Politik

Der Weltraum als nächstes Schlachtfeld – Europas Sicherheit steht auf dem Spiel

Der Orbit wird zur neuen Frontlinie geopolitischer Machtspiele. Wie private Satelliten, militärische Strategien und neue Allianzen die Kriegsführung revolutionieren – und warum Deutschland ins Hintertreffen geraten könnte.
07.06.2025 05:55
Lesezeit: 3 min
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Raumfahrt wird zur sicherheitspolitischen Schlüsselarena

Der Weltraum ist in kurzer Zeit zu einer entscheidenden Arena für militärische und sicherheitspolitische Interessen geworden. So beschreibt Jonatan Westman, Raumfahrtforscher beim Schwedischen Verteidigungsforschungsinstitut FOI, die sich beschleunigende Entwicklung, bei der die Grenze zwischen zivil und militärisch zunehmend verschwimmt.

Während früher hauptsächlich die traditionellen Raumfahrtnationen über militärische Raumfahrtorganisationen verfügten, haben in den letzten fünf bis zehn Jahren immer mehr Länder den Bedarf erkannt, eigene militärische Raumfahrtorganisationen und nationale militärische Raumfahrtstrategien aufzubauen.

Zivile Satellitentechnik im militärischen Einsatz

Diese Entwicklung ist sowohl das Resultat technischer Fortschritte als auch eines wachsenden Abhängigkeitsverhältnisses gegenüber Raumfahrtsystemen. „Wir verfügen über mehr Satelliten für verschiedene Dienste, und man hat erkannt, dass Raumfahrtsysteme für militärische Zwecke von größerem Nutzen sind. Aber damit wächst auch die Abhängigkeit, was wiederum die Notwendigkeit schafft, über Schutz und Aufrechterhaltung dieser militärischen Fähigkeiten nachzudenken“, erklärt Westman.

Das ist ein Paradigmenwechsel: Immer mehr Länder behandeln den Weltraum als operative Domäne – gleichrangig neben Land, See, Luft und Cyber –, die entsprechend geschützt werden muss.

Eine bedeutende Veränderung ist das enorme Wachstum bei der Anzahl an Satelliten. Dabei spielen kommerzielle Systeme zunehmend auch für militärische Zwecke eine Rolle. „Diese Entwicklung findet teils auf der militärischen, vor allem aber auf der kommerziellen Seite statt, was Auswirkungen hat, weil kommerzielle Systeme nun in militärischen Kontexten genutzt werden – auf eine Weise, die es zuvor so nicht gab“, sagt Westman.

Starlink als Wendepunkt – und Warnsignal

Die technologische Führungsrolle liegt heute bei der zivilen Seite. Staaten können mit dem Entwicklungstempo kommerzieller Anbieter nicht mehr mithalten. „Entweder man kauft Satelliten oder Dienste und passt sie militärisch an, oder man nutzt die kommerziellen Dienste direkt“, so Westman. Als bekanntestes Beispiel nennt er Starlink im Ukraine-Krieg.

„Hier ist die Grauzone zwischen kommerzieller und militärischer Nutzung deutlich geworden. Russland hat öffentlich erklärt, dass es kommerzielle Systeme als legitime militärische Ziele betrachtet.“

Die US-Raumstreitkräfte haben bereits eine Strategie entwickelt, um kommerzielle Akteure in die Verteidigungsstruktur zu integrieren. Auch die NATO wird 2025 eine entsprechende Strategie präsentieren. Schweden hat seinerseits das Augenmerk auf die sicherheitspolitische Bedeutung der Raumfahrt geschärft.

Schweden hebt Verteidigungsnutzen in neuer Raumfahrtstrategie hervor

„Die neue schwedische Strategie betont erstmals, dass verteidigungs- und sicherheitspolitische Aspekte in der gesamten nationalen Raumfahrtpolitik berücksichtigt werden müssen. Wo früher der zivile Fokus überwog, hebt man nun deutlich hervor, welchen Beitrag der Weltraum für Verteidigung und Sicherheit leisten kann“, so Westman.

Er verweist auf die schwedische Investition in die Startkapazitäten der Raumfahrtbasis Esrange in Kiruna als potenziellen strategischen Vorteil. „Diese Fähigkeit gibt es weltweit nur an wenigen Orten. Es wäre eine Stärke für Schweden als Raumfahrtnation – sowohl zur eigenen Nutzung als auch im Verbund mit Verbündeten.“

Derzeit werden von Esrange ausschließlich Forschungsraketen gestartet. Ziel ist es jedoch, künftig auch Satelliten in niedrige Erdumlaufbahnen zu bringen, etwa für Aufklärung oder Kommunikation.

„Das geografische Lage ist günstig: Eine Startrampe nahe der Pole erleichtert es, Satelliten in die häufig genutzten polaren Umlaufbahnen zu bringen.“

Der Ukraine-Krieg als Blaupause moderner Kriegsführung

„Russlands umfassende Invasion in der Ukraine ist ein umfassendes Beispiel dafür, wie kommerzielle Raumfahrtdienste auf völlig neue Weise in moderne Kriegsführung eingebunden werden“, so Westman. Anfangs konnte man Russlands Truppenaufmarsch über kommerzielle Satellitenbilder verfolgen. In der Nacht vor dem Angriff führte Russland einen Cyberangriff durch, bei dem kommerzielle Satellitenmodems der ukrainischen Streitkräfte ausgeschaltet wurden. Deshalb wurde Starlink in Rekordzeit als Ersatz aktiviert.

Westman ergänzt, dass die Ukraine eine eigene Radarsatellitentechnologie bei einem finnischen Unternehmen gekauft hat und kürzlich mit Tschechien eine Zusammenarbeit zur Satellitenproduktion aufgenommen hat. Auch die schwedischen Hilfspakete für die Ukraine umfassen Satellitendienste.

„Unsere Raumfahrtindustrie ist auf dem internationalen Markt schon lange erfolgreich, primär für zivile Kunden. Doch hier findet nun ein Wandel statt“, betont Westman.

Deutschland im All: Verpasste Chancen und strategischer Nachholbedarf

Während viele europäische Staaten oder die USA längst konkrete militärische Raumfahrtstrategien verfolgen, steht Deutschland trotz führender Technologie vergleichsweise unentschlossen da. Die zunehmende militärische Nutzung von Raumfahrtsystemen durch Staaten und private Akteure erfordert ein strategisches Umdenken. Auch Berlin wird sich nicht länger auf den zivilen Fokus allein verlassen können – der Weltraum ist längst geopolitisch umkämpft.

Fazit: Wer den Orbit nicht verteidigt, wird verwundbar

Die Entwicklungen zeigen klar: Der Weltraum ist nicht mehr neutral. In einer Ära der hybriden Bedrohungen wird er zur Hochrisikozone. Wer seine Infrastruktur im All nicht schützen kann – sei es für Kommunikation, Aufklärung oder Verteidigung – setzt seine gesamte Souveränität aufs Spiel.

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