Wirtschaft

Ukrainer Integration: Wie Geflüchtete den deutschen Arbeitsmarkt verändern

Drei Jahre nach Kriegsbeginn in der Ukraine arbeiten 43 Prozent der Schutzsuchenden in Deutschland. Fortschritte sind sichtbar, doch viele Hürden bleiben: Sprachbarrieren, Kinderbetreuung und die Anerkennung von Abschlüssen erschweren den Einstieg. Die Bundesregierung setzt auf den „Job-Turbo“, doch Experten sind skeptisch. Welche Branchen profitieren von den neuen Arbeitskräften – und wo läuft es noch nicht rund?
02.03.2025 06:00
Lesezeit: 3 min
Ukrainer Integration: Wie Geflüchtete den deutschen Arbeitsmarkt verändern
43 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland haben eine Arbeit. Auf dem Bild: Flüchtlingsfamilie aus der Ukraine: Maryna (49) und Sergej Kardaschow (53) und ihre Pflegekinder Victoria (11); Jevhenii (10) Dmytro (8) Mark (6) ; Daria (13) und Jurii (7). (Foto: dpa) Foto: Helmut Fricke

Ukrainer in Deutschland - Eine Bilanz nach drei Jahren Krieg

Mehr als eine Million Menschen sind seit Kriegsbeginn vor drei Jahren aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Wie steht es heute um ihre Integration in den Arbeitsmarkt?

Vor drei Jahren setzte die größte Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ein – wie gut sind die Ukrainerinnen und Ukrainer inzwischen beruflich angekommen? Als Russlands Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 seinen Angriff auf das Nachbarland startete, wollten die meisten ihr Leben retten. Die wenigsten dachten nach Schilderungen von Betroffenen an einen jahrelangen Aufenthalt in Deutschland. Wie hat sich die Lage seither entwickelt?

Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt

Arbeitsmarktforscher Enzo Weber sieht deutliche Fortschritte bei der Integration von Ukrainerinnen und Ukrainern in den Arbeitsmarkt. "Seit Anfang 2024 geht es spürbar bergauf, die Zahl der Beschäftigten steigt aktuell um rund 7.000 pro Monat", sagt der Wirtschaftswissenschaftler am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung waren im vierten Quartal 2024 rund 43 Prozent der Schutzsuchenden erwerbstätig. Im Frühjahr 2024 hatte der Vergleichswert noch bei 30 Prozent gelegen. Diese Daten stammen aus einer Befragung.

Rund eine halbe Million erwerbsfähige Ukrainer

Laut Statistikamt leben inzwischen etwa 1,2 Millionen Ukrainer in Deutschland – etwa achtmal so viele wie zu Kriegsbeginn. Im Januar waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit rund eine halbe Million Ukrainer als "erwerbsfähig" bei den Jobcentern registriert.

Nach Angaben der Arbeitsagentur waren im November 296.000 ukrainische Staatsbürger berufstätig, davon rund 245.000 sozialversicherungspflichtig. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutete das ein Plus von etwa 83.000 Beschäftigten aus der Ukraine.

Besonders häufig arbeiten Ukrainerinnen und Ukrainer in der Industrie, im Handel, im Gesundheits- und Sozialwesen, im Baugewerbe, im Gastgewerbe sowie in wirtschaftlichen Dienstleistungen. Im Januar waren 211.202 ukrainische Staatsangehörige arbeitslos gemeldet. 98.000 Menschen besuchten Integrationskurse, 29.000 nahmen an berufsbezogenen Sprachkursen teil und 21.000 absolvierten Arbeitsmarktprogramme. Rund 706.000 Ukrainer erhalten Bürgergeld, darunter etwa 200.000 Kinder.

Heil: "Der Job-Turbo wirkt"

Im Herbst 2023 hatte die Bundesregierung den sogenannten "Job-Turbo" angekündigt. Ziel ist es, Geflüchtete mit Bleibeperspektive schneller in Arbeit zu vermitteln.

"Der Job-Turbo wirkt, und das bundesweit", sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Durch das Programm fänden monatlich Tausende Ukrainer eine Anstellung, zahlten Steuern und trügen zur wirtschaftlichen Entwicklung bei. Heil betont: "Diesen Weg gehen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam mit den Jobcentern weiter."

Ob der Anstieg der Beschäftigungszahlen direkt auf den "Job-Turbo" zurückgeht, ist laut Experte Weber allerdings noch unklar. "Wir kennen die typischen Verläufe bei der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter", erklärt er. "Diese Prozesse brauchen Zeit."

Seit 2022 gilt für ukrainische Kriegsflüchtlinge EU-weit die "Massenzustrom-Richtlinie", wie der Mediendienst Integration erläutert. Dadurch erhalten sie automatisch einen Aufenthaltsstatus. Die Bundesregierung hat die Regelung bis März 2026 verlängert.

Hürden beim Eintritt in den Arbeitsmarkt

Laut Sarah Strobel, Projektleiterin des "Netzwerks Unternehmen integrieren Flüchtlinge", ist die mangelnde Sprachkompetenz eine der größten Hürden für Geflüchtete. Das Projekt wurde 2016 als Initiative der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) und des Bundeswirtschaftsministeriums gestartet.

"Auch fehlende Kinderbetreuungsangebote sind ein entscheidender Faktor, da die Mehrheit der Geflüchteten Frauen sind", sagt Strobel. Neben Sprachbarrieren und fehlender Kinderbetreuung nennt Experte Weber die langwierige Anerkennung von Abschlüssen als Hindernis.

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) verweist darauf, dass vielen Geflüchteten neben guten Deutschkenntnissen auch die notwendigen Vorqualifikationen fehlen. Zudem sei das deutsche Ausbildungssystem oft unbekannt. "Viele wissen nicht, welche Karrierechancen das Handwerk bietet."

Werden Fachkräftelücken geschlossen?

Laut dem ZDH bleibt die Zahl der im Handwerk beschäftigten Ukrainer "hinter den Erwartungen". Dennoch sei ihr Beitrag spürbar, sagt Weber. Allerdings sei dies nicht "das Schwergewicht des Arbeitsmarkts". Er erläutert: "Allein aufgrund der demografischen Entwicklung verlieren wir jährlich mehr Arbeitskräfte, als Ukrainer aktuell in den Arbeitsmarkt eintreten." Zudem seien viele Ukrainer in Jobs beschäftigt, für die sie eigentlich überqualifiziert sind.

Projektleiterin Strobel berichtet hingegen, dass immer mehr Ukrainer in den Fachkraftstatus wechseln. Neben verbesserten Deutschkenntnissen sei dies auf Nachqualifizierungen, Berufsabschlüsse und eine Anerkennung von Qualifikationen zurückzuführen.

Wie die Integration gelingt

Um die Arbeitsmarktintegration weiter zu verbessern, sei ein flexibler, flächendeckender Zugang zu Sprachkursen entscheidend, sagt Strobel. Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse dauere oft noch zu lange. Zudem sei der Ausbau der Kinderbetreuung ein zentraler Faktor.

Der Handwerksverband fordert, dass Integrationskurse verstärkt Informationen zur Berufsausbildung vermitteln. Praktika und Einstiegsqualifikationen könnten dabei helfen, Berufe kennenzulernen.

Arbeitsmarktforscher Weber betont: "Die Integration muss weitergefördert werden, um das berufliche Potenzial bestmöglich zu nutzen." Es reiche nicht, sobald eine Person in der Statistik erfasst sei, den Prozess als abgeschlossen zu betrachten – oft beginne der Einstieg über einfache Helferjobs.

Der Krieg in der Ukraine werde irgendwann enden, so Weber. Erfahrungsgemäß blieben viele Menschen in Deutschland, während andere zurückkehrten. Daher sei es wichtig, Netzwerke zu schaffen: "Menschen, die hier Erfahrungen gesammelt, die Sprache gelernt und Verbindungen aufgebaut haben, können dabei helfen, diese Netzwerke weiterzuentwickeln."

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