Europas anfängliche Hoffnung auf Zusammenhalt
Im Verlauf des Jahres 2025 zeigte ich mich in weiten Teilen vorsichtig optimistisch in Bezug auf Europa. Ich ging davon aus, dass der äußere Druck durch Trump, Putin und Xi eine so starke Plattform schaffen würde, dass er als Katalysator für ein stärkeres Europa wirken könnte. In den ersten Monaten des Jahres deuteten die Zeichen tatsächlich positiv. Merz gelang es geschickt, die sogenannte Schuldenbremse Deutschlands aufzuweichen, sodass Investitionen in Verteidigung, Infrastruktur und Energie möglich wurden.
Die Europäische Kommission präsentierte einen ambitionierten Haushaltsentwurf, der Investitionen unter anderem zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit vorsah, und die meisten europäischen Staaten signalisierten die Bereitschaft zu umfassender Aufrüstung. Die Zollkonflikte mit den USA führten zu einer gewissen Klärung, auch wenn das Ergebnis nicht optimal war. Gleichzeitig wurde die Ukraine in den Friedensverhandlungen nicht gezwungen, große Gebiete an Russland abzutreten. Bis zu diesem Zeitpunkt schien die Entwicklung zumindest teilweise stabil.
Wachsende Spaltung der europäischen Gesellschaften
In den letzten Monaten hat sich die Lage jedoch deutlich verschlechtert. Der äußere Druck, der bisher verantwortungsbewusste europäische Regierungen zusammengeführt hatte, konnte die europäischen Bevölkerungen nicht vereinen. Im Gegenteil: Historisch tiefe Spaltungen haben sich verstärkt, und populistische Parteien sowohl am rechten als auch am linken Rand gewinnen massiv an Unterstützung.
In den drei größten Volkswirtschaften Europas, Deutschland, Großbritannien und Frankreich, sind die Regierungschefs historisch unbeliebt. Nur jeder dritte Deutsche beurteilt Merz als guten Kanzler. In Großbritannien zeigen Umfragen, dass Premierminister Keir Starmer nur von 21 Prozent der Bevölkerung positiv bewertet wird, während 72 Prozent seine Leistung als schlecht einschätzen. Präsident Macron und Premierminister Lecornu stehen in Frankreich vor großen Herausforderungen bei der Erstellung des Haushalts für 2026, und es ist keineswegs sicher, dass Macron bis zum regulären Ende seiner Amtszeit 2027 im Amt bleiben kann. In allen drei Ländern verzeichnen populistische Parteien, insbesondere am rechten Rand, deutliche Zugewinne.
EU- und Ukraine-Skepsis in Mittel- und Osteuropa
In Mittel- und Osteuropa regieren mittlerweile EU- und Ukraine-skeptische Parteien in Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Auch wenn einige Länder wie Rumänien, Moldau und zuletzt die Niederlande Wahlen durchgeführt haben, die in eine andere Richtung wiesen, deutet wenig darauf hin, dass die EU zu mehr Handlungsfähigkeit findet.
Im EU-Parlament wurde kürzlich ein Versuch, Unternehmen zu entlasten und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, von einer klimafokussierten linken Mehrheit abgelehnt. Die Prioritäten innerhalb der EU sind nicht klar definiert. Wie der frühere dänische Ministerpräsident und NATO-Chef Anders Fogh Rasmussen in einem Interview beschrieb, befindet sich Europa derzeit aus Sicht der Führung „an einem sehr traurigen Punkt“. Diese Einschätzung teilt auch die dänische Wirtschaft. Führende dänische Manager, die anonym zitiert werden möchten, erklären, dass sie, müssten sie zwischen Investitionen in die USA unter Trump oder in Europa wählen, eindeutig die USA bevorzugen würden.
Unsichere Zukunft für Europas politische und wirtschaftliche Entwicklung
Europa steckt tief im Morast. Ob die politisch stark geforderte Motorik der kommenden Monate die Region weiter in die Sackgasse einer skeptischen und gespaltenen Bevölkerung zieht oder ob es gelingt, eine positive Dynamik zu erzeugen und die angekündigten Investitionen, etwa in die deutsche Wirtschaft, tatsächlich Wirkung zeigen, bleibt derzeit offen.
Für Deutschland zeigt sich daraus ein deutliches Signal: Die geplanten Investitionen in Verteidigung, Infrastruktur und Energie sind zwar notwendig, aber ihre Wirkung hängt stark von einem stabilen politischen Umfeld in Europa ab. Ohne eine Annäherung innerhalb der EU und eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts könnte die wirtschaftliche Modernisierung Deutschlands nur begrenzte Effekte entfalten.

