Politik

Armutsrisiko statt Altersvorsorge: Wie viele Menschen in die Altersarmut abrutschen

Deutschland hat ein Lohnproblem: Knapp fünf Millionen Menschen verdienen unter 2.750 Euro brutto im Monat – mit gravierenden Folgen: Wenn das eigene Einkommen nicht mehr für eine sichere Rente reicht. Zahlen der Bundesregierung bestätigen diese Entwicklungen. Die Linke schlägt Alarm.
02.09.2025 05:51
Lesezeit: 4 min
Armutsrisiko statt Altersvorsorge: Wie viele Menschen in die Altersarmut abrutschen
Millionen Deutsche verdienen weniger als 2.750 Euro brutto im Monat. Linken-Politiker Dietmar Bartsch warnt vor den Folgen für die Renten und kritisiert die schwarz-rote Regierung. (Foto: dpa) Foto: Jens Büttner

Armutsrisiko statt Altersvorsorge: Wie viele Menschen in die Altersarmut abrutschen

Jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte verdient in Deutschland weniger als 2.750 Euro brutto im Monat. Das waren zuletzt rund 4,6 Millionen Menschen, wie eine der DPA vorliegende Antwort der Bundesregierung an den Linken-Abgeordneten Dietmar Bartsch zeigt. Außerdem liegen 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten, das sind 9,2 Millionen Menschen, unter einem Verdienst von 3.500 Euro im Monat.

Hochlohnland? Fünf Millionen Menschen verdienen unter 2.750 Euro

Das macht aus Bartschs Sicht klar: „Deutschland ist kein Hochlohnland, sondern hat ein millionenfaches Lohnproblem.“ Bei teils horrenden Mietkosten und gestiegenen Preisen für Lebensmittel und Energie sei es für Millionen Menschen eine Herausforderung, die zwingenden Kosten des Alltags zu stemmen.

Aus Sicht der Industrie wird Deutschland manchmal als „Hochlohnland“ bezeichnet. Für eine geleistete Arbeitsstunde haben Unternehmen vergangenes Jahr im Schnitt 43,40 Euro an Bruttoverdiensten und Lohnnebenkosten gezahlt.

Auf welche Renten können sich Betroffene einstellen?

Für die Betroffenen haben die Löhne im unteren Segment nach Einschätzung von Bartsch harte Folgen. „Eine politische und soziale Unverschämtheit ist es, dass genau diejenigen die Armutsrentner von morgen sein werden“, sagte er.

Hintergrund ist laut der Linken, dass ein Monatsbruttolohn von mehr als rund 3.300 Euro – rund 20 Euro pro Stunde – nötig ist, um eine gesetzliche Rente auf dem Niveau der Armutsrisiko-Schwelle zu erhalten. Andere Formen der Altersvorsorge sind hier nicht berücksichtigt.

In Deutschland galt eine Person laut Statistischem Bundesamt zuletzt als armutsgefährdet, wenn sie mit ihrem Nettoeinkommen unter 1.378 Euro im Monat liegt. 15,5 Prozent – rund 13,1 Millionen Menschen – sind in Deutschland armutsgefährdet. Laut Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbands sind Menschen im Ruhestand mit 19 Prozent überproportional betroffen.

Viele Renten unter Schwelle für Armutsrisiko

„Löhne unter 3.500 Euro sind faktisch eine Garantie für Renten auf Armutsniveau“, sagte Bartsch. Wie viele Menschen aktuell weniger aus der gesetzlichen Rentenkasse bekommen als für eine Rente oberhalb der Armutsgefährdungsschwelle nötig, hatte Bartsch im Juli bereits abgefragt. Unter 1.300 Euro Rente erhalten demnach – Stand 31. Dezember 2024 – mehr als jeder Vierte mit mindestens 45 Jahren in der Rentenversicherung.

Allerdings macht die gesetzliche Rente laut dem jüngsten Alterssicherungsbericht nur 53 Prozent der Bruttoeinkommen der Ab-65-Jährigen aus (2023). Hinzu kommen etwa Betriebsrenten (7 Prozent), weiteres Erwerbseinkommen (13 Prozent), private Vorsorge (6 Prozent) sowie Transferleistungen und anderes (21 Prozent).

Einkommen: starkes Ost-West-Gefälle

Regional sind die Einkommen in Deutschland ziemlich unterschiedlich verteilt. In den ostdeutschen Flächenländern verdienen rund 60 Prozent der Vollzeitbeschäftigten weniger als 3.500 Euro im Monat. Unter den Flächenländern hat Baden-Württemberg im Verhältnis am wenigsten Menschen in dieser unteren Lohngruppe (33,6 Prozent). Im Osten sind es bei fast jeder und jedem Dritten sogar unter 2.750 Euro.

Am wenigsten Beschäftigte mit einem Lohn unter 2.750 Euro sind es in Hamburg (rund 15 Prozent) – am meisten in Mecklenburg-Vorpommern (36 Prozent). Mehr als jeder Fünfte sind es in allen Ostländern sowie in Schleswig-Holstein (24 Prozent), Niedersachsen (23 Prozent), in Rheinland-Pfalz und dem Saarland (jeweils 21 Prozent). Bundesweit verdienen 20,9 Prozent weniger als 2.750 und 41,6 Prozent weniger als 3.500 Euro.

2024: Ein Prozent verdient mehr als 213.286 Euro

Aktuell reicht die Lohnspreizung in Deutschland von 20 Prozent der Vollzeitbeschäftigten, die im Jahr auf 77.000 Euro oder mehr kommen, bis 10 Prozent mit 32.500 Euro oder weniger. Mithilfe des Statistischen Bundesamts kann man sich selbst darin einordnen.

Liegt der eigene Verdienst beispielsweise bei 42.000 Euro, verdienen rund 30 Prozent der Vollzeitbeschäftigten gleich viel oder weniger. Mit einem Verdienst von 66.000 Euro gehört man zu den 30 Prozent mit den höchsten Verdiensten.

Gerade mal ein Prozent der Vollzeitbeschäftigten verdiente nach diesen jüngsten Zahlen im Jahr 2024 mehr als 213.286 Euro brutto. Bartsch folgert aus dem Lohngefüge: „Deutschlands Beschäftigte brauchen eine ernsthafte Lohnoffensive.“

Mindestlohn: Versagt die soziale Marktwirtschaft?

Bartsch sprach von einem „Versagen der sozialen Marktwirtschaft“. Der schwarz-roten Regierung warf der Linken-Politiker vor, keinen Mindestlohn von 15 Euro als unterste Lohngrenze festgeschrieben zu haben. Dies schade dem Lohnniveau insgesamt.

Damit spielt Bartsch darauf an, dass die Bundesregierung die anstehende Mindestlohnerhöhung nicht per Gesetz bestimmen will. Die dafür zuständige Mindestlohnkommission mit Spitzenvertretern der Gewerkschaften und der Arbeitgeber hatte beschlossen, dass der Mindestlohn in Deutschland zum 1. Januar 2027 in zwei Stufen auf 14,60 Euro pro Stunde steigt, Anfang kommenden Jahres von heute 12,82 auf 13,90 Euro. Die Regierung will die Empfehlung umsetzen.

Der Mindestlohn in Deutschland wurde im Jahr 2015 unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eingeführt. Bei der Erhöhung auf 12 Euro im Oktober 2022 griff der Gesetzgeber einmalig direkt ein. Damals machte der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das Thema zum zentralen Punkt seines Wahlkampfs unter dem Motto „Respekt“ für die Bürger.

Fazit: Deutschland hat ein falsches Verständnis von Mittelschicht

Ironisch ist, dass man mit einem unterdurchschnittlichen Verdienst (unter 2750 Euro Brutto im Monat), laut Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Mittelschicht gehört: Teil der Mittelschicht ist demnach, wer ein monatliches Nettoeinkommen zwischen 1.500 und 3.900 Euro hat. Brutto sind das in etwa 2.000 bis 5.700 Euro. Das Problem: So entsteht ein falsches Verständnis von Mittelschicht und das Gefühl, alle Menschen in Deutschland könnten sich gleich viel leisten, was jedoch nicht stimmt.

Fakt ist: Horrende Mieten, steigende Preise für Lebensmittel und Energie – so wird ein Arbeitseinkommen von unter 3.500 Euro brutto im Monat faktisch ein Garant für eine spätere Armutsrente, dessen sind sich die wenigsten Arbeitnehmer im sogenannten „Hochlohnland“ Deutschland bewusst.

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

DWN
Politik
Politik Abhängigkeit von US-Technologie: Welche Herausforderungen Europa jetzt meistern muss
02.11.2025

Technologie und digitale Souveränität stehen im transatlantischen Verhältnis zunehmend im Fokus. Europa nutzt US-amerikanische Systeme,...

DWN
Finanzen
Finanzen Altersrente berechnen: So hoch ist die Maximalrente in Deutschland - unerreichbar für die meisten
01.11.2025

Im Alter gilt, je mehr Rente, desto besser. Doch selbst mit extra Schichten oder einem hohen Einkommen ist der maximale Betrag an...

DWN
Finanzen
Finanzen Zehn S&P 500‑Aktien mit Aufholpotenzial: So bewerten Analysten Chancen und Risiken
01.11.2025

Zehn S&P 500‑Aktien, die Analysten trotz schwächerer Jahresperformance als chancenreich einstufen, werden auf Wachstum, Bewertung und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Lithium und die Energiewende: Wie der Rohstoff Elektronik und E-Mobilität vorantreibt
01.11.2025

Lithium gilt als das Metall unserer Zeit. Smartphones, Laptops und Elektroautos kommen ohne es nicht aus. Die Nachfrage steigt rapide,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Winzer unter Druck: Wie sich eine Branche neu erfinden muss
01.11.2025

Der deutsche Weinbau steckt in der tiefsten Krise seit Jahrzehnten. Sinkender Konsum, steigende Kosten und eine zunehmende...

DWN
Technologie
Technologie Wärmepumpen als Zeichen moderner Energieeffizienz: Wie KI ihre Leistung steigern wird
01.11.2025

Das Heizen wird künftig noch effizienter, kostengünstiger und komfortabler. Dank künstlicher Intelligenz werden Wärmepumpen in der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Fahrradverleih in Europa: Wie nachhaltige Mobilität jährlich 305 Millionen Euro bringt
01.11.2025

Fahrräder sind in vielen europäischen Städten längst Teil der urbanen Mobilität. Bikesharing bietet Vorteile über den reinen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chip-Markt: Neues Öl oder neue Bombe?
01.11.2025

Chips sind das Rückgrat der KI-Revolution. Doch hinter Rekorden und Milliardendeals wächst das Risiko. Ein Blick in die...