Bayer-Aktie nach US-Urteil unter Druck: Pharma-Riese soll 2 Milliarden Schadenersatz zahlen
In einem Rechtsstreit um das glyphosathaltige Unkrautvernichtungsmittel Roundup wurde der Agrarchemie- und Pharmakonzern Bayer von einer US-Jury zu einer Schadenersatzzahlung von fast 2,1 Milliarden US-Dollar (1,9 Milliarden Euro) verurteilt. Das gaben die Anwälte des Klägers am Wochenende auf Nachfrage bekannt. Die Summe setzt sich aus 65 Millionen Dollar regulärem Schadenersatz und 2 Milliarden Dollar Strafschadenersatz zusammen. Der Kläger macht das Mittel für seine Krebserkrankung verantwortlich. Das Urteil wurde im US-Bundesstaat Georgia gefällt, und Bayer kündigte umgehend Berufung an. An der Börse geriet die Bayer-Aktie unter Druck, auch wenn das Urteil die grundsätzliche Situation des Unternehmens kaum verändert.
„Das heutige Urteil ist ein weiteres Beispiel für die Weigerung von Bayer, die Verantwortung für die Vergiftung von Menschen mit dem giftigen Unkrautvernichtungsmittel Roundup zu übernehmen“, erklärten die Anwälte des Klägers in einer Mitteilung.
Bayer will Urteil der Geschworenen anfechten
Bayer hingegen wies die Entscheidung zurück: „Wir sind mit dem Urteil der Geschworenen nicht einverstanden.“ Das Urteil widerspreche wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Einschätzungen internationaler Regulierungsbehörden. So hatte die EU-Kommission die Zulassung von Glyphosat Ende 2023 um weitere zehn Jahre verlängert – eine Entscheidung, die von Umweltverbänden scharf kritisiert wurde.
„Wir sind überzeugt, dass wir in der Berufung starke Argumente haben, um dieses Urteil aufzuheben oder zumindest den überhöhten und verfassungswidrigen Schadenersatz zu reduzieren“, erklärte Bayer weiter. Der Konzern verwies darauf, dass in der Vergangenheit die ursprünglich von Geschworenen verhängten Schadenersatzzahlungen um bis zu 90 Prozent reduziert wurden.
Bayer-Aktie: Glyphosat-Urteil verschreckt Anleger - Aktie rauscht erst ab und legt dann Erholungsrallye hin
Die Probleme mit dem glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup begannen für Bayer 2018 mit der Übernahme des US-Agrarchemiekonzerns Monsanto für über 60 Milliarden Dollar. Im selben Jahr wurde Bayer erstmals in den USA verurteilt, was eine Klagewelle auslöste. Seither musste der Konzern bereits Milliarden für Vergleiche mit Klägern zahlen. Dennoch sind weiterhin zehntausende Fälle offen: Zum Stichtag 31. Januar 2025 waren von rund 181.000 angemeldeten Ansprüchen etwa 114.000 durch Vergleiche erledigt oder erfüllten nicht die Vergleichskriterien.
Die Bayer-Aktie verlor am Montag 7,8 Prozent auf 22,21 Euro. Seit dem ersten Urteil im Jahr 2018 ist der Kurs um rund 75 Prozent gefallen. Zudem müssen Bayer-Aktionäre seit dem vergangenen Jahr mit einer deutlich reduzierten Dividende leben: Aufgrund hoher Schulden hatte das Unternehmen Anfang 2024 angekündigt, für drei Jahre nur die gesetzlich vorgeschriebene Mindestdividende zu zahlen. Wie im Vorjahr werden daher auch dieses Mal lediglich elf Cent pro Aktie ausgeschüttet.
Doch nach dem Absturz folgte die Erholungsrallye. Am Dienstag zog der Kurs wieder an. Ein Anstieg von mehr als 4 Prozent katapultiert die Aktie sogar an die Spitze des DAX und schloss die Kurslücke vom Vortag beinahe wieder. Der 5-Tages-Chart der Bayer-Aktie zeigt ein wildes Auf- und-Ab, der Kurs ist derzeit extrem volatil. Nach dem Spitzenwert am Mittwochmorgen (23,66 Euro) fiel die Bayer-Aktie wieder unter 23 Euro.
Bayer scheitert trotz intensiver Lobby-Arbeit - Analyst: Urteil "wenig hilfreich"
Analyst Richard Vosser von JPMorgan erklärte derweil, das Glyphosat-Urteil sei „wenig hilfreich“ und könnte andere Klägeranwälte „mutiger“ machen. Allerdings ändere sich grundsätzlich wenig für Bayer. Viel hänge weiterhin von Gesetzesänderungen in einzelnen Bundesstaaten sowie von einem möglichen Verfahren vor dem US Supreme Court ab.
Seit einiger Zeit betreibt Bayer intensive Lobbyarbeit in den USA, um Gesetzesänderungen in verschiedenen Bundesstaaten voranzutreiben. Im Zentrum der Debatte steht die Frage, ob Bundesrecht Vorrang vor den Regelungen einzelner Bundesstaaten hat, insbesondere in Bezug auf Warnhinweise auf Unkrautvernichtern. Die US-Umweltbehörde EPA stuft Glyphosat nicht als krebserregend ein und hat das Produktlabel ohne Warnhinweise genehmigt.
In einigen Bundesstaaten gilt diese Regelung jedoch nicht, sodass Kläger das Fehlen von Warnhinweisen als Grundlage für ihre Klagen nutzen. JPMorgan-Analyst Vosser verwies darauf, dass in Georgia das Parlament und der Senat bereits eine Gesetzesänderung verabschiedet haben, die zusätzliche Warnhinweise über die EPA-Vorgaben hinaus für unnötig erklärt. Allerdings muss der Gouverneur des Bundesstaates das Gesetz noch unterzeichnen.
Noch entscheidender sei die Entwicklung in Missouri, so Vosser weiter. Dort sind etwa 80 Prozent der noch offenen Klagen wegen mutmaßlicher Glyphosat-Krebsrisiken anhängig. Auch hier hat das Parlament ein Gesetz nach dem Vorbild von Georgia verabschiedet, das nun im Senat zur Abstimmung steht.
Chemiekonzern legt Hoffnung auf ein Grundsatzurteil des Supreme Court
Bayer setzt langfristig auf eine Entscheidung des obersten US-Gerichts, des Supreme Court. Dieser könnte klären, ob Bundesrecht Vorrang vor den einzelstaatlichen Regelungen zu Warnhinweisen hat. Allerdings ist unklar, ob und wann sich das Gericht mit dem Fall befassen wird.
Bayer-Chef Bill Anderson, der seit Juni 2023 im Amt ist, erklärte Anfang März auf der Bilanzpressekonferenz, dass das Timing für ein mögliches Supreme-Court-Verfahren schwer abzusehen sei. Es gebe mehrere Fälle, die als Grundlage für eine solche Entscheidung dienen könnten – „und jeder dieser Fälle arbeitet sich durch die unteren Berufungsgerichte“. Unter Anderson hat Bayer seine Lobbyarbeit in den USA intensiviert, um Gesetzesänderungen in diesem Bereich zu forcieren.