Da meldet die Bundesbank im neuesten Quartalsbericht einen Anstieg des Privatvermögens in Deutschland auf einen neuen Rekord von 5,2 Billionen Euro, 54 Milliarden Euro mehr als im Vorquartal. Prompt machen die Medien daraus eine Erfolgsgeschichte für die Deutschen schlechthin. So setzt etwa Spiegel-online über seinen Bericht die Überschrift „Deutschlands Bürger werden immer reicher“ und schreibt dann: „Reich, reicher, Deutschland: Das Privatvermögen der Bundesbürger ist bis Ende März auf mehr als 5,2 Billionen Euro gestiegen.“ Eine größere Irreführung des deutschen Durchschnittsbürgers ist kaum vorstellbar. Denn die obersten 10 % haben etwas mehr als zwei Drittel des Vermögens und die unteren 40 % haben meist nur Schulden und zusammengenommen ganze 0,3 % des deutschen Gesamtvermögens. Das „reich, reicher“ ist nicht Deutschland sondern nur ein sehr kleiner Teil seiner Bürger.
Ebenso verdummend ist der Versuch des den Arbeitgebern gehörenden Instituts der Wirtschaft (IW). Aufgeschreckt von der in allen hochentwickelten Ländern zunehmenden Diskussion über die Verteilungsgerechtigkeit und den Warnungen selbst der konservativen Industrieländerorganisation OECD hat das IW im Juni 2014 eine Studie veröffentlicht. Sie soll beweisen, dass die Verteilung gar nicht so ungleich ist, wie immer angenommen wird. Dazu greift sie eine Umfrage aus dem Jahr 2009 auf, bei der sich die Befragten zwischen fünf Gesellschaftsformen als die in ihrem Lande vorherrschende entscheiden mussten. Die wurden jeweils durch fünf entsprechende Diagramme angedeutet, die am einen Ende eine kleine Elite oben, nur sehr wenige Menschen in der Mitte und die große Masse der Bevölkerung unten sowie am anderen Ende viele Menschen im oberen Bereich und nur wenige Menschen im unteren Bereich zeigten (Abb. 18416).
Doch der Vergleich ist mehr als faul. Erstens denken Menschen, wenn sie sich Arm und Reich vorstellen und so die Gesellschaftsform bestimmen, an die Vermögensverteilung und nicht an die hier zum Maßstab genommene Einkommensverteilung. Zweitens mag bei den Einkommen die niedrigste Gruppe kleiner als vermutet sein. Das sagt jedoch sehr wenig über das Verhältnis der Einkommen aus, wenn man nicht mitberücksichtigt, wie viel des Einkommens auf die verschiedenen Gruppen entfällt.
Zur Vermögens- und Einkommensverteilung nach Zehnteln von Haushaltsgruppen gibt es seit vielen Jahren für Deutschland die Daten des Sozio-ökonomischen Panels, die vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ausgewertet werden. Danach steht die deutsche Vermögenspyramide auf dem Kopf, wobei 66,6 % des Vermögens auf das oberste Zehntel entfällt und darin allein 35,8 % auf das oberste Hundertstel, während auf die untersten vier Zehntel gerade einmal 0,3 % entfallen, wobei bei den untersten Zehnteln die Schulden überwiegen (Abb. 18417).
Betrachtet man die Einkommen, so zeigt sich für 2011 ebenfalls, wenn auch etwas weniger ausgeprägt diese Struktur; hier sorgen vor allem die Sozialausgaben und die Steuerstaffel für eine wenn auch begrenzte Minderung der Ungleichgewichte (Abb. 18418).
In seiner neuesten Analyse vom Februar 2014 kommt das DIW denn auch zum Ergebnis:
„Nach aktuellen Analysen auf der Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) belief sich das Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland im Jahr 2012 auf 6,3 Billionen Euro. Knapp 28 Prozent der erwachsenen Bevölkerung verfügten über kein oder sogar ein negatives Vermögen. Im Durchschnitt lag das individuelle Nettovermögen 2012 bei gut 83 000 Euro, es war damit nur wenig höher als zehn Jahre zuvor. Kaum verändert hat sich auch der Grad der Vermögensungleichheit. Mit einem Gini-Koeffizienten von 0,78 weist Deutschland im internationalen Vergleich ein hohes Maß an Vermögensungleichheit auf, und innerhalb des Landes besteht fast 25 Jahre nach der Vereinigung noch immer ein starkes Gefälle zwischen West- und Ostdeutschland.“
Schlimmer noch: Es gibt kaum noch Aufstiegsmobilität trotz aller Versprechen der Politik. Schon in seinem Jahresgutachten von 2009 beschrieb der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die deutsche Situation:
„Neben den zeitpunktbezogenen Vergleichen der Vermögen verschiedener Gruppen in den Jahren 2002 und 2007 ist von Bedeutung, wie viele Personen ihre Vermögensposition in diesem Zeitraum beibehalten beziehungsweise verändert haben. Insbesondere am oberen Rand der Vermögensverteilung sind die Positionen stabil: 62 % der Personen, die im Jahr 2002 zu den vermögendsten 10 % gehörten, zählten auch im Jahr 2007 zu dieser Gruppe. Weitere 19 % waren aus der bereits zweitvermögendsten Gruppe hinzugestoßen.“
Das heißt mit anderen Worten: Angesichts des festgefahrenen obersten Fünftels ist die Aufstiegsmobilität stark ausgebremst (Abb. 14815).
Niemand wird aus diesen Daten entnehmen können, dass es in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern, wie etwa Österreich, zwischen Arm und Reich gar nicht so schlimm steht, was uns das Institut der Wirtschaft nun weismachen will.
Joachim Jahnke, geboren 1939, promovierte in Rechts- und Staatswissenschaften mit Anschluss-Studium an französischer Verwaltungshochschule (ENA), Mitarbeit im Kabinett Vizepräsident EU-Kommission, Bundeswirtschaftsministerium zuletzt als Ministerialdirigent und Stellvertretender Leiter der Außenwirtschaftsabteilung. Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, zuletzt bis Ende 2002 als Mitglied des Vorstands und Stellvertretender Präsident. Seit 2005 Herausgeber des „Infoportals“ mit kritischen Analysen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung (globalisierungskritisch). Autor von 10 Büchern zu diesem Thema, davon zuletzt „Euro – Die unmöglich Währung“, „Ich sage nur China ..“ und „Es war einmal eine Soziale Marktwirtschaft“. Seine gesellschaftskritischen Analysen beruhen auf fundierter und langjähriger Insider-Erfahrung.
Sein Buch über das Ende der sozialen Marktwirtschaft (275 Seiten mit 176 grafischen Darstellungen) kann unter der ISBN 9783735715401 überall im Buch- und Versandhandel für 15,50 Euro bestellt werden, bei Amazon hier.