Es ist dieser plötzliche Hang zum Stottern und der irritierte, fahrige Augenaufschlag, wenn Lauterbach sich mal wieder völlig unverstanden fühlt. Er wolle doch nur Gutes tun, wird er dann dem Gegenüber versichern, sein Ziel sei es, ein bisschen „die Welt zu retten“ - vor allem jedoch unser Gesundheitssystem.
Das sei viel zu teuer geworden und ohne drastische Abstriche und Eingriffe in Zukunft nicht mehr zu finanzieren. Doch bevor es besser werden kann, das wisse er als während der Corona-Pandemie geübter Impfarzt nur zu gut, wird es erst mal teurer. Die Rede ist von Lauterbachs Krankenhausreform.
50 Milliarden Euro seien vonnöten, die je hälftig aus Töpfen von Bund und Ländern für den sogenannten Transformationsfonds aufgebracht werden sollten - eigentlich. Nur, dass die Ampel halt klamm ist und das Geld gezwungenermaßen anderweitig auftreiben musste. Nach bewährter Manier durch Griff in die tiefen Taschen der Bürger. Freilich am besten dort, wo sich niemand recht zu wehren weiß, bei den Abgaben für die gesetzlichen Krankenkassen.
Natürlich ist das längst kein Geheimnis mehr. Lauterbach weiß selbst sehr genau, wie ungerecht und unsozial die Sache mit der Finanzierung seiner Jahrhundertreform ausfällt. Er ist ja einer von den aufrechten Sozialdemokraten im Kabinett, nicht wahr? So hat der Minister bereits im Juni öffentlich und offensiv zugegeben: „Ganz klar ist, eine andere Finanzierung ist derzeit nicht darstellbar.“ Zumindest nicht von dieser Koalition. Denn das nötige Steuergeld zur Verfügung zu stellen, scheitert bekanntlich an der Schuldenbremse - also damit (nur) an der FDP.
Lauterbachs Plan B ist es deshalb, die Länder für sein Denkmal berappen zu lassen und für die anderen 25 Milliarden die arbeitende Bevölkerung ordentlich über deren Krankengroschen bluten zu lassen. Fragt sich nur: Warum eigentlich mal wieder die Angestellten aus den schwächeren Schichten und mit den bestenfalls mittleren Einkommen allein ran müssen? Wer zu den Besserverdienenden gehört (und als Privatpatient wert auf die Chefarztbehandlung legt), darf sich wieder mal einen schlanken Schuh machen. Die PKV haben dem Minister nämlich klipp und klar erklärt, dass sie sich bestimmt nicht an der Finanzierung der Lauterbach'schen Baustelle beteiligen werden. Der PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther droht bereits unverhohlen mit einer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe.
Private Kassen pochen auf Gutachten: Lauterbachs Modell sei verfassungswidrig
Und um seinen Punkt auch argumentativ zu untermauern, hat der Spitzenfunktionär der Privatkassen am 23. September sogleich ein Rechtsgutachten vorgelegt, wonach Lauterbachs Vorgehen „verfassungsrechtlich gar nicht zulässig" sei. Es stammt aus der Feder von Prof. Gregor Thüsing, dem Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn.
In der offiziellen Mitteilung der PKV wird Thüsings Einschätzung so dargestellt: „Beim Ausbau und der Reform der Infrastruktur handele es sich jedoch um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu deren Finanzierung die PKV nicht verpflichtet werden dürften.“ Und Warum nicht? „Ein solcher Finanzierungszwang wäre als Sonderabgabe mit Finanzierungswirkung verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.“
Das wird sich erweisen, irgendwann. Allerdings erst weit in der Zukunft. Vermutlich dann, wenn Lauterbach längst nicht mehr in seinem Amt sein wird und haftbar zu machen ist. Das „Deutsche Ärzteblatt“ wusste schon vorab, wie der Hase laufen dürfte, und verwies auf Änderungsanträge: „Darin heißt es, dass das Bundesministerium für Gesundheit dem Gesundheitsausschuss des Bundestages berichten soll, wenn in den Jahren 2026 bis 2035 keine Beteiligung der PKV am Transformationsfonds erfolgt. Die Höhe der finanziellen Beteiligung soll dem Anteil der privat Krankenversicherten an der Zahl der vollstationären Behandlungsfälle entsprechen.“ Also: Einfach Beine still halten und abwarten, lautet die Devise bei den Privatlassen. Der notwendige Auf- und Umbau der stationären Versorgung sei halt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, heißt es ultimativ, Und deshalb liege die Sache allein in der Finanzierungsverantwortung des Staates.
Auch die Gesetzlichen halten Finanzierung für problematisch - nur klagen dürfen sie nicht
Zugegeben: Auch der Spitzenverband der GKV hält das Vorhaben zur Finanzierung des Transformationsfonds für falsch und warnt vor stark ansteigenden Kosten der Kassen. Jedes Jahr gut 2,5 Milliarden Euro seien für den Transformationsfonds vorgesehen, um die umgestaltete Krankenhaus-Landschaft zehn Jahre lang aufzupäppeln, kritisiert die stellvertretende GkV-Vorstandsvorsitzende, Stefanie Stoff-Ahnis. Die Krankenkassen sind allerdings rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts - lediglich nur in Form der Selbstverwaltung. Sie müssen also die ihnen vom Gesetzgeber zugewiesenen Aufgaben voll umfänglich erfüllen und unterliegen obendrein staatlicher Aufsicht.
Zivilisierter Widerspruch ja, doch so richtig laut Zeter und Mordio schreien, das haben wir von den GKV noch nie erlebt. So kommt es, dass der Aufruhr und die Schärfung der Öffentlichkeit wieder mal lau ausfällt. Die Krisen bei Wirtschaft und der Migration dominieren derzeit alles. Dass die Kassenbeiträge prozentual ansteigen sollen und in den kommenden Jahren wohl sukzessive weiter anwachsen, wäre dann wieder nur so eine lapidare klassische Kurzmeldung in der Tagesschau. Dann, weiter im Text, was soll man machen? Lauterbach behauptetr: Nach 2026 bleibt alles stabil. Die alte Leier zur Beruhigung der Volksseele, das kenn wir schon aus den Zeiten Norbert Blüms („Die Rente ist sicher!“)
Von Empörung keine Sput: Parlamentarier sagen, sie würden gegebenenfalls nachschärfen
Auch die Debatte im Bundestag in der vergangenen Woche drehte sich daher um alles mögliche, die Zumutungen der Patienten etwa, ins ferne Kreiskrankenhaus zu müssen. Nur die Finanzierungsfrage ist bestenfalls verschämt angeschnitten worden und am Rande. Die PKV hätte sich „durchaus bereit erklärt“, den Transformationsfonds mitzufinanzieren, rechtfertigte das die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Heike Baehrens. Sollte die angemessene Beteiligung nicht erfolgen, müsse gesetzlich nachgeschärft werden, so die gutgläubige Göppinger Parlamentarierin. Fraglich, ob das wirklich passiert - oder die Zeit und Aktualität darüber hinweggeht, wie so oft.
Wobei ohnehin ja nirgends je konkrete Zahlen benannt worden sind, was das System denn von den Privatpatienten als fairen Beitrag und angemessene Beteiligung zu erwarten hat. Statt dessen wird versucht, herunter zu spielen, dass die paar Privatpatienten bundesweit den Kohl nicht fett machten. Doch nach Angaben des Statistischen Bundesamts sieht sie Sache so aus: In Deutschland ist die Krankenversicherung eine Säule des sozialen Sicherungssystems. Grundsätzlich sind alle Personen denn auch verpflichtet, sich gesetzlich oder privat zu versichern. Die Beiträge werden bei den Arbeitnehmern gemeinsam von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet. Für Beschäftigte oberhalb gewisser Einkommensgrenzen, die Selstständigen, Künstler und andere Ausnahmen gibt es aber die Möglichkeit sich freiwillig in der gesetzlichen oder aber bei privaten Krankenkassen zu versichern. Warum? Das haben wir mittlewrweile längst vergessen. Wr schon immer so!
Beamte und Selbstständige vorwiegend privat versichert - und damit fein raus
So kommt es, dass Beamte oder Selbstständige normalerweise Mitglieder privater Krankenkassen sind und deutlich besser abgesichert. Mithin sind 88 Prozent aller Erwerbstätigen nur gesetzlich versichert. Im Jahr 2019 waren fast alle Arbeitnehmer mit 95 Prozent und 59 Prozent der Selbstständigen in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Von den Arbeitnehmern sind fast alle pflichtversichert - nur ein geringer Teil mit fünf Prozent sind freiwillige Mitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung. Vier Prozent der Arbeitnehmer und 39 Prozent der Selbstständigen sind indessen in einer privaten Krankenversicherung abgesichert.
Womit ziemlich deutlich wird, worauf auch Sozialwissenschaftler immer wieder erfolglos hinweisen: Die Wohlhabenden werden in der Regel deutlich besser gestellt bei der medizinischen Versorgung, wobei sie wie selbstverständlich das gleiche öffentliche (und dadurch für alle zugängliche) Krankenhaus-System im Land mit nutzen, ohne dafür von der öffentlichen Hand allerdings gesondert zur Kasse gebeten zu werden.
Die PKV selbst freilich behauptet, es seien maximal acht Prozent, die die städtischen Kliniken mitnutzen würden. Es ist der ziemlich durchsichtige Versuch, die Realität in Deutschland Krankenhäusern herunterzuspielen. Das hat Janosch Dohmen von den Grünen auch erkannt. Er warnte: „Sollte sich die PKV entgegen aller Ankündigung überhaupt nicht an der Finanzierung offensichtlich notwendiger Transformation der Krankenhauslandschaft beteiligen wollen, gäbe es natürlich Möglichkeiten, wie der Gesetzgeber das regeln könnte.“ Um dann einen drohenden Konflikt gleich wieder herunterzuspielen. Bisher, so Dohmen defensiv, gebe es ja keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die PKV ihrer Verantwortung für eine gute Krankenhauslandschaft nachkommen werde, fügte der gesundheitspolitische Sprecher hinzu. Dem PKV-Chef hat Dohmen entweder nicht zugehört, oder er will ihn einfach nicht verstehen.
Libertäre Ansichten zur Steuer: Wie Minister Lauterbach sein schlechtes Gewissen beruhigt
Und was hat Karl Lauterbach selbst so zu Protokoll gegeben, um wenigstens sein schlechtes Gewissen zu beruhigen? Im Juni, als der Minister sein Gesetz im Bundestag vorlegte, hat er beinahe schon wie ein Libertärer argumentiert und ganz ernsthaft gesagt: „Zunächst einmal ist es so, dass auch Privatversicherte Steuern bezahlen, und die andere Hälfte wird ja durch die Länder bezahlt. Das sind im wesentlichen Steuermittel, da bezahlen auch Privatversicherte mit.“ Gesundheitsökonom Hartmut Reiners war einigermaßen baff: „Es sagt ja niemand, dass sie sich daran in gar keiner Weise beteiligen. Die Frage ist, ob die Beteiligung unter sozialen Gesichtspunkten wirklich okay ist? Das ist sie keineswegs.“ Selbst im Presseclub am Sonntagmittag waren sich da alle Diskutanten erstaunlich einig.
Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK, hat darauf hingewiesen, dass die Sache gemäß Koalitionsvertrag ohnehin ganz anders laufen sollte: „Der Bund erstattet nur ein Drittel des Aufwands, den die Kassen für Bürgergeld-Empfänger haben. Würde er – wie das im Koalitionsvertrag ja vereinbart ist – eine ausreichende Erstattung vornehmen, hätten die Krankenkassen gut 9,2 Milliarden Euro mehr pro Jahr zur Verfügung. Und alleine wenn das umgesetzt würde, bräuchten wir im nächsten Jahr so gut wie keine Beitragserhöhungen.“ Damals glaubte der Kanzler allerdings auch noch, seine sämtlichen Wahlkampf-Versprechen noch mit dem großen Füllhorn und allerlei bewährter Haushalts-Tricksereien (aus seiner eigenen Amtszeit als Finanzminister Angela Merkels) bezahlen zu können. Bevor das Bundesverfassungsgericht dieses Spielchen krachend gestoppt hat. Womöglich wird auch Karlsruhe noch in Sachen Krankenhausreform entscheiden müssen, wenn sich die privaten Krankenkassen weiter weigern, ihren Anteil beizusteuern.
Die Frage bleibt: Warum sind nicht alle im selben Gesundheitssystems?
Die andere Alternative wäre, die Reichen an der schönen neuen Klinikwelt teilhaben zu lassen, während die Arbeitnehmerschaft dafür aufkommt und - wie so oft - kräftig mit höheren Sozialabgaben geschröpft wird. Die zentrale Frage an den Minister bleibt freilich unbeantwortet: Warum ist Lauteerbach eigentlich nicht endlich das wahre Problem unserer Gesundheitsversorgung angegangen, nämlich die konkurrierenden Systeme von PKV und GKV abzuschaffen. Das würde schlagartig die miese Stimmung in den Wartezimmern verändern und wäre gerechter. Ja, warum hat Lauterbach sich hierfür nie wirklich stark gemacht. Weil die Gesendheitsbranche in Wirklichkeit reine Wirtschaftspolitik ist?