Technologie

Silicon Valley dominierte Big Tech – Europas Chance heißt Deep Tech

Während Europa an bahnbrechenden Technologien tüftelt, fließt das große Geld aus den USA. Wenn Europa jetzt nicht handelt, gehört die Zukunft wieder Silicon Valley.
06.06.2025 18:21
Lesezeit: 3 min
Silicon Valley dominierte Big Tech – Europas Chance heißt Deep Tech
Europa hat das Know-how für die nächste Tech-Revolution. (Foto: dpa)

Big Tech ging an Amerika – Europa blieb zurück

Während das Silicon Valley mit der ersten digitalen Revolution zur globalen Schaltzentrale der Big-Tech-Industrie wurde, hinkte Europa hinterher. Doch bei der nächsten Welle technologischer Umbrüche – der sogenannten Deep Tech – könnte sich das Blatt wenden. Hier bietet sich Europa die historische Gelegenheit, technologisch und wirtschaftlich führend zu werden. Das berichtet das Nachrichtenportal Børsen.

Europa war nie das Epizentrum der ersten digitalen Revolution. Das Silicon Valley zog Aufmerksamkeit, Kapital und den Großteil der geschaffenen Werte in der Chip-, Informations- und Cloud-Ökonomie auf sich – und formte daraus die heutigen Big-Tech-Giganten.

Nur vier der 50 weltweit größten Tech-Unternehmen stammen aus Europa. Noch aussagekräftiger ist das Altersverhältnis: Die zehn wertvollsten börsennotierten US-Technologiekonzerne sind im Schnitt gerade einmal 45 Jahre alt – ihre europäischen Pendants dagegen im Schnitt 114 Jahre.

Amerikas digitale Champions entstanden in den Garagen der 1980er-Jahre und wurden durch aggressive Wagniskapitalgeber groß gemacht. Europäische Start-ups hingegen litten unter Bürokratie, eingeschränkten Finanzierungsmöglichkeiten und regulatorischer Komplexität.

Laut Wall Street Journal geben europäische Unternehmen nach wie vor rund 40 Prozent ihrer IT-Budgets für Compliance aus.

Doch all das erklärt nicht alles. Es fehlte auch an Willen, Vision und Mut zur Kommerzialisierung.

Zögerliche Konzerne, verpasste Chancen

Viele europäische Großunternehmen agierten zögerlich. So fasste BMW bereits 2008 den Beschluss, einen elektrischen Mini auf den Markt zu bringen – doch das Fahrzeug erschien erst 2019. In derselben Zeit lieferte Tesla fast eine Million Elektroautos aus.

Auch europäische Start-ups verfügten oft über die richtigen Ideen, doch es mangelte an Geschwindigkeit, Kapital und kommerziellem Risikobewusstsein.

Deep Tech: Europas Feld der Stärke

Die Dynamik jedoch beginnt sich zu verschieben. Die nächste Technologiewelle – Deep Tech – dreht sich nicht um Katzenvideos oder soziale Netzwerke, sondern um wissenschaftlich fundierte Innovationen im Schnittfeld von Künstlicher Intelligenz, Biologie, Klima und Materialwissenschaft.

Hier zählen nicht allein Tempo, sondern Tiefe – und in genau diesem Bereich ist Europa stark aufgestellt.

Das dänische Start-up Reshape Biotech hat nicht nur die Hindernisse erlebt, sondern auch gelernt, sie zu überwinden. Gemeinsam mit anderen europäischen Gründungen – etwa dem niederländischen Unternehmen Cradle – zeigt Reshape, wie Europas technologische Spezialisierung zu einem strategischen Vorteil werden kann.

Silicon Valley stößt an seine Grenzen – Europa übernimmt

Silicon Valleys traditionelle Stärke lag im schnellen Prototyping, Testen und Skalieren von Software. Doch im Bereich Deep Tech gelten andere Regeln: Physikalische Gesetze und biologische Prozesse bestimmen den Takt. Es dauert, neue Proteine zu entwickeln oder KI-basierte Labortechnologien zu etablieren.

Europas wissenschaftliche Tiefe, seine Geduld und seine ingenieurtechnische Disziplin passen besser zu dieser Realität.

Gleichzeitig erkennen US-Venturefonds wie Sequoia, Index Ventures, Accel und General Catalyst, dass Deep Tech andere Investitionsstrategien erfordert. Sie eröffnen europäische Büros und investieren gezielt in Start-ups vor Ort – weil sie den Zugriff auf die nächste Generation bahnbrechender Technologien sichern wollen.

Reshape Biotech erhielt bereits knapp 26,8 Millionen Euro an US-Risikokapital. Das Unternehmen automatisiert biologische Labore mithilfe von Robotik und KI und beliefert unter anderem das Staatliche Seruminstitut, Novozymes, Syngenta, die Technische Universität Dänemarks (DTU) und die Universität Oxford.

Deep Tech boomt – aber Europa bleibt abhängig

Insgesamt wächst das europäische Deep-Tech-Ökosystem rasant. Laut Dealroom und McKinsey fließt mittlerweile fast ein Drittel des europäischen Wagniskapitals in diesen Sektor – zehnmal mehr als noch 2014.

Europa zählt inzwischen zu den führenden Regionen in Bereichen wie Photonik, synthetische Biologie und klimabezogene Innovationen.

Doch: Die Hälfte des Kapitals stammt aus den USA. Das zeigt: Silicon Valley steht nicht nur für Technologie, sondern auch für die Fähigkeit, Ideen mit globaler Umsetzungskraft – und Geld – zu verbinden.

Europas Chance – oder Amerikas nächste Ernte?

Die Kombination aus europäischer Tiefe und amerikanischem Kapital birgt gewaltiges Potenzial – aber auch ein Risiko. Bleibt europäischen Gründern der Zugang zu Kapital und schnellen Entscheidungswegen verwehrt, könnte am Ende ausgerechnet amerikanisches Wagniskapital der größte Gewinner der europäischen Deep-Tech-Revolution sein.

Der Moment der Entscheidung

Europa muss jetzt handeln. Politik und Wirtschaft müssen diese historische Gelegenheit ergreifen – sonst droht erneut die Marginalisierung im globalen Technologiewettlauf. Europa hält eine starke Hand. Die Frage ist: Haben wir auch den Mut, sie auszuspielen?

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Erbschaftssteuer und Verschonungsregelung: Wirtschaftsweise fordern Steuerreform für Unternehmen
19.11.2025

In Zeiten der Wirtschaftskrise bleiben Milliardenerbschaften oft steuerfrei.: Der Sachverständigenrat Wirtschaft schlägt jetzt eine...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs rutscht zeitweise unter 90.000 US-Dollar: Kryptomarkt in extremer Angst
18.11.2025

Der Bitcoin-Kurs ist am Dienstag zeitweise tief gefallen und hat weltweit Unruhe unter Anlegern ausgelöst. Der Fear-and-Greed-Index warnt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Flixtrain bereit zum harten Wettbewerb um Bahn-Kunden
18.11.2025

Im Fernverkehr auf deutschen Schienen herrscht bislang wenig Wettbewerb. Das könnte sich in den kommenden Jahren ändern. Ein kleiner...

DWN
Technologie
Technologie Fliegende Autos: XPeng eröffnet erste Produktionsstätte für Flugfahrzeuge in China
18.11.2025

China eröffnet erstmals industrielle Strukturen für Fahrzeuge, die sowohl am Boden als auch in der Luft nutzbar sein sollen. Wird damit...

DWN
Technologie
Technologie Cloudflare down: Internetdienste X und ChatGPT massiv von Cloudflare-Störung betroffen
18.11.2025

Die Cloudflare-Dienste sind seit Dienstagmittag weltweit massiv gestört, betroffen sind darunter große Plattformen wie X und ChatGPT. Das...

DWN
Finanzen
Finanzen Nokia-Aktie und Nvidia-Aktie im Fokus: Wie die Partnerschaft 5G-Wachstum antreibt
18.11.2025

Die einst vor allem für Handys bekannte Nokia hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt und rückt nun wieder in den Fokus von...

DWN
Finanzen
Finanzen Vestas-Aktie im Minus: So sollen 900 gezielte Entlassungen die Ertragsziele stützen
18.11.2025

Die Vestas-Aktie steht derzeit unter Druck. Dass das Unternehmen weltweit 900 Bürostellen abbaut, scheint den Anlegern auch Sorgen zu...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Erfolg im Job: Warum Diplome nicht mehr über Karrierechancen entscheiden
18.11.2025

Die Anforderungen an Fachkräfte haben sich deutlich verändert, und Arbeitgeber legen zunehmend Wert auf Fähigkeiten, Persönlichkeit und...