Intel-Aktie wird zum Spielball der Industriepolitik
Der amerikanische Technologiekonzern Intel war jahrzehntelang mit seinen bahnbrechenden Innovationen der König der Chips. Und obwohl er weiterhin zu den führenden Unternehmen in der Halbleiterbranche gehört, hat er in letzter Zeit erhebliche geschäftliche Probleme. Letzte Woche dann die Nachricht: Die US-Regierung hat das Unternehmen teilweise verstaatlicht.
Wir haben uns angeschaut, in welcher geschäftlichen Verfassung sich Intel derzeit befindet, wo das Unternehmen auf seinem Weg gescheitert ist, was es tut, um sich aus den Schwierigkeiten zu befreien – sowie die Einzelheiten der Teilverstaatlichung.
Intel erzielte im Jahr 2024 einen Umsatz von 53,1 Milliarden Dollar (rund 45,5 Milliarden Euro), was einem Rückgang von zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht, und verzeichnete dabei einen Nettoverlust von 18,8 Milliarden Dollar (rund 16 Milliarden Euro), während 2023 noch ein Nettogewinn von 1,7 Milliarden Dollar erzielt wurde. Darüber hinaus wies das Unternehmen im vergangenen Jahr einen negativen freien Cashflow von 15,7 Milliarden Dollar auf. Dieser Indikator, bereits im dritten Jahr in Folge negativ, zeigt normalerweise, dass ein Unternehmen mit seinen Geschäftstätigkeiten nicht genügend Geld generiert, um seine Ausgaben zu decken. Bei Intel lag ein Teil der Ursache auch im Restrukturierungsprozess, der umfangreiche Investitionen umfasste, mit denen die frühere Unternehmensführung einen Turnaround erreichen wollte.
Und dieses Jahr? Im ersten Halbjahr erzielte Intel einen Nettoumsatz von 25,5 Milliarden Dollar, was fast dem Vorjahreswert entspricht, der Nettoverlust lag bei 3,9 Milliarden Dollar. Die Unternehmensführung setzte in dieser Zeit bereits Restrukturierungsmaßnahmen um. Ende 2024 verabschiedete sich das Unternehmen vom CEO Pat Gelsinger, der im März dieses Jahres durch Lip-Bu Tan ersetzt wurde. Seine Aufgabe ist nicht einfach, denn er muss eine Wende herbeiführen, während Intels Konkurrenten das Unternehmen sowohl im Markt für PC-Chips (AMD) als auch im Markt für KI-Chips (Nvidia) überholen.
Aber Lip-Bu Tan kündigte an, dass Intels Chips wieder wettbewerbsfähig werden sollen. Er versprach flachere Hierarchien für mehr Entscheidungskompetenz und weniger Bürokratie für größere Effizienz. Die Kosten sollen in diesem Jahr um 17 Milliarden Dollar gesenkt werden. Die Restrukturierung umfasst auch den Abbau von Arbeitsplätzen: 2023 beschäftigte das Unternehmen 109.000 Mitarbeiter, Ende des Jahres sollen es nur noch 75.000 sein.
Als Intel in der zweiten Julihälfte seine Geschäftszahlen für das zweite Quartal und das gesamte erste Halbjahr veröffentlichte, kündigte das Management an, dass es seine Pläne zum Bau von Chipfabriken in Deutschland und Polen im Zuge einer Produktionsoptimierung aufgibt. Auch der Ausbau neuer Chip-Kapazitäten in Ohio wird verlangsamt.
Aufstieg und Fall: Von Erfolgen über Fehlentscheidungen in die Krise
Der Anfang war glänzend. Der 1968 gegründete US-Technologiekonzern Intel wurde schnell zum Pionier der Mikroprozessortechnologie. 1971 brachte er den ersten kommerziellen Mikroprozessor auf den Markt und revolutionierte damit die Computerwelt. Einen frühen großen Erfolg verbuchte das Unternehmen, als IBM seine Prozessoren in seinen Rechnern verbaute.
In der Ära der Desktop-PCs, in den 1980er- und 1990er-Jahren, galt Intel als Standard innovativer Produkte, etwa mit den Prozessoren 286 (1982), 386 (1985) und 486 (1989). 1993 wurde der Name Pentium eingeführt, und auch im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends behauptete das Unternehmen mit der Core-Prozessorserie und intensiver Forschung und Entwicklung eine starke Marktstellung. Intel hatte nahezu ein technologisches Monopol, die Konkurrenz war gering. Doch dann begann der Abstieg – durch eine Reihe strategischer Fehlentscheidungen.
1. Intel unterschätzte den Markt für Mobilgeräte
Eine der größten Fehlentscheidungen war Anfang der 2000er-Jahre, als Intel Apples Bitte ablehnte, Chips für das iPhone zu liefern, da man nicht an dessen Erfolg glaubte. Apple setzte daraufhin auf ARM-basierte Chips (ARM Holding gehört zu Softbank), die heute in Mobilgeräten dominieren.
2. Die Konkurrenz wurde stärker
Ende der 1990er-Jahre liefen laut verfügbaren Daten rund 85 Prozent aller Computer weltweit mit Intel-Chips. Diese Vormachtstellung spiegelte sich auch im Aktienkurs wider, der am 31. August 2000 mit 74,875 Dollar ein Rekordhoch erreichte. Doch allmählich gewann die Konkurrenz an Boden. Der US-Konzern AMD begann mit seiner Ryzen-Prozessorreihe, Intels Dominanz zu untergraben.
3. Probleme mit Wettbewerbsbehörden
Intel geriet auch ins Visier der Regulierer. Sowohl in den USA als auch in der EU wurden kartellrechtliche Untersuchungen eingeleitet. Die US-Handelskommission FTC prüfte, ob Intel seine marktbeherrschende Stellung missbrauchte, um Wettbewerber wie AMD zu behindern; der Fall endete 2010 mit einem Vergleich. Ein Jahr zuvor, 2009, verhängte die EU-Kommission eine Geldstrafe von 1,06 Milliarden Euro, weil Intel Computerherstellern Rabatte bot, um AMD-Chips zu benachteiligen. Trotz Berufung wurde die Strafe 2014 bestätigt.
4. Verpasste Spezialisierung
Anfang der 2000er-Jahre florierte das Geschäft noch, doch während Intel auf Umsatzwachstum in bestehenden Bereichen setzte, spezialisierten sich Wettbewerber weiter. Bis 2010 hatten sich AMD und Nvidia auf Chip-Design, TSMC auf Chip-Produktion fokussiert. Chipproduktion wurde technologisch komplexer und teurer – asiatische Hersteller wie TSMC konnten mit billigeren Arbeitskräften und lockerer Regulierung günstiger und schneller produzieren.
5. Verlangsamung der Innovationszyklen
Analysten kritisieren, dass Intel neue Technologien früher alle 18 Monate präsentierte, zwischen 2014 und 2020 aber den Entwicklungsrhythmus deutlich verlangsamte. TSMC und Samsung holten auf, ihre Chips galten als schneller und günstiger.
6. Verpasster Einstieg in KI-Prozessoren
Eine schwerwiegende strategische Fehlentscheidung war laut Experten, dass Intel keine konkurrenzfähige GPU-Technologie entwickelte und damit die KI-Revolution verpasste. GPU-Einheiten sind essenziell für KI-Beschleuniger und ermöglichen effizientes Deep Learning und neuronale Netzwerke.
7. Corona und Lieferketten
Die Pandemie 2020 brachte weltweite Lieferketten durcheinander. Es herrschte Halbleitermangel, die Preise stiegen.
8. Transformationsstrategie mit belastenden Investitionen
2020 kündigte Intel die IDM-2.0-Strategie zur Modernisierung seiner Chipproduktion an. Ziel war es, eigene Fertigungskapazitäten zu erweitern, Auftragsfertigung für Dritte anzubieten und fortschrittlichere Technologien zu entwickeln. 2021 kündigte CEO Pat Gelsinger mit 20 Milliarden Dollar Fördergeld zwei neue Werke in Arizona an, 2022 folgten Pläne für eine 28-Milliarden-Investition in Ohio. Diese Investitionen lasten nun auf dem Unternehmen und tragen zu den anhaltend negativen Cashflows bei.
Was Intel jetzt unternimmt
Intels Geschichte erinnert vielfach an Nokia – einst Weltmarktführer, später wegen verpasster Trends abgestürzt. Nokia hat sich neu erfunden, etwa als Anbieter von Netzwerktechnik und 5G-Lösungen. Kann Intel, technologisch, finanziell und personell geschwächt, ein Comeback schaffen? Analysten sagen: schwer, aber nicht unmöglich. Joseph Moore von Morgan Stanley meint: „Am einfachsten wäre es, wenn Intel bessere Produkte auf den Markt brächte – aber das wird wohl dauern.“ Er äußert Bedenken zur staatlichen Beteiligung, insbesondere wenn diese mit Pflichten einhergeht, die nicht auf finanzieller oder strategischer Grundlage beruhen, sondern auf Patriotismus. Gemeint ist die verlustreiche Foundry-Sparte, belastet mit 20 Milliarden Dollar Schulden und langfristigen Projektverpflichtungen – der Wendepunkt sei ungewiss.
Wenn man dem Aktienkurs glauben darf, der seit Jahresbeginn um ein Viertel gestiegen ist – von 20,22 Dollar am 2. Januar auf 24,55 Dollar am 25. August – hat der Markt Vertrauen in das neue Management. 2024 hatte die Intel-Aktie fast 60 Prozent an Wert verloren – von 47,80 Dollar auf 20,22 Dollar.
Teilverstaatlichung: Was sie bedeutet
Am vergangenen Freitag veröffentlichte Intel offiziell: Die US-Regierung hat einen Anteil von 9,9 Prozent übernommen – nur vier Tage nach einer Zwei-Milliarden-Investition durch Softbank aus Japan. Die Nachricht, dass der Staat bei Intel eingestiegen ist, schockierte viele – gerade in den USA, wo Privateigentum als heilig gilt. Laut Bloomberg sei die Entscheidung der Trump-Regierung ein Bruch mit den Prinzipien des freien Marktes, die nur in Ausnahmesituationen wie Krieg oder Systemkrisen aufgeweicht werden.
Trump erklärte den Deal so: Auf der Pressekonferenz sagte Präsident Donald Trump: „Ein Senator aus Arkansas, ein Unterstützer von mir, schrieb eine recht hässliche Geschichte über Intels CEO, und ich sagte: Wenn das stimmt, sollte er zurücktreten. Dann kam der CEO zu mir, wir sprachen miteinander, er gefiel mir sehr. Und ich sagte: Weißt du was? Ich denke, die USA sollten 10 Prozent von Intel bekommen. Und er sagte: Ich werde darüber nachdenken.“ Am Ende kam es zum Deal, und Trump kommentierte: „Er kam zu mir, weil er seinen Job behalten wollte – und am Ende gab er uns 10 Milliarden Dollar für die USA.“
Zahlen, Daten, Fakten zur Beteiligung: Die US-Regierung übernahm 433,3 Millionen Stammaktien und ist nun größter Einzelaktionär. Zuvor waren BlackRock (8,92 Prozent) und Vanguard (8,8 Prozent) führend. Der Deal wurde zum Preis von 20,47 Dollar je Aktie abgeschlossen – etwa 16 Prozent unter dem damaligen Börsenkurs von 24,80 Dollar.
Es handelte sich nicht um eine Bartransaktion, sondern um eine Umwandlung bereits gewährter Staatshilfen im Gesamtwert von 11,1 Milliarden Dollar in Eigenkapital. Die Hilfen kamen aus zwei Quellen: dem CHIPS and Science Act von 2022 (5,7 Milliarden Dollar) und einem seiner Umsetzungsinstrumente (weitere 5,4 Milliarden Dollar, davon 2,2 Milliarden bereits ausgezahlt). Die Rückzahlungsverpflichtungen und Gewinnbeteiligung wurden mit dem Einstieg der Regierung gestrichen.
Mitspracherechte des Staates: Anders als beim jüngsten Einstieg in US Steel, wo der Staat eine Goldene Aktie mit Vetorecht übernahm, will er bei Intel ein passiver Anteilseigner bleiben – ohne Vertreter im Vorstand, ohne besondere Stimmrechte. Die Regierung hat sich verpflichtet, bei Aktionärsabstimmungen mit dem Vorstand zu stimmen. Einige Ausnahmen wurden nicht spezifiziert.
Intel-Aktie im Umbruch: Milliardenverluste, Managementwechsel und Staatsbeteiligung
Für Deutschland ist der Kurswechsel bei Intel von besonderer Bedeutung: Ursprünglich hatte das Unternehmen den Bau neuer Chipwerke in Magdeburg geplant – ein Leuchtturmprojekt, das mit Milliarden aus dem EU-„Chips Act“ subventioniert werden sollte. Diese Pläne liegen nun auf Eis. Auch der angekündigte Standort in Polen wird vorerst nicht realisiert. Stattdessen konzentriert sich Intel auf Restrukturierung und Kostensenkung – mit ungewissem Ausgang für die europäischen Standorte.
Die Intel-Aktie steht im Fokus europäischer Investoren, nicht zuletzt wegen geopolitischer Risiken und wachsender Konkurrenz aus Asien. Der Einstieg der US-Regierung könnte zu einer neuen Form transatlantischer Industriepolitik führen – mit Wettbewerbsverzerrungen zulasten europäischer Hersteller. Für Deutschland bedeutet das: Ohne eigene Halbleiterkompetenz droht weitere Abhängigkeit – von US-Konzernen und politischen Entscheidungen in Washington.
Die Intel-Aktie hat sich im laufenden Jahr um ein Viertel erholt, nachdem sie 2024 fast 60 Prozent ihres Werts verloren hatte. Anleger setzen offenbar auf das neue Management und eine mögliche Trendwende. Doch der Einstieg der US-Regierung wirft grundlegende Fragen auf – über die Zukunft von Industriepolitik, den freien Markt und die Rolle von Tech-Konzernen in geopolitischen Machtkämpfen. Für Intel beginnt nun ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Intel-Aktie bleibt dabei ein Seismograf für den Zustand der westlichen Halbleiterindustrie.