Politik

Energiewende in Deutschland: Bitte ohne Ideologie

Atomkraft hin, Atomkraft her: Was für die einen pragmatisch klingt, prangern die anderen als Gipfel der Verantwortungslosigkeit an. Je nach politischer Position ist der Ausstieg pragmatisch und der Wiedereinstieg ein Fiasko, oder aber der Ausstieg eine Katastrophe und der Wiedereinstieg sinnvoll. Beide Lager sollten dabei aber bitte nicht so emotional, sondern rational vorgehen. Das gilt für die gesamte politische Debatte um die Energiewende. Denn diese trieft vor Ideologie - und zwar auf allen Seiten. Wie wäre es mit einer ideologiefreien Energiewende in Deutschland?
16.01.2025 11:00
Aktualisiert: 01.01.2030 20:15
Lesezeit: 8 min
Energiewende in Deutschland: Bitte ohne Ideologie
Energiewende in Deutschland: Wie wäre es, wenn man einander mal zuhören würde? (Foto: iStock) Foto: SIphotography

Ohne Saft läuft nichts. Weder das Smartphone, noch der Staubsaugerroboter - und leider auch nicht die deutsche Wirtschaft. Weil jeder möglichst viel möglichst günstigen Strom möchte, und weil der Schock der Gaskrise nach der russischen Invasion der Ukraine noch tief sitzt, sind die Debatten darüber, wie man Energie produziert, bezahlt und verteilt, eh schon ordentlich aufgeheizt. Packt man noch Inflation und Klimakrise obendrauf, steigt der Angstpegel. Dann fällt es den meisten schwer, dem politischen Gegenüber wirklich zuzuhören. Stattdessen ist der natürlich ein lacksaufender Vollidiot, der nichts verstanden hat und dumpf bloß auf die eigene Agenda schielt.

Mehr Fakten, weniger Rechthaberei

Denn ideologiegetrieben – das sind immer die anderen. Man selbst verkündet selbstverständlich die pure, objektive Wahrheit. Vielleicht, wenn man ehrlich ist, im stillen Kämmerlein, mogelt sich ein ganz klitzekleines bisschen Eigeninteresse ins Spiel. Was nicht verwerflich ist! In einer demokratischen Marktwirtschaft soll ein jeder für die eigenen Interessen einstehen, solange es nicht der Allgemeinheit schadet. Was allerdings der Allgemeinheit schadet, sind angstbissige Streits, in denen jeder von der eigenen Position so überzeugt ist, dass es nicht mehr nötig scheint, auf die Fakten zu schauen.

Doch genau das täte uns gerade gut: mehr Fakten, mehr Klarheit, mehr Beteiligung. Eine gemeinsame Anstrengung, bei der keiner das Gefühl hat, über den Tisch gezogen zu werden. Sondern eine, die sich lohnt. Wenn wir aus der Dauerkrise raus wollen, sollte sich jeder zuerst mal an der eigenen Nase packen und schauen, wieviel Ideologie eigentlich in den eigenen Ansichten steckt. Denn das Projekt Energiewende ist zu wichtig für Kindergarten-Raufereien, auf deren Niveau sich ja meist die politische Debatte abspielt - besonders im Wahlkampf.

Drei energiepolitische Lager

Im Grunde gibt es gerade drei Lager. Das erste Lager, das sich gerne pragmatisch nennt, fordert alles, was kurzfristig die Preise senkt – ob das Gas aus Russland ist, Atomkraft aus Deutschland oder Fracking im Norddeutschen Becken. Hier dominiert die Angst davor, wirtschaftlich abgehängt zu werden und als Gesellschaft große, unwiderrufliche Fehler zu begehen, die nicht mehr gutzumachen sind.

Das zweite Lager, das sich für klüger hält, akzeptiert die Realität des Klimawandels und will möglichst rasch von fossilen Energien loskommen, um mittelfristig mit erneuerbaren Energien durchzustarten, geopolitisch unabhängiger zu werden und mit dem Abschneiden alter Zöpfe Platz für neue zu machen. Opfer sollen jetzt gebracht werden, damit es später besser wird. Dieses Lager fürchtet sich – neben radioaktiven Wolken und Gentechnik – vor allem vor den langfristigen Folgen des Klimawandels für Mensch und Umwelt. Hier weiß man es oft besser. Was schwierig ist – in Deutschland haben Streber einen schweren Stand, vor allem, wenn sie Recht haben.

Und das dritte Lager sind die, die entgeistert der Entfesselung des Neoliberalismus zuschauen, während die anderen beiden Lager damit beschäftigt sind, sich gegenseitig Dummheit und Egomanie vorzuwerfen. Dieses dritte Lager, das sich selbst gar nicht als Lager erkennt und auch keines sein möchte, würde sich aus dem ganzen Quatsch gerne raushalten, so lange der Strom fließt und nicht zu teuer ist. Beziehungsweise, solange auch sauberes Trinkwasser fließt, wir nicht von Raketen oder Drohnen attackiert werden und keine Reaktoren in die Luft fliegen. Nennen wir es mal das moderate Lager.

In diesem dritten energiepolitischen Lager wünscht man sich durchaus Veränderung, wenn sie sozialverträglich gestaltet wird und zwar so, dass man davon so wenig wie möglich mitbekommt. Windräder vor der eigenen Haustür müssen nicht sein, aber auch kein Atomkraftwerk. Dieses Lager hat Angst vor zu schnellen und zu weitreichenden Veränderungen. Und auch davor, dass in der politischen Auseinandersetzung keine vernünftigen Einigungen mehr möglich sind. Vermutlich ist dieses Lager das größte und wird – verständlicherweise – immer politikverdrossener. Was sehr schade ist, denn es kommt auf genau diese Mehrzahl der Menschen an, die einfach nur in Ruhe ihr Leben leben wollen, ohne anderen ihre Meinung aufzuzwingen oder sie von anderen aufgezwungen zu bekommen.

Selbst wenn sie der falschen Vorstellung erliegen, dass ein unpolitisches Leben möglich ist und man sich einfach nur raushalten braucht, während andere die Probleme lösen, haben sie doch am ehesten das Potenzial, ohne festgefahrene Vorstellungen auf die aktuelle Situation zu blicken. Und so zumindest näherungsweise ideologiefrei zwischen allen Parteien zu vermitteln, wie es uns subjektiven, emotionalen, sich nach Gruppenzugehörigkeit sehnenden Menschen im Zeitalter von Social Media möglich ist.

Energiewende in Deutschland: Wie könnte eine ideologiefreie Debatte aussehen?

Klar, sich informieren und den anderen zuhören, ohne sie reflexhaft anzuschreien. Das wäre ein guter, erster Schritt. Konkret hieße das für beispielsweise die Grünen, die berechtigten Ängste vor tentakelhafter, alles erstickender Bürokratie und vor steigenden Kosten in der Bevölkerung anzuerkennen und nicht wegzuignorieren, weil das Volk ja keine Ahnung hat und bevormundet werden muss zu seinem eigenen Wohl – Stichwort Heizungsgesetz. Es hieße auch, für eine sichere Grundlast zu sorgen, die es der deutschen Industrie und Wirtschaft ermöglicht, kontinuierlich zu produzieren, und nicht wegen einer Dunkelflaute wie etwas im Dezember und damit einhergehender explodierender Strompreise den Betrieb runterfahren zu müssen. Auch, wenn dafür kurzfristig erstmal weiter fossil Strom erzeugt werden muss.

Für die CDU etwa hieße es, sich mit den tatsächlichen Kosten und Risiken von Kernkraft auseinanderzusetzen, statt sie als billiges Wahlkampfthema zu missbrauchen, nach dem Motto: „Wir haben doch praktisch kostenlose, endlose, sichere Energie – wir nutzen sie nur nicht, und nur die Grünen sind schuld daran!“ Das ist faktisch falsch, denn Atomkraft sieht nur auf dem Papier günstig aus, weil sie einerseits massiv subventioniert wurde und andererseits ein ganzer Haufen Kosten und Probleme gerne mal rausgerechnet wird – von der geopolitischen Abhängigkeit von Uran über die nie geklärte Frage der Endlagerung bis hin zu Kühlproblemen in immer heißer werdenden Sommern – wie es das oft falsch als Vorbild genannte Frankreich erlebt, das deswegen seine Reaktoren öfter mal runterfahren und teuren Strom im Ausland kaufen muss. Selbst der Energieriese EnbW hält die Wiederinbetriebnahme seiner stillgelegten Meiler mittlerweile für ausgeschlossen und den Neubau von Reaktoren für unrealistisch.

Als Bürger ernst genommen werden

Das sind nur Beispiele. Und die sind vor allem auf Parteienebene. Aber es kommt auch auf den Rest an. Immer wieder wird ja von Bürgern bemängelt, dass unser Parlament nur vor sich hin mauschelt und den Willen des Deutschen nicht hört. Dabei ist es doch das Wesen der repräsentativen Demokratie, nicht sofort jeden Sturm, der durch die Seele des Volkes rauscht, unmittelbar umzusetzen. Sondern Kompromisse zu schließen, was langfristig effizienter ist und zu weniger Kriegen führt. Freilich wäre weniger nur scheinbar alternativlose Technokratie wünschenswert. Zumindest das Gefühl wäre nett, als Bürger ernst genommen zu werden und nicht von oben herab wegverwaltet von Menschen, die es oft auch nicht so viel besser wissen als man selbst, die eigene Interessen im Spiel haben und Fehler machen können. Gleichwohl wirkt dieser Ruf nach denen da oben auch immer etwas infantil: Papa und Mama müssen es anders machen, die müssen liefern!

Hier kommt das dritte Lager ins Spiel, das sich nicht klar einer ideologischen Parteilinie zuordnen lässt, außer eben der Biedermann'schen weitestgehenden politischen Ideologiefreiheit und dem Wunsch nach einem guten Privatleben. Dieses Lager muss nun selbst mehr Verantwortung übernehmen und für Kompromisse sorgen – in Gesprächen, in Online-Foren, auf Elternabenden, wo auch immer. Die Versuchung, beim Stammtisch die möglichst kernige These rauszuhauen, ist groß. Aber für diese Art der Debatte schwierig.

Was jetzt ansteht

Und sonst? Eigentlich liegt auf der Hand, was jetzt wichtig ist. Vom gesicherten Brückenstrompreis für die Industrie über die Einführung von Smart Metern, um auch in privaten Haushalten von Strompreisschwankungen zu profitieren, bis hin zu einem baldigen Kraftwerksicherungsgesetz. Das sind die kleinen Legobausteine. Und die großen? Eine Industriepolitik in Zeiten von Trump'schen Zöllen und chinesischen Billigimporten, die den Wandel der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer auffängt. Technologische Innovationen des Landes der Dichter, Denker und Ingenieure - gerne im Bereich der erneuerbaren Energien. Ausbau der Infrastruktur, von Speicherkraftwerken über Ladesäulen bis zu Verteilernetzen. Dafür eine Lösung der Schuldenbremse, um jetzt wieder auf die Beine zu kommen. Eine erhebliche Reduktion der Bürokratie. Keine Wende von der Wende, sondern eine sinnvolle, ideologiefreie Auseinandersetzung mit dem, was nötig und dem, was aktuell möglich ist. Ohne, dass dabei zuviele Menschen auf der Strecke bleiben.

Beispiel Beteiligungsgesetz

Wir brauchen energische und energetische Maßnahmen, die die Bevölkerung mitnehmen, statt sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ein Beteiligungsgesetz für Windparks beispielsweise würde schon einen großen Unterschied dabei machen, wie man auf die Dinger blickt, die da in der Landschaft stehen. Wenn jede Umdrehung durch eine frische Brise einer Kommune Geld in die Kassen spült, wirken die Windräder vermutlich anders, als wenn ein Fremdinvestor einem da einen Haufen rot blinkender Betonpfeiler vor die Nase setzt und von Subventionen profitiert, von denen man selbst nichts abbekommt.

Kein kleingeistiges Mikromanagement

Eine positive Vision müsste her, die nicht arrogant und angstgetrieben die Gesellschaft vor sich her scheucht, die sich dann vollkommen verständlich dagegen sträubt, zumindest gefühlt veräppelt zu werden. Sondern die einen klaren Pfad zeigt, der sinnvoll finanzierbar ist, der profitabel ist, der Made in Germany ist. Der Freude macht statt Angst. Der Arbeitsplätze schafft, statt sie zu vernichten. Der sich nicht in kleingeistigem Mikromanagement ("Nudging") der Bürger und Betriebe verliert, damit Zeit, Geld und Nerven kostet und so das politische Tor links und rechts durch Frustration der Massen weit aufspannt, die sich zu Recht um den Verlust ihres Lebensstandards sorgen. Klar kann man dabei einfach auf die Technologie setzen wie die FDP. Der technische Fortschritt läuft, von Speichermedien über Verteilernetze, Wall Boxes, Wasserstoffkraftwerke, künstliche Intelligenz, Geothermie bis hin zur Forschung an Fusionsreaktoren. Aber einfach zu sagen, die Technik wird’s schon richten, und wir legen bis dahin die Hände in den Schoss, der Markt wird's schon von selbst richten, das hilft auch nicht.

Also, bitte her mit einer ideologiefreien Energiewende!

Ob das klappt? Naja. Wünschen wird man es sich ja noch dürfen.

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Maximilian Modler

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Maximilian Modler berichtet über spannende Entwicklungen aus den Bereichen Energie, Technologie - und über alles, was sonst noch für die deutsche Wirtschaft relevant ist. Er hat BWL, Soziologie und Germanistik in Freiburg, London und Göteborg studiert. Als freier Journalist war er u.a. für die Deutsche Welle, den RBB, die Stiftung Warentest, Spiegel Online und Verbraucherblick tätig.

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