Führungsstil und Unternehmenskultur als entscheidender Wettbewerbsfaktor
Welche Kultur in einem Unternehmen vorherrscht, wird vom Eigentümer und dem Geschäftsführer geprägt. Im Laufe der Jahre kann sie sich allerdings verändern – je nachdem, wie sich die Einstellung des CEO wandelt, welche Führungskräfte das Unternehmen prägen und wie das Umfeld aussieht.
In jenen Unternehmen, in denen weniger Kontrolle herrscht, fühlen sich die Mitarbeiter in der Regel wohler. Vor allem deshalb, weil sie wissen, dass ihnen Vertrauen entgegengebracht wird. Um dieses Vertrauen zu rechtfertigen, müssen sie Ergebnisse liefern. In solchen Unternehmen ist es selbstverständlich, die sprichwörtliche „Extrameile“ zu gehen. Auch für Führungskräfte ist es angenehmer, mit einem Team zu arbeiten, das eigenständig agieren kann.
Führungskräfte, die die Firma wechseln, erleben oft selbst, dass sie in eine ganz andere Unternehmenskultur eintreten. So wurde Andrius Načajus im Frühjahr dieses Jahres Direktor von „INVL Asset Management“. Er war überrascht von der starken Team-Einbindung, die er in anderen Organisationen oft vermisst hatte. „In meiner aktuellen Position verbringe ich deutlich weniger Zeit mit dem Lesen oder Verfassen formaler Berichte und mit Entscheidungen, da diese im Investmentbereich von den Fonds-Partnern getroffen werden und in anderen Bereichen von den Abteilungsleitern. Natürlich gibt es verschiedene Kontrollmechanismen, aber der Unternehmensleiter überwacht sie mehr als System und nicht durch das Absegnen konkreter Ausgaben oder Beschlüsse. Das ermöglicht mir, mehr Zeit auf strategische Fragen zu verwenden, wie zum Beispiel die Expansion in neue Märkte, die Bewertung bestehender Systeme und Teams“, erklärt Načajus.
Auch Jonas Stragis, derzeitiger Leiter und Mitgesellschafter des Möbelherstellers UAB „Fitsout“, hat Erfahrungen in Firmen gesammelt, deren Unternehmenskulturen sich stark unterscheiden. „In manchen dominierte strikte Kontrolle – teils sogar übertrieben, sodass sie Freiheit und Kreativität einschränkte. In anderen gab es fast zu viel Freiheit. Wichtig ist jedoch nicht nur, welche Kultur herrscht, sondern wie sie mit der Geschäftsidee, dem geschaffenen Wert sowie den Beziehungen zu Mitarbeitern und Kunden harmoniert. Das ist wohl der Kernpunkt“, meint er.
Selbst heute, wo Kommunikation über soziale Netzwerke eine große Rolle spielt und Experten jede erdenkliche „scheinbare“ Kultur konstruieren können, führt ein Konflikt zwischen diesen Visionen und der realen Geschäftsidee nur zu einem: einem ungeeigneten Geschäftsmodell. Deshalb muss die Unternehmenskultur stimmig sein und das Geschäft widerspiegeln.
Führungsstil, Vertrauen und Werte
Keine Unternehmenskultur lässt sich ohne das Engagement der Mitarbeiter aufbauen. Hier zeigt sich, welchen Führungsstil ein CEO wählt. Die Praxis belegt: Mitarbeiter bevorzugen es, eigenständig zu arbeiten und weitreichende Befugnisse zu haben. „Leider haben Führungskräfte oft Angst, diese Befugnisse zu gewähren. Ich meine nicht den Fall, wenn gesagt wird: ‚Mach einfach, wie du willst‘ – und wenn es klappt, war es selbstverständlich, und wenn nicht, wird der Mitarbeiter bestraft. Ich denke, es ist oft leichter, Mitarbeiter zu finden, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, als festgefahrene Arbeitgeberhaltungen zu ändern“, sagt der Chef von „INVL Asset Management“.
Wenn ein Team durch gemeinsame Werte verbunden ist, ergibt sich die Unternehmenskultur fast von selbst, weil alle die Ziele kennen und gemeinsam verfolgen. Kommt jemand Neues ins Team, der ganz anders arbeitet und kommuniziert, kann das die Gruppe aus dem Gleichgewicht bringen. Doch wenn die Werte stark sind, passt er sich an – oder geht.
Eine starke Unternehmenskultur spiegelt die Werte des gesamten Teams wider und lädt dazu ein, sie zu gestalten, zu pflegen und sogar zu verteidigen – etwa bei einem Glas Wein, im Gespräch mit Konkurrenten oder Freunden, erklärt der Leiter von „Fitsout“.
In Unternehmen, die viel Freiheit gewähren, bedanken sich Mitarbeiter mit Verantwortungsbewusstsein, denn jeder weiß: Die Arbeit muss erledigt werden – wann und wie, bleibt ihnen überlassen. Führungskräfte beurteilen anhand der Ergebnisse, ob die Freiheit ausgenutzt wird.
„Als Führungskraft bin ich ein Befürworter von Zielen und Zusammenhalt, nicht von Kontrolle. Denn Kontrolle allein hilft nicht, Ziele zu erreichen, Zusammenhalt schon. Kontrolle sehe ich eher durch das Prisma von Verantwortungspolitik und strategischen Zielen – und diese müssen nicht nur von der Unternehmensleitung, sondern auch von den Mitarbeitern getragen werden“, erläutert Stragis seinen Führungsstil.
Rekrutierung und langfristige Motivation
Um ein einheitliches Team aufzubauen, ist es entscheidend, die richtigen Mitarbeiter auszuwählen. Schon in der Stellenanzeige sollten die Unternehmenswerte vermittelt werden. „Heute ist eine Stellenanzeige nicht nur eine Liste von Aufgaben und Anforderungen. Sie ist ein Instrument, mit dem ein Unternehmen Signale über seine interne Atmosphäre sendet. Handelt es sich um ein kreatives, dynamisches, start-up-orientiertes Umfeld? Oder um eine reife, prozessorientierte Organisation, in der Stabilität und Klarheit zählen? Sprache, Design und Wortwahl einer Anzeige geben dem Kandidaten einen ersten Eindruck von der Unternehmenskultur“, erklärt Rasa Stasytienė, Leiterin für Karriereprojekte und Personalauswahl bei UAB „Atrankos“, die mit der Marke „Atranka 360“ arbeitet.
Formulierungen wie „wir arbeiten flexibel“, „wir haben flache Hierarchien“ oder „wir schätzen jede Meinung“ signalisieren eine offene und kooperative Kultur. Anzeigen, die stark auf Ergebnisse, Verantwortung und Karrierewege fokussieren, deuten hingegen auf eine klare Hierarchie hin. „Unsere Erfahrung zeigt: Unternehmen haben hier noch viel ungenutztes Potenzial. Die erste Stellenanzeige ist wie ein geheimes erstes Date mit den Kandidaten. Je klarer die Botschaft, desto stärker fühlen sich Bewerber angesprochen – und desto passender sind die neuen Mitarbeiter“, sagt Stasytienė.
Welche Kultur Bewerbern nähersteht, hängt von ihrer beruflichen Reife, ihren persönlichen Werten und ihrer Karrierephase ab. Jüngere Kandidaten suchen oft nach Flexibilität, Möglichkeiten zur Selbstentfaltung, nach Lernchancen und dem Gefühl, gehört zu werden. Sie wünschen sich gleichwertige Kommunikation und Wachstumspotenzial. Erfahrene Fachkräfte schätzen Klarheit, Struktur, Stabilität und eine professionelle Arbeitskultur. „Eine klare Tendenz ist sichtbar – immer mehr Kandidaten erwarten, dass die Unternehmenskultur ihre persönlichen Werte widerspiegelt. Wer Vertrauen, Respekt und eigenverantwortliches Handeln schätzt, wird ein solches Umfeld wählen – selbst bei geringerer Bezahlung. Unternehmenskultur ist damit ein Teil der nichtfinanziellen Motivation“, betont Stasytienė.
Auch wenn es in Firmen mit viel Freiheit angenehmer ist, sind hierarchische Strukturen nicht per se schlecht. Sie können in großen Organisationen oder in der Industrie sehr effizient sein, wo klare Verantwortlichkeiten wichtig sind. Doch werden sie oft als weniger menschlich empfunden, da sie Individualität und Eigeninitiative einschränken. „Daher ist es nur natürlich, dass solche Organisationen diese Image-Nachteile anderweitig ausgleichen müssen – etwa durch höhere Gehälter. Investieren sie zudem in gute interne Kommunikation, Führungskräfteentwicklung und Karrierechancen, können sie selbst für Kandidaten attraktiv sein, die anfangs eher horizontale Strukturen bevorzugen“, erklärt Stasytienė und betont, dass manche Bewerber eine hierarchische Struktur sogar als Vorteil sehen – weil sie von zu viel Freiheit, zerstreuter Verantwortung und Unklarheit ermüdet sind.
Die Unternehmenskultur ist also kein Hintergrundfaktor, sondern ein zentrales Element, das nicht nur für die Anwerbung, sondern auch für die Bindung von Mitarbeitern entscheidend ist.
Vertrauen statt Kontrolle: Der unterschätzte Erfolgsfaktor Unternehmenskultur
Der Arbeitsmarkt ist ein Bewerbermarkt. Fachkräfte achten zunehmend darauf, ob die Unternehmenskultur ihren persönlichen Werten entspricht. Besonders in Zeiten des Fachkräftemangels ist es für deutsche Firmen überlebenswichtig, ihre Kultur klar zu kommunizieren, flache Hierarchien oder flexible Modelle zu fördern und Werte wie Vertrauen, Respekt und Eigenverantwortung sichtbar zu leben. Wer dies vernachlässigt, riskiert, Talente an modernere Wettbewerber zu verlieren.
Unternehmenskultur ist kein weicher Faktor, sondern ein zentraler Wettbewerbsparameter. Zwischen Kontrolle und Freiheit liegt die richtige Balance meist im Vertrauen, in klaren Werten und im Zusammenhalt. Unternehmen, die ihre Kultur konsequent gestalten und authentisch vermitteln, sichern sich nicht nur die besten Talente, sondern auch deren langfristige Bindung.


