Politik

Warum der Merz-Plan so einschlägt: Deutschland scheitert an Dublin-Rückführungen

Die EU hat sich ein System zur fairen Aufnahme von Asylbewerbern ausgedacht - das Dublin-Verfahren. Die Statistik zeigt: Für Deutschland hat es zuletzt kaum funktioniert - zum Teil selbst verschuldet. Die Polizeigewerkschaft hat jedenfalls große Sorgen, ausreichend Personal für Kontrollen an allen Grenzabschnitten bereitstellen zu können.
27.01.2025 15:03
Lesezeit: 2 min

Den deutschen Ausländerbehörden ist in den Jahren 2023 und 2024 in Zehntausenden Fällen nicht gelungen, Asylbewerber nach dem Dublin-Verfahren in das jeweils zuständige EU-Partnerland zu überstellen - obwohl in all diesen Fällen die förmliche Zustimmung des jeweiligen Landes vorlag. Das geht aus Statistiken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hervor.

Einer dieser Fälle war der mutmaßliche Angreifer von Aschaffenburg, der nach Bulgarien hätte überstellt werden sollen. Allerdings dauerte die Übermittlung von Bescheiden auf dem Behördenweg so lange, dass die für Dublin-Überstellungen geltende Frist von sechs Monaten - beginnend mit dem Tag der Zusage des aufnehmenden Landes - nicht mehr eingehalten werden konnte.

Erst-Einreiseland für Einreisende zuständig

Das Dublin-Verfahren ist ein Bestandteil des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Eine der Regelungen besagt, dass in vielen Fällen derjenige Staat für die Abwicklung des Asylverfahrens zuständig ist, in dem der Geflüchtete zuerst EU-Boden betreten hat. Reisen die Flüchtlinge weiter in andere EU-Staaten und stellen dort erst den Asylantrag - was häufig in Deutschland passiert - muss das Erst-Einreiseland die Menschen unter bestimmten Bedingungen zurücknehmen.

Im Jahr 2023 hatte Deutschland insgesamt in 74.622 Fällen um Überstellung in ein EU-Land gebeten, in 55.728 Fällen stimmten die Partnerländer zu. Tatsächlich überstellt wurde jedoch mit nur 5.053 Menschen nicht einmal jeder Zehnte. 2024 sah die Bilanz nur geringfügig besser aus: In 74.583 Fällen wurde die Überstellung von Deutschland beantragt, in 44.431 Fällen wurde von den europäischen Partnern zugestimmt. Aber nur in 5.827 Fällen fand die Überstellung tatsächlich statt.

Italien nimmt kaum jemand zurück

Die Gründe für die schwachen Erfolgsquoten liegen im In- und Ausland. Bekannt ist, dass einige Länder - darunter vor allem Italien - der Rücknahme zwar zustimmen, in der Praxis aber unerfüllbare Bedingungen für die Rücknahme von Dublin-Flüchtlingen stellen und damit die Überstellungen fast unmöglich machen. Italien nahm aus Deutschland im Jahr 2024 nur drei Dublin-Fälle zurück, hatte aber für mehr 10.000 Fälle Rücknahmezustimmungen erteilt.

Andere Gründe liegen im Inland, etwa wenn die deutschen Behörden die Fälle nicht rechtzeitig bearbeiten. Im Aschaffenburger Fall waren 4,5 Monate der sechsmonatigen Frist verstrichen, ehe das Bundesamt für Migration der örtlichen Ausländerbehörde in Aschaffenburg die Dublin-Rückführung mitteilte - der rechtskräftige Bescheid kam sogar erst wenige Tage vor Fristablauf in Aschaffenburg an.

In anderen Fällen verhindern deutsche Gerichte die Überstellungen, etwa in Länder wie Kroatien. Die Richter sehen die Gefahr, dass die Asylbewerber dort kein rechtsstaatliches Verfahren erhalten oder die Unterbringungsbedingungen nicht den Mindestanforderungen entsprechen.

Gewerkschaft: Für Merz-Pläne fehlen Zehntausende Polizisten

Die von Unionskanzlerkandidat Merz geforderten dauerhaften Grenzkontrollen sind aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ohne Tausende neue Mitarbeiter nicht zu machen. "Benötigt würden sicherlich 8.000 bis 10.000 zusätzliche Kräfte, um die Grenze umfänglich zu kontrollieren", sagte der GdP-Chef für die Bundespolizei, Andreas Roßkopf. Die Bereitschaftspolizei unterstütze bereits jetzt jede Woche mit etwa 1.000 Kolleginnen und Kollegen an der Grenze.

Grenzkontrollen müssen auch technisch verbessert werden

Eine personelle Reform sei daher "zwingend erforderlich", sagte Roßkopf. Neben dem Personalmangel sieht er ein weiteres Problem: Modernste Technik wie die Kameraüberwachung mit Drohnen und der Kennzeichen-Erfassung müssten dringend nachgebessert werden. "Moderne und flexible Grenzkontrollen sind kaum vorhanden." Seit 2017 fordere die GdP einen modernen und flexiblen Grenzschutz, bisher sei so gut wie nichts passiert, beklagte er.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Experten-Webinar: Ist Bitcoin das neue Gold? – Chancen, Risiken und Perspektiven

Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unsicherheiten: Viele Anleger fragen sich, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wachsender...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Datensammeln ohne Richtung: Warum der falsche Analyst Ihrem Unternehmen schadet
31.05.2025

Viele Unternehmen sammeln Daten – doch ohne den richtigen Analysten bleiben sie blind. Wer falsche Experten einsetzt, riskiert...

DWN
Panorama
Panorama Umfrage: Vielen Bädern fehlt das Personal
31.05.2025

Viele Bäder in Deutschland haben laut einer Umfrage mit Personalengpässen zu kämpfen. So hatten 38 Prozent der befragten Hallen- und...

DWN
Finanzen
Finanzen Trump plant Milliardeninvestition in Bitcoin und andere Kryptowährungen
31.05.2025

Donald Trump will Bitcoin zur Staatsangelegenheit machen – mit Milliarden-Investitionen seiner Mediengruppe. Während der Markt jubelt,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chinas Monopol auf Seltene Erden wankt – doch der Westen zahlt den Preis
31.05.2025

China kontrolliert die Welt der Seltenen Erden – und lässt Konkurrenz nur zu ihren Bedingungen zu. Neue Minen entstehen, doch ihre...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Fetter Profit in Sicht – oder frisst Trump Novo Nordisk auf?
30.05.2025

Novo Nordisk träumt von einer Gewinnverdopplung mit Abnehmspritzen – doch Billigkopien, Trump-Zölle und eine wacklige Pipeline könnten...

DWN
Panorama
Panorama Deutsche Urlauber auf Platz eins in Griechenland
30.05.2025

Sonne satt, blauer Himmel, Strand und Meer - deutsche Touristen lieben Griechenland. Für Hellas sind sie die größte und wichtigste...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Osttechnik unter Westregie: Wie Multicar im Hako-Verbund zur Hightech-Marke wurde
30.05.2025

Sie fegen, sie wischen, sie räumen: Die orangefarbenen Mini-Lkw von Multicar sind aus deutschen Kommunen kaum wegzudenken. Dass sie heute...

DWN
Politik
Politik Deutschland vor dem Absturz – Kann Merz die Wirtschaft noch retten?
30.05.2025

Die deutsche Wirtschaft taumelt – Investitionen versanden in Bürokratie, Fachkräfte fehlen, die Industrie verliert an Schlagkraft....