Unternehmensporträt

Helsing: KI-Verteidigung made in Germany

Helsing aus München hat sich in kürzester Zeit als führender Akteur für KI-gestützte Verteidigung etabliert. Die treibenden Faktoren: Millionen-Investments geopolitische Unsicherheiten – und drei Gründer aus Gaming, Militär und Deep Tech.
28.02.2025 18:28
Aktualisiert: 28.02.2025 18:28
Lesezeit: 6 min

Helsing: Europas Antwort auf das globale KI-Wettrüsten

Helsing ist eines der am schnellsten wachsenden Verteidigungstechnologie-Unternehmen Europas. Das 2021 in München gegründete Start-up entwickelt KI-gestützte Lösungen für Streitkräfte, mit dem Ziel, militärische Entscheidungsprozesse zu beschleunigen und die Einsatzfähigkeit zu verbessern. Mit einer Bewertung von 4,9 Milliarden Euro, zahlreichen Regierungsaufträgen und der Mission “Künstliche Intelligenz zum Schutz unserer Demokratien” hat sich das Unternehmen in nur vier Jahren als strategischer Partner für Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die Ukraine etabliert.

Während die hiesige Debatte um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine immer mal wieder die Schlagzeilen dominiert, ist längst eine andere Technologie auf dem Vormarsch: Kamikaze-Drohnen, auch bekannt als Mini-Taurus.

Die unbemannten Fluggeräte, die mit hoher Autonomie und Präzision feindliche Ziele angreifen, sind fester Bestandteil der ukrainischen Kriegsführung gegen Russland geworden. Während der Begriff 'Kamikaze-Drohne' vielen geläufig ist, bleibt das Unternehmen dahinter weitgehend unbekannt. Und das, obwohl Helsing mit Millionen-schweren Investitionen und rasant wachsendem Einfluss die Digitalisierung der Verteidigung vorantreibt. Besonders im Bereich der autonomen Kriegsführung setzt das Unternehmen Maßstäbe – ein Markt, der angesichts geopolitischer Spannungen immer stärker in den Fokus rückt.

Von Gaming bis Kriegsführung: Die Köpfe hinter Helsing

Vor diesem Hintergrund vereinen die Gründer von Helsing Expertise aus verschiedenen Disziplinen: Gaming, Beratung und Künstliche Intelligenz (KI). Co-CEO Torsten Reil etwa kommt aus der Videospielbranche und verkaufte sein Unternehmen NaturalMotion 2014 für 500 Millionen Dollar an Zynga, eines der führenden US-Unternehmen für Online-Spiele. Und Mitbegründer Gundbert Scherf arbeitete zuvor als Berater im deutschen Verteidigungsministerium sowie als Partner bei McKinsey & Company im Bereich Luft- und Raumfahrt. Komplettiert wird das Trio von Niklas Köhler, einem Pionier des Deep Learning, der mit seinem KI-Startup Hellsicht bereits 2017 den Grundstein für Helsing legte.

Auch das erweiterte Führungsteam bringt tiefgreifende Erfahrungen aus der Technologie- und Verteidigungsbranche mit: Robert Fink, Chief Technology Officer (CTO), war zuvor leitender Ingenieur bei Palantir Technologies. Marc Fontaine, CEO von Helsing France, wechselte 2022 nach 25 Jahren bei Airbus zum Unternehmen. Antoine de Braquilanges, Geschäftsführer von Helsing France, war zuvor bei Amazon Web Services und Palantir tätig. Ergänzt wird das Team durch Antoine Bordes, Vice President Künstliche Intelligenz, der zuvor das KI-Forschungslabor von Meta, der Muttergesellschaft von Facebook, in Paris leitete und zuletzt als Co-Direktor des gesamten FAIR-Labors (Fundamental AI Research) tätig war.

KI als Gamechanger: Helsing definiert moderne Kriegsführung neu

“Militärische Überlegenheit wird nicht mehr durch Stahl und Munition entschieden, sondern durch Software”, betonte Gundbert Scherf in einem Interview mit der WirtschaftsWoche. Scherfs Aussage unterstreicht den Paradigmenwechsel in der Verteidigungstechnologie: Moderne Konflikte werden nicht mehr allein durch Feuerkraft entschieden, sondern durch die Fähigkeit, Informationen in Echtzeit zu verarbeiten und darauf zu reagieren.

Somit scheint es nur konsequent, dass Helsing KI-gestützte Systeme entwickelt, die Sensordaten in Echtzeit analysieren, um Streitkräfte schneller, präziser und effektiver zu machen. Die Spezialgebiete: kognitive elektronische Kampfführung, autonome Drohnenschwärme und die Absicherung digitaler Verteidigungsnetzwerke, als “software-defined assurance”. Ein Whitepaper des Unternehmens beschreibt “software-defined assurance” als essenziellen Bestandteil künftiger Verteidigungstechnologien. Statt starrer Zertifizierungsprozesse setzt Helsing auf eine fortlaufende, KI-gestützte Validierung militärischer Systeme. Ziel ist es, Waffensysteme nicht nur intelligenter, sondern auch anpassungsfähiger zu machen.

Die Investoren hinter Helsing

Helsing ist nicht nur ein Technologieführer, sondern auch ein Magnet für Kapital. In seiner jüngsten Finanzierungsrunde im Juli 2024 sicherte sich das Unternehmen 450 Millionen Euro, unter anderem von General Catalyst, Accel und Saab. Die Mittel fließen in den Ausbau der KI-Kapazitäten – insbesondere in die Luft- und Raumfahrttechnologie.

Zusätzlich hatte Helsing bereits 2023 in einer Serie-B-Finanzierungsrunde 209 Millionen Euro eingesammelt. Diese Runde wurde ebenfalls von General Catalyst angeführt, mit der Saab-Gruppe als strategischem Investor. Laut Unternehmensangaben dienten diese Mittel dazu, die KI-gestützten Verteidigungsfähigkeiten Europas weiter auszubauen, insbesondere für den elektronischen Kampf des Eurofighters sowie die Entwicklung der KI-Infrastruktur für das Future Combat Air Systemn (FCAS), das ehrgeizigste Luftkampfsystem Europas.

Ein weiteres Signal für Helsings Expansionsstrategie ist das Investment von über 100 Millionen Pfund in Großbritannien. Mit der Eröffnung eines neuen Hauptquartiers in London im Jahr 2023 setzt das Unternehmen verstärkt auf den britischen Markt. Diese Mittel werden insbesondere für die Rekrutierung von Softwareingenieuren, KI-Entwicklern und Deep-Tech-Spezialisten eingesetzt, um bestehende Kriegsführungssysteme mit Künstlicher Intelligenz aufzurüsten

Europas Militär setzt auf Made in Germany

Inzwischen haben auch die europäischen Streitkräfte Helsing als strategischen Partner erkannt. So erhielt das Unternehmen im Juni 2023 den Zuschlag für die Modernisierung der elektronischen Kampfführung des Eurofighters. Auch das FCAS wird mit Helsing-Technologien ausgestattet.

Ein weiterer wichtiger Schritt war die Gründung von Helsing Estonia OÜ im Juli 2024, die gemeinsam mit der estnischen Regierung und Premierministerin Kaja Kallas im Rahmen des NATO-Gipfels in Washington verkündet wurde. Die neue Einheit soll die Zusammenarbeit zwischen Helsing und der baltischen Verteidigungsindustrie intensivieren. Nach Angaben des Unternehmens, werde Helsing in den kommenden drei Jahren 70 Millionen Euro in die Region investieren, um die Verteidigungsfähigkeiten der NATO-Ostflanke mit modernsten KI-Technologien zu stärken.

Kaja Kallas sagte, Europa müsse mehr in Verteidigungstechnologien investieren, um der sich verändernden Sicherheitslage gerecht zu werden. Helsing widerum werde dazu beitragen, indem es lokale Produktionskapazitäten aufbaue und seine KI-basierten Systeme für die Verteidigung der baltischen Staaten optimiere. Für Stephanie Lingemann, Senior Director Air Domain bei Helsing, ist „Information Superiority“ der Schlüssel zum militärischen Erfolg. Ein Beispiel dafür ist Helsing Cirra, eine KI-Software, die es Kampfpiloten ermöglicht, in Sekundenbruchteilen die richtigen Entscheidungen zu treffen.

HX-2 – Softwaredefinierte Angriffsdrohne

HX-2 ist eine autonome, massenproduzierbare Kampfdrohne, die Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge und andere militärische Ziele mit Präzisionsmunition aus bis zu 100 km Entfernung bekämpfen kann. Ihr entscheidender Vorteil liegt in der Unempfindlichkeit gegenüber elektronischen Störmaßnahmen.

Auch ohne GNSS-Signal oder permanente Datenverbindung kann die HX-2 selbstständig Ziele identifizieren und angreifen. Die Drohne ist tief in Helsings Altra Recce Strike Software integriert, die koordinierte Schwarmangriffe ermöglicht. Durch softwaregesteuerte Updates kann HX-2 flexibel an neue Bedrohungsszenarien angepasst werden.

In den Medien wird HX-2 oft als “Kamikaze-Drohne” bezeichnet, da sie als loitering munition konzipiert ist – also ein Waffensystem, das über dem Schlachtfeld kreist, bis es ein Ziel erfasst und sich selbst zerstört. Das System wurde aus Helsings Erfahrungen im Ukraine-Krieg weiterentwickelt und optimiert. Die Ukraine hat bereits im September 2024 eine Bestellung über 4.000 HX-2-Drohnen aufgegeben.

Im Februar 2025 folgte eine weitere Bestellung über 6.000 Einheiten, finanziert von der deutschen Bundesregierung im Rahmen eines zusätzlichen Hilfspakets in Höhe von drei Milliarden Euro. Damit positioniert sich Helsing als einer der weltweit führenden Hersteller von Angriffsdrohnen.

Cirra EW – KI für die elektronische Kampfführung

Mit Cirra hat Helsing eine Softwarelösung entwickelt, die es Kampfflugzeugen ermöglicht, feindliche Radar- und Störsignale in Echtzeit zu analysieren und zu neutralisieren. Mit Hilfe von Deep-Learning-Technologien kann Cirra unbekannte elektromagnetische Signale klassifizieren und Gegenmaßnahmen automatisch anpassen. Cirra wird sowohl direkt an Bord von Kampfflugzeugen als auch in stationären Bodenstationen eingesetzt, um eine umfassende Bedrohungsanalyse zu ermöglichen.

Altra – KI für den vernetzten Landkrieg

Die Altra-Plattform von Helsing nutzt künstliche Intelligenz, um Aufklärungsdaten von Drohnen, Sensoren und Bodenstationen in Echtzeit zu verarbeiten. Die Plattform ermöglicht die automatische Zuordnung und Bekämpfung von Zielen durch Artillerie oder unbemannte Angriffsdrohnen. Durch offene Schnittstellen ist Altra mit bestehenden und zukünftigen Waffensystemen kompatibel. Eine zentrale Funktion ist die automatische Feuerkorrektur für Artillerie, die eine präzisere und schnellere Bekämpfung feindlicher Stellungen zulässt

Helsing zielt auf die nächste strategische Ebene: den Weltraum

Neben dem Luft- und Bodenbetrieb weitet Helsing seine Aktivitäten auf den Weltraum aus. Im Februar 2025 kündigte das Unternehmen eine Partnerschaft mit Loft Orbital an, um Europas erste KI-basierte Satellitenkonstellation für Regierungs-, Verteidigungs- und Sicherheitsanwendungen zu entwickeln. Marc Fontaine, CEO von Helsing France, sagte in einem Interview mit der Plattform Defense News im April 2024: “Die Fähigkeit, KI direkt im Orbit auszuführen, bedeutet, dass unsere Streitkräfte widerstandsfähiger gegen elektronische Angriffe werden. Das ist ein echter Paradigmenwechsel in der modernen Kriegsführung.”

Gleichzeitig baut Helsing seine Produktionskapazitäten aus. Mit der Resilienzfabrik RF-1 in Süddeutschland kann das Unternehmen bereits mehr als 1000 HX-2-Drohnen pro Monat herstellen. Diese softwaredefinierten Drohnen sind nicht nur autonom, sondern auch resistent gegen feindliche Störmaßnahmen – ein klarer Vorteil auf dem modernen Gefechtsfeld. Bis 2024 wird das Unternehmen rund 400 Mitarbeitende beschäftigen und plant, diese Zahl bis Ende 2025 auf über 500 zu erhöhen, insbesondere in den Bereichen KI-Entwicklung, Luft- und Raumfahrttechnologie sowie strategische Partnerschaften.

Helsing: Europas Antwort auf das digitale Wettrüsten

Während die USA mit Firmen wie Palantir und Anduril aufrüsten, will Helsing Europa eine eigenständige technologische Verteidigungsfähigkeit ermöglichen. Die Botschaft ist klar: Software ist die neue Kriegsführung – und Helsing einer der wichtigsten europäischen Akteure “Made in Germany” an der digitalen Verteidigungsfront.

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