegter Tanker einen Schiff-zu-Schiff-Transfer auf offener See versucht - was schwieriger ist als bei Öl - auf ein Schiff, das noch nicht von den Beschränkungen betroffen war. Auch beweisen Satellitenaufnahmen, das Arctic LNG 2 offenbar bereits Erdgas exportiert. Diese zeigen einen am 01. August an der Anlage angedockten Tanker, während die übermittelten Daten seines digitalen Ortungssystems ihn zur gleichen Zeit langgestreckte Ovale in der Barentssee ziehen lassen. Aufgrund der Undurchsichtigkeit des Firmennetzes ist es praktisch unmöglich, die Schiffe bis zu ihren eigentlichen Eigentümern zurückzuverfolgen, womit die Sanktionierung von Verstößen ausbleibt. Dem Westen ist dies naturgemäß ein Dorn im Auge, eine Handhabe dagegen gibt es bislang nicht. Immerhin wird diese Einnahmequelle Russlands nun zumindest zeitweise versiegen, denn die altersschwachen Schiffe der Schattenflotte können die arktischen Gewässer nur bis Ende Oktober durchqueren, danach macht das dicke Eis dies unmöglich.