Politik

FDP-Rücktritte: Generalsekretär und Bundesgeschäftsführer ziehen die Reißleine wegen des D-Day-Papiers

Knapp drei Monate vor der Bundestagswahl hat sich die FDP mit einem detaillierten Szenario für den Ampel-Ausstieg in eine Krise gebracht. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann traten einen Tag nach Bekanntwerden des Dokuments zurück.
29.11.2024 18:03
Aktualisiert: 29.11.2024 18:03
Lesezeit: 2 min

Beide galten als enge Vertraute von Parteichef Christian Lindner. Die Nachfolge war zunächst offen. Somit muss sich die FDP, deren Wiedereinzug in den Bundestag laut Umfragen fraglich ist, wenige Wochen vor der Wahl am 23. Februar neu aufstellen. Lindner distanzierte sich klar von dem FDP-Papier. "Ich habe es nicht zur Kenntnis genommen und hätte es auch nicht gebilligt", erklärte er schriftlich. "Unabhängig davon möchte ich betonen, dass es angesichts des Koalitionsstreits und des Stillstands notwendig war, den möglichen Ausstieg der FDP aus der Ampel zu bedenken. Jedwede Vorwürfe weise ich zurück."

Djir-Sarai: Glaubwürdigkeit schützen

Mit ihrem Rücktritt reagierten beide FDP-Politiker auf das als "D-Day-Papier" bekannt gewordene Dokument, das am Donnerstag publik wurde. Es beschreibt detailliert ein Szenario für den FDP-Ausstieg aus der Ampel mit SPD und Grünen. Djir-Sarai hatte noch am 18. November in Bezug auf Berichte über die "D-Day"-Bezeichnung erklärt: "Das stimmt nicht. Dieser Begriff wurde nicht verwendet."

Bei seiner Rücktrittserklärung wies er offenbar auf diesen Widerspruch hin. "Ich habe unwissentlich falsche Angaben zu einem internen Dokument gemacht. Dies war keine Absicht, da mir das Papier selbst nicht bekannt war", sagte der 48-Jährige in einer kurzen Erklärung im Hans-Dietrich-Genscher-Haus. "Dafür entschuldige ich mich." Er übernehme Verantwortung, "um Schaden von meiner Glaubwürdigkeit und der FDP abzuwenden". Reymann erklärte schriftlich, er habe Lindner seinen Amtsverzicht angeboten, und dieser habe das Angebot angenommen. "Ich möchte eine personelle Neuaufstellung der Partei im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ermöglichen." Die Bundestagswahl sei entscheidend für Deutschlands Zukunft. "Diesen Wahlkampf muss die FDP ohne belastende Personaldebatten führen."

Reaktionen auf das FDP-Strategiepapier

In dem Papier ist von einem "idealen Zeitpunkt" für den Ausstieg aus der Ampel die Rede, etwa Mitte der 45. Kalenderwoche zwischen dem 4. und 10. November. Am 6. November kam es tatsächlich zum Koalitionsbruch: Kanzler Olaf Scholz (SPD) entließ Finanzminister Lindner während einer Sitzung des Koalitionsausschusses.

Interner Druck auf Djir-Sarai vor seinem Rücktritt

Kurz vor Djir-Sarais Rücktritt forderte Franziska Brandmann, Vorsitzende der Jungen Liberalen, seinen Rückzug. "Als Generalsekretär trägt Bijan Djir-Sarai die politische Verantwortung für die Inhalte und Ausrichtung der FDP. Um weiteren Schaden abzuwenden, habe ich ihn dazu aufgefordert, zurückzutreten", schrieb Brandmann auf X. Das Papier sei "einer liberalen Partei unwürdig".

Kontroverse um Begriff im Papier

Die Wortwahl des FDP-Strategiepapiers löste ebenfalls Kritik aus. Der Begriff "D-Day", mehrfach im Dokument verwendet, steht für den möglichen Ausstiegstermin. Der Ausdruck stammt aus dem Zweiten Weltkrieg und bezeichnet die Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944. Er symbolisiert nicht nur den Beginn der Befreiung Europas, sondern auch immenses Leid mit Tausenden Toten und Verletzten.

Djir-Sarai: Zwei Jahre an der FDP-Spitze

Seit April 2022 war Bijan Djir-Sarai FDP-Generalsekretär. 1976 in Teheran geboren, zog er später nach Deutschland und studierte Betriebswirtschaft. Seit 2009 ist er mit Unterbrechung Bundestagsabgeordneter und vertritt den Wahlkreis Neuss I. Von 2017 bis 2021 war er außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion.

Reymann: Lindners Vertrauter im Hintergrund

Carsten Reymann agierte eher im Hintergrund. Erst seit dem 1. März war er Bundesgeschäftsführer. Zuvor war er Leiter von Lindners Bundestagsbüro und später im Leitungsstab des Finanzministeriums tätig.

SPD: "Bauernopfer" als Ablenkung

SPD-Generalsekretär Matthias Miersch bezeichnete Djir-Sarais Rücktritt als "durchschaubares Bauernopfer", um Lindner zu schützen. "Die entscheidende Frage bleibt: Welche Rolle hat Christian Lindner selbst gespielt?", erklärte er. Auch SPD-Chef Lars Klingbeil warf der FDP Täuschung vor und sagte der "Rheinischen Post": "Die FDP hat das Land belogen." FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht nun die Partei in der Pflicht, Fehler aufzuarbeiten. "Die Rücktritte waren unausweichlich. Führung bedeutet Verantwortung", sagte sie. Vizeparteichef Wolfgang Kubicki nannte Djir-Sarais Rückzug in der "Welt am Sonntag" folgerichtig: "Die Kommunikation rund um das Papier war untragbar schlecht."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Mulfin Trade hat seine Schutzsysteme für mehr Sicherheit aktualisiert

Der Schutz persönlicher Daten ist einer der Schlüsselfaktoren, die das Vertrauen der Kunden in einen Service beeinflussen. Mulfin Trade...

DWN
Technologie
Technologie Regulieren statt dominieren: Europas letzter Ausweg in der KI-Welt
07.06.2025

Europa droht im globalen KI-Wettlauf abgehängt zu werden. Doch Experten zeigen: Die wahre Macht liegt nicht in der Modellentwicklung,...

DWN
Politik
Politik Kollaps der Insekten-Revolution: EU zerstört ihre eigene Bio-Strategie
07.06.2025

Erst gefeiert als nachhaltige Wunderlösung – nun droht das Aus: Europas Insektenzüchter stecken in der Krise. Die Hoffnung, Fischmehl...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Unternehmen verkaufen: Die 10 häufigsten Fehler beim Unternehmensverkauf
07.06.2025

Was Unternehmer beim Verkauf ihres Unternehmens falsch machen – und wie selbst starke Zahlen durch fehlende Strategie, überzogene...

DWN
Politik
Politik Ehegattennachzug stagniert: Rechtliche Hürden beim Sprachnachweis
07.06.2025

Die Zahl der Visa für den Ehegattennachzug nach Deutschland ist rückläufig. Gleichzeitig bestehen weiterhin sprachliche und rechtliche...

DWN
Panorama
Panorama Ausweis, Ticket & Co.: Was Sie vor einem Urlaubsflug beachten sollten
07.06.2025

Check-in, Sicherheitscheck und Sprint zum Gate: Der Start in den Urlaubsflug kann am Flughafen schnell im Stress enden. Das lässt sich...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wertvollster Fußballer der Welt: Lamine Yamal knackt 400-Millionen-Marke
07.06.2025

Ein 17-Jähriger dominiert den globalen Fußballmarkt: Lamine Yamal ist mehr wert als ganze Bundesligateams – und verkörpert die extreme...

DWN
Politik
Politik Der Weltraum als nächstes Schlachtfeld – Europas Sicherheit steht auf dem Spiel
07.06.2025

Der Orbit wird zur neuen Frontlinie geopolitischer Machtspiele. Wie private Satelliten, militärische Strategien und neue Allianzen die...

DWN
Technologie
Technologie Silicon Valley dominierte Big Tech – Europas Chance heißt Deep Tech
06.06.2025

Während Europa an bahnbrechenden Technologien tüftelt, fließt das große Geld aus den USA. Wenn Europa jetzt nicht handelt, gehört die...