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Mental Health am Arbeitsplatz

Psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen nehmen zu. Die Fehlzeiten sorgen für einen großen wirtschaftlichen Schaden, doch meist schieben Chefs die Verantwortung ihren Mitarbeitern zu. Jetzt sind Unternehmen gefordert, für ein gesundheitsförderliches Arbeitsumfeld zu sorgen, ihre Mitarbeiter zufriedener und damit produktiver zu machen und so ihre Marke als Arbeitgeber zu stärken. Welche Maßnahmen Führungskräfte ergreifen sollten und wie Beschäftigte ihre mentale Gesundheit stärken können.
15.03.2025 12:36
Aktualisiert: 01.01.2030 11:21
Lesezeit: 6 min
Mental Health am Arbeitsplatz
Mental Health am Arbeitsplatz: Unternehmen müssen jetzt handeln. (Bild: iStock / Yummy pic)

Mental Health am Arbeitsplatz

Arm gebrochen? Mit Grippe im Bett? Bandscheibenvorfall? Ist nicht schön, macht keinen Spaß und führt zu Fehlzeiten von Mitarbeitern - mal kürzer, mal länger. Aber immerhin kann man da meist frei drüber sprechen, ob mit Chef oder Kollegen. Anders liegt der Fall bei Depression, Angststörung oder Psychose – denn psychische Erkrankungen sind im Job oft tabu. Erkrankte fürchten sich vor Stigmatisierung, Vorgesetzte wissen selten, wie damit umzugehen ist, das Thema ist allen Beteiligten meist schrecklich peinlich und unangenehm. Und noch immer wird in Unternehmen die Verantwortung für den Umgang damit meist den einzelnen Mitarbeitern zugeschoben, nach dem Motto "Mach doch mal eine Entspannungsübung".

Immer mehr Deutsche psychisch erkrankt

Nichts gegen Entspannungsübungen. Aber meist reicht dies nicht, um psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz genügend vorzubeugen. Dabei wäre dies dringend notwendig. Nicht nur Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder hat nun eine Burn-out-Diagnose. Die Krankenkassen berichten von zunehmend höheren Krankenständen und längeren Krankschreibungen – vor allem psychische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch. Der Arbeitsausfall wegen Depressionen, Belastungsreaktionen und Ängsten hatte laut der DAK im Jahr 2023 einen vorläufigen Höchststand erreicht – und war dann im ersten Halbjahr 2024 sogar noch "besorgniserregend" gestiegen. In den ersten sechs Monaten 2024 habe es im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 14,3 Prozent mehr Fehltage wegen Depressionen oder Anpassungsstörungen gegeben.

Im Schnitt sind Betroffene 33 Tage lang krankgeschrieben

Bei Frauen liege der Anteil von psychischen Erkrankungen am Krankenstand bei 21 Prozent, bei Männern bei 14,5 Prozent, so die Kasse weiter. Menschen in Pflegeberufen sind häufiger betroffen als etwa Menschen in technischen Berufen. Die anderen Krankenkassen berichten von ähnlichen Entwicklungen. Die AOK schreibt: „In den letzten zehn Jahren hat zudem die Anzahl an AU-Tagen wegen psychischer Erkrankungen um knapp 47 Prozent zugenommen (Stand: August 2024). Dies ist vor allem von Bedeutung, weil psychische Erkrankungen mit besonders langen Ausfallzeiten einhergehen.“ So dauere ein Erkrankungsfall, der von einer Atemwegserkrankung verursacht wurde, im Jahr 2023 im Durchschnitt 6,1 Tage. Mitarbeitende mit psychischen Erkrankungen fehlten dem Bericht zufolge hingegen durchschnittlich 28,1 Tage pro Erkrankungsfall, laut DAK waren es 2023 sogar 33 Tage Krankschreibung.

Kosten: mehr als 147 Milliarden Euro für die Gesellschaft

Im Schnitt sind es pro Versichertem quer durch die Kassen fast vier Fehltage im Jahr aufgrund von psychischen Erkrankungen. Das kostet. Und zwar Unternehmen und die Gesellschaft. Jährlich betragen die direkten und indirekten Kosten durch psychische Erkrankungen in Deutschland mehr als 147 Milliarden Euro, wie in der OECD-Publikation "Health at a Glance" zu lesen ist.

Stress durch Erreichbarkeit und Krisen

Woran liegt das? Und was kann man dagegen tun? Werden psychische Erkrankungen mittlerweile häufiger diagnostiziert? Steigt der Druck auf Arbeitnehmer? Welche Rolle spielen der Krieg zwischen Russland und der Ukraine, die Inflation und weitere Krisen wie der Klimawandel? Und was macht der technologische Fortschritt in Form von mehr Multitasking und ständiger Erreichbarkeit mit den Menschen?

Vor allem Jüngere betroffen

Es scheint jedenfalls ein Problem gerade der Jüngeren zu sein. Insgesamt ist fast ein Drittel aller Deutschen betroffen. Laut AXA berichten 31 Prozent der Deutschen, dass sie aktuell unter Depressionen, Angststörungen, Essstörungen, Zwangsstörungen oder anderen psychischen Erkrankungen leiden. Unter den unter 25-Jährigen sind es sogar 41 Prozent. Die am wenigsten von psychischen Erkrankungen betroffene Altersgruppe sind die 65- bis 75-Jährigen. Hier sind es nur 15 Prozent, die nach eigenen Angaben aktuell psychisch erkrankt sind.

Für Unternehmer und Führungskräfte heißt das: Es lohnt sich, zum einen auf die eigene Gesundheit zu achten, um leistungsfähig zu bleiben und ein Vorbild zu sein. Und zum anderen für ein Arbeitsklima zu sorgen, das die mentale Gesundheit der Mitarbeiter fördert. Diese wiederum tragen eine Eigenverantwortung für ihre Gesundheit und sollten Prävention betreiben.

Was können Arbeitgeber tun?

Eine Reihe von Maßnahmen hilft, psychische Erkrankungen der Mitarbeiter zu verhindern und rechtzeitig zu erkennen, um frühzeitig gegensteuern zu können. Dies zahlt sich auf mehreren Ebenen aus: Weniger Fehltage und damit weniger Kosten, weniger Burnout, weniger Recruiting, zufriedenere und damit produktivere Mitarbeiter, langfristige Arbeitsverhältnisse und ein gutes Employer-Branding. Zu diesen Maßnahmen zählen.

  • Weniger Multitasking: den Mitarbeitern Zeiträume ermöglichen, in denen sie ohne Störung ihrer Arbeit nachgehen können. Weniger Meetings, weniger Messenger-Dienste, weniger Dokumentation – all das verringert den Stress.
  • Arbeitszeiten flexibel, sozialverträglich und familienfreundlich gestalten.
  • Freiräume und Autonomie für Mitarbeitende gewähren.
  • Realistische Zielsetzungen formulieren.
  • Individuelle Belastungsgrenzen der Mitarbeitenden berücksichtigen.
  • Beschäftigte entsprechend ihrer Qualifikationen und Fähigkeiten einsetzen.
  • Positive Feedback- und Fehlerkultur, die für ein gutes Arbeitsklima sorgt.
  • Erreichbarkeit der Mitarbeitenden gezielt einschränken – beispielsweise keine Pflicht zur Beantwortung von E-Mails nach Feierabend und am Wochenende. Und das Arbeitshandy bleibt aus. Denn nur, wer am Wochenende ausspannen kann, ist am Montag wieder voll einsatzfähig.
  • Arbeitsorganisation, also auch Prozesse und Strukturen sowie Zuständigkeiten regelmäßig prüfen und bei Bedarf anpassen.
  • Mehrarbeit und Überstunden kritisch hinterfragen: Sind sie wirklich notwendig?
  • Ein angenehmes Betriebsklima schaffen, das Raum für Spaß und Humor bietet.
  • Mobbing innerhalb des Betriebs konsequent bekämpfen.
  • Schulungen der Führungskräfte bezüglich Mental Health.
  • Führungskräfte sollten persönliche Wertschätzung zeigen und mit den Mitarbeitern im Austausch sein.
  • Eine offene Gesprächskultur fördern und damit auch das Mental-Health-Stigma abbauen.
  • Klare Perspektiven für die persönliche und fachliche Entwicklung der Mitarbeitenden aufzeigen.
  • Gestaltung des Arbeitsplatzes mit Licht, Luft und Pflanzen. Auch eine Kaffeeküche als sozialer Treffpunkt hilft.
  • Programme zur Förderung der Gesundheit der Belegschaft unterstützen (z. B. Fitness, Coaching, Stressbewältigung).

Einzelmaßnahmen helfen wenig

Einzelmaßnahmen wie ein gelegentlicher Workshop ohne Verknüpfung mit der Arbeitsrealität oder die Empfehlung von Entspannungs- oder Achtsamkeits-Apps nach dem Gießkannenprinzip überzeugen Experten kaum. Selbst das beste Stressmanagementtraining hilft nicht, wenn die Arbeitsbelastung weiterhin immens bleibt und das Betriebsklima von fehlender Anerkennung und einem vergifteten Miteinander geprägt ist. Statt auf oberflächliche Lösungen zu setzen, sollten Führungskräfte aktiv für ein gesundes und wertschätzendes Arbeitsumfeld sorgen und dabei selbst als Vorbilder auftreten.

Der Grundsatz lautet: Verhältnisse prägen Verhalten. Nur wenn Unternehmen gesundheitsfördernde Rahmenbedingungen schaffen, können Mitarbeitende langfristig gesundheitsbewusste Verhaltensweisen entwickeln. Viele Unternehmen lassen hier noch wertvolles Potenzial ungenutzt. Eine stärkere Auseinandersetzung mit der Unternehmenskultur und den Arbeitsbedingungen ist entscheidend, damit mentale Gesundheit zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Arbeitsalltags wird.

Woran merke ich als Chef, dass es einem Mitarbeiter schlecht geht?

Wenn jemand sich über einen längeren Zeitraum anders verhält als sonst, traurig, reizbar und niedergeschlagen scheint, deutet dies darauf hin, dass etwas nicht stimmt. Auch wenn die Arbeitsleistung leidet, Betroffene sich beispielsweise schlechter konzentrieren können, suchen Vorgesetzte am besten das vertrauliche Gespräch. Hierfür nimmt man sich am besten Zeit. Es geht nicht darum, therapeutisch und detailliert auf die Probleme einzugehen, aber Verständnis zu zeigen und vor allem rechtzeitig zu signalisieren, dass es gut und wichtig ist, sich Hilfe zu suchen – und gegebenenfalls auch die Zeit für die Genesung zu nehmen. In der Regel ist dies immer noch günstiger, als neues Personal zu suchen.

Was können Mitarbeiter tun?

  • Pausen einplanen: Kurze Pausen sind unerlässlich, auch bei voller To-do-Liste. Niemand kann acht Stunden am Stück konzentriert arbeiten. Planen Sie fünf- bis zehnminütige Pausen über den Tag verteilt ein. Stehen Sie auf, strecken Sie sich oder machen Sie einen kleinen Spaziergang – das steigert sogar Ihre Produktivität.
  • Erreichbarkeit reduzieren: Pausen allein reichen nicht. Auch Phasen vollständiger Erholung sind essenziell. Planen Sie gezielt Intervalle ein, in denen Sie erreichbar sind. Dazwischen: Handy aus, E-Mail-Programm schließen. Selbst kurze Unterbrechungen bringen Sie gedanklich zurück zur Arbeit. Gilt gerade für Führungskräfte und Selbstständige: Gönnen Sie sich mindestens einen komplett arbeitsfreien Tag pro Woche – am besten auch ohne Haushaltsarbeit und Termine.
  • Kleine Rückzugsinseln schaffen: Gönnen Sie sich täglich 15 bis 30 Minuten Entspannung. Hören Sie Musik, beobachten Sie einen Sonnenuntergang oder machen Sie ein kurzes Nickerchen.
  • Eigene Grenzen kennen und wahren: Es kann motivierend sein, über seine Grenzen hinauszugehen. Wer dies jedoch dauerhaft tut, erschöpft sich. Setzen Sie klare Grenzen – beruflich und privat. Lernen Sie, Ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen und gelegentlich Nein zu sagen.
  • Sport und Schlaf einplanen: Sport setzt Glückshormone frei und baut Stress ab. Schlaf hält leistungsfähig. Beides fällt oft hintenüber, wenn es stressig wird. Planen Sie feste Zeiten ein – und halten Sie sich daran. Gönnen Sie sich nachts eine halbe bis ganze Stunde mehr Schlaf. Selbst wenn Sie glauben, nicht mehr zu brauchen, testen Sie es ein paar Wochen. Vermeiden Sie Actionfilme vor dem Schlafen und machen Sie einen Abendspaziergang. Alkohol und schweres Essen am Abend mindern die Schlafqualität.
  • Zeitmanagement optimieren: Wer im Burnout-Modus ist, verzettelt sich oft. Gutes Zeitmanagement beugt dem vor. Vermeiden Sie es, zu viel Energie auf Nebensächliches zu verwenden. Apps, Stundenlisten oder das Eisenhower-Prinzip helfen, Aufgaben zu priorisieren.
  • Soziale Kontakte pflegen: Ein stabiles soziales Netzwerk ist essenziell. Treffen mit Familie und Freunden lenken ab und helfen beim Abschalten. Gespräche über den Job sollten dabei in den Hintergrund treten. Hören Sie auf Freunde, wenn sie Ihre Arbeitsbelastung kritisch sehen – oft erkennen Außenstehende Überlastung früher.
  • Entspannung lernen: Yoga, Meditation oder progressive Muskelentspannung sind effektive Methoden. Auch Rituale wie regelmäßige Massagen oder ein Rückzugsort zu Hause helfen beim Abschalten.
  • Berührungen auskosten: Zeit für Nähe und Zärtlichkeit mit dem Partner stärkt das Wohlbefinden. Massagen oder lange Umarmungen beruhigen und fördern die Entspannung.
  • Spaß haben: Treffen Sie Menschen, mit denen Sie sich wohlfühlen, und genießen Sie unbeschwerte Gespräche. Besuchen Sie Kabaretts oder lustige Kinofilme – Lachen baut Stress ab und stärkt das Immunsystem.
  • Tipps für den Büroalltag: Planen Sie bewusste Mittagspausen und feste Zeiten für Korrespondenz. Reservieren Sie ein bis zwei Abende für private Zeit und reduzieren Sie ehrenamtliche Verpflichtungen, wenn nötig.
  • Entspannungstechniken lernen: Methoden wie Yoga, autogenes Training oder Atemtechniken helfen, Anspannung abzubauen. Wählen Sie eine Technik, die zu Ihren Bedürfnissen passt.

Lesen Sie in Teil 2, wie Arbeitgeber eventuelle Warnsignale schnell erkennen können und was sie tun müssen. Denn seit dem Jahr 2013 sind diese verpflichtet einzuschreiten!

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Maximilian Modler

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Maximilian Modler berichtet über spannende Entwicklungen aus den Bereichen Energie, Technologie - und über alles, was sonst noch für die deutsche Wirtschaft relevant ist. Er hat BWL, Soziologie und Germanistik in Freiburg, London und Göteborg studiert. Als freier Journalist war er u.a. für die Deutsche Welle, den RBB, die Stiftung Warentest, Spiegel Online und Verbraucherblick tätig.

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