Washingtons Kurswechsel: Die neue Trump-Doktrin formt US-Außenpolitik neu
Nach Einschätzung von Donald Trump will der russische Präsident Wladimir Putin Frieden, während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj selbst der entscheidende Hinderungsgrund sei. Diese Behauptung markiert eine weitere Eskalation im außenpolitischen Kurs der Vereinigten Staaten, so unsere Kollegen von Äripäev. In dem Moment, in dem der von Washington unterstützte russische Friedensplan für die Ukraine bereits zu versanden drohte, eröffnete der euroskeptische Flügel im Weißen Haus überraschend eine neue Front. Trump erklärte, der Entwurf sei sowohl für die Vereinigten Staaten als auch für Russland akzeptabel. Selenskyj habe sich jedoch gar nicht erst die Mühe gemacht, den Text zu lesen. Gleichzeitig forderten J. D. Vance sowie der libertäre Tech-Unternehmer Elon Musk offen eine Schwächung der Europäischen Union. Zum Jahreswechsel formiert sich zunehmend eine außenpolitische Leitlinie der trumpistischen Regierung. Ihren programmatischen Ausdruck fand sie in einem über Nacht veröffentlichten Strategiedokument zur nationalen Sicherheit. Darin warnt Washington Europa vor einer vermeintlichen "zivilisatorischen Auslöschung" und suggeriert ein Weltbild, in dem europäische Staaten einerseits vollständig eigenständig handeln müssten und zugleich in entscheidenden Fragen von den Vereinigten Staaten abhängig blieben.
Europa im Fadenkreuz
Bundeskanzler Friedrich Merz fand deutliche Worte: "Sie spielen mit uns Spiele – sowohl mit euch als auch mit uns." Diese Bemerkung fiel in einem vertraulichen Treffen mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Notizen der Gesprächsteilnehmer, die dem Magazin "Der Spiegel" vorlagen, zeigen, dass Macron eine reale Gefahr sieht, wonach die Vereinigten Staaten die Ukraine zu territorialen Zugeständnissen drängen könnten, ohne klare Sicherheitsgarantien zu geben. Obwohl öffentlich niemand diese Einschätzung zugibt, teilen nahezu alle europäischen Regierungschefs die Sorge, so Äripäev weiter. Die Vereinigten Staaten agieren nicht mehr im Gleichklang mit Europa. Im besten Fall bewegen sie sich zwischen den Interessen beider Seiten. Im schlechteren Fall unterstützen sie offen Positionen, die Moskaus geopolitischen Vorstellungen entsprechen. Das jüngst veröffentlichte US-Strategiedokument – von Russland ausdrücklich gelobt – verstärkt diesen Eindruck.
Die Haltung deckt sich weitgehend mit Positionen von J. D. Vance, der bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz gefordert hatte, europäische Regierungen sollten radikale Kräfte in Regierungsverantwortung holen und angebliche Zensurmaßnahmen beenden. Außenminister Marco Rubio griff ähnliche Argumente auf, als er die Europäische Union dafür kritisierte, dass sie Elon Musks Plattform Twitter wegen fehlender Transparenz sanktionierte. Obwohl diese Sanktionen EU-Gesetzen entsprachen, forderten amerikanische Stimmen teils unverblümt eine Schwächung der Union. Der stellvertretende Außenminister Chris Landau erhöhte am vergangenen Wochenende erneut den Druck. Er schrieb, Europa könne nicht damit rechnen, dass die Vereinigten Staaten den Westen verteidigen, wenn "nicht gewählte Bürokraten in Brüssel eine Politik des zivilisatorischen Selbstmords" betrieben. Zugleich warf er Europa vor, weiterhin Energie aus Russland zu importieren, erwähnte dabei jedoch nicht, dass genau dies in Ungarn und der Slowakei geschieht – beides enge Verbündete Trumps, die zudem Ausnahmen von Sanktionen gegen russische Energiekonzerne erhielten.
Europa steht nun vor zwei grundlegenden Entscheidungen der kommenden Tage. Erstens müssen die EU-Staaten über die Nutzung eingefrorener Vermögenswerte der russischen Zentralbank zugunsten der Ukraine entscheiden. Zweitens muss die Union prüfen, ob sie langfristig fähig ist, ihre eigene Sicherheit militärisch zu garantieren – selbst für den Fall, dass Artikel fünf der NATO, der Kern der kollektiven Verteidigung, künftig nicht mehr uneingeschränkt gilt. Für Deutschland steigt damit der Druck, sicherheitspolitisch unabhängiger zu werden und zugleich den Zusammenhalt der Europäischen Union zu wahren.


