Politik

Ohne die USA: Russland und Iran übernehmen Führungsrolle im Irak

Lesezeit: 4 min
11.10.2015 01:04
Russland, der Iran, der Irak und Syrien vertrauen den US-Geheimdiensten nicht mehr. Mit der Gründung einer gemeinsamen Geheimdienst-Zentrale in Bagdad haben sich die Kräfte in der Region deutlich verschoben. Die US-Dienste mauern - und begehen damit vermutlich einen folgenschweren Fehler.
Ohne die USA: Russland und Iran übernehmen Führungsrolle im Irak

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Seit dem 30. September fliegen die russischen Luftstreitkräfte Angriffe gegen Ziele terroristischer Gruppierungen in Syrien. Sie berufen sich dabei auf eine Anforderung der syrischen Regierung um Hilfestellung im Kampf gegen den Terrorismus. Inzwischen hat Russland den Kampf gegen den Terrorismus auch auf den Irak ausgedehnt und das mit ausdrücklicher Duldung der irakischen Regierung. Wie die Nachrichtenagentur Reuters am 08.10.2015 unter Berufung auf russische Quellen berichtet, überlegt Russland ein irakisches Ansuchen um militärische Hilfe im Kampf gegen den Terrorismus in Erwägung zu ziehen. Eine enge nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Irak hat sich in den letzten Monate bereits abgezeichnet. Seit dem 20.09.2015 hat ein Joint Intelligence and Coordination Center (JICC) in Bagdad seine Arbeit aufgenommen. Russland, Syrien, der Iran und der Irak institutionalisieren ihren nachrichtendienstlichen Informationsaustausch und koordinieren ihren Einsatz gegen ISIS und andere terroristischen Gruppierungen von Bagdad aus. Die Aufgabe dieser neu aufgestellten Einrichtung ist überwiegend nachrichtendienstlicher Natur und umfasst das Sammeln und die Auswertung von Informationen zur Koordinierung der operativen Maßnahmen im Kampf gegen ISIS und anderen Terrororganisationen. Diese russische Initiative hat mehrere Stoßrichtungen.

-Einerseits werden operative Informationen der 4 Staaten gebündelt. Eines der größten Probleme der westlichen Koalition gegen den ISIS lag in dem Umstand, dass keine verlässlichen Informationen von operativer Relevanz verfügbar waren. Bombardements blieben in ihrer Effektivität hinter den Erwartungen zurück. Es gingen schlicht die Ziele aus und man unterstellte dieser Allianz, auch deshalb eine doppelte Strategie zu verfolgen.

-Gleichzeitig ist die Koalition unter russischer (Ko-)Führung auch in der Lage, die Situation durch den Einsatz von Freiwilligen und regulären Kämpfern nachhaltig zu verändern. Diese kommen entweder aus dem Umfeld der noch operativ verfügbaren, syrischen Kräfte, aus dem Iran oder wie aktuelle Meldungen aus Russland aufhorchen lassen, durch freiwillige russische Kämpfer. Was auch dem Westen bewusst ist: Mit ausschließlicher Luftunterstützung sind keine nachhaltigen Fortschritte zu erzielen.

Diese Informationen aus dem JICC werden den jeweiligen nationalen Generalstäben zur Verfügung gestellt und bilden die Grundlage gemeinsamer operativer Ansätze, die vorerst auf Syrien und den Irak beschränkt bleiben.

Die Leitung des Zentrums erfolgt im dreimonatigen Wechsel zwischen den beteiligten Nationen. Für die nächsten 3 Monate hat der Irak die Leitung dieses Zentrums inne. Die irakische Regierung hat Anfang Oktober Russland freie Hand gegeben, die Angriffe gegen den ISIS auch auf irakisches Territorium auszuweiten. Eine der Bedingungen dafür war eine vorherige Koordinierung der Luftschläge mit der irakischen Regierung.

Dieser Schritt kommt nicht überraschend. Die irakische Regierung hat sich von der westlichen Koalition gegen den ISIS wesentlich mehr erwartet. Der Einsatz dauert bereits ein Jahr an und konnte das stetige Anwachsen des ISIS auch auf irakischem Territorium nicht verhindern – ganz im Gegenteil. Schon seit geraumer Zeit ist das Misstrauen zwischen der Führungsebene den irakischen Streit- und Sicherheitskräften inklusive der irakischen Intelligence Community gegenüber US-Strukturen im Land stetig gewachsen. Dort herrscht die überwiegende Meinung vor, dass die USA wenig Interesse gezeigt haben, dem ISIS nachhaltig entgegenzutreten. Wie sonst ließe sich erklären, dass ISIS und ISIS-nahe Strukturen von den USA ganz offen mit Ausrüstung und Waffen versorgt wurden, während gleichzeitig Luftangriffe gegen ISIS-Ziele geflogen wurden. Quellen aus dem Umfeld der irakischen Streitkräfteführung geben die derzeitige Stimmung in den irakischen Sicherheitskräften wieder, wenn sie resümieren: Die russischen Luftschläge gegen den ISIS hätten in einer Woche mehr Erfolge gezeitigt, als jene der U.S.-geführten Allianz im gesamten vergangenen Jahr. Der Zeitpunkt der Etablierung des nachrichtendienstlichen Zentrums in Bagdad ist daher auch Ausdruck enttäuschter irakischer Erwartungshaltung gegenüber den USA.

Für die irakische Regierung und ihren Ministerpräsidenten Hayder Abadi stellt diese Annäherung an Russland keine radikale Änderung bisheriger Politik gegenüber den USA dar – wohl aber eine Gratwanderung. Ohne die USA direkt anzusprechen, rechtfertigte Abadi die Zusammenarbeit mit Russland mit der Notwendigkeit seines Landes, jede Form der Hilfe gegen den ISIS anzunehmen. Abadi dürfte klar sein, dass die enge Zusammenarbeit irakischer Strukturen mit Russland zu Lasten der Qualität der bisherigen Zusammenarbeit mit den USA gehen wird. Die Verstimmung zwischen den USA und der irakischen Regierung wird in der Reaktion der USA deutlich, die in der Einrichtung des JICC eine Gefährdung der eigenen Position ausmachen. So haben die USA angekündigt, den Austausch von Informationen mit den irakischen Sicherheitskräften einzuschränken. Insider berichten, dass sich der Schaden in Grenzen halten wird, da bisher meist solche Informationen mit irakischen Stellen ausgetauscht wurden, welche die eigene US-Position stützte. Nach Ansicht der USA wurde der Irak ausreichend mit amerikanischer Intelligence versorgt, sodass keine Notwendigkeit bestünde, das russische Angebot anzunehmen, so die offizielle amerikanische Reaktion.

Das JICC in Bagdad war auf russische Initiative hin entstanden. Der Sprecher des russischen Außenministeriums, Sergey Peskov, wird Ende September 2015 mit der Aussage zitiert, dass Russland auch den USA angeboten hat, sich an dieser Einrichtung zu beteiligen. Bisher, so Peskov, hätten die USA für dieses Projekt weder Interesse gezeigt, noch hätten sie sich dazu geäußert.

Abgesehen von der politischen Bedeutung einer Koordination zwischen Russland, Iran, Syrien und dem Irak für die gesamte Region Nah-/Mittelost, kommt dem JICC in Bagdad auch praktische Bedeutung im Hinblick auf die so wichtige gegenseitige Information über bevorstehende militärische Aktivitäten zu. Putin und Obama haben sich am Rande der UN-Vollversammlung auf ein Prozedere des gegenseitigen Informationsaustausches geeinigt, um unerwünschte Zwischenfälle im Luftraum zu vermeiden. Genau diese Rolle hat das JICC in Bagdad bei den ersten russisch geführten Luftschlägen in Syrien übernommen. Eine Stunde vor Beginn der russischen Luftschläge informierte ein russischer 3-Sterngeneral Vertreter der amerikanischen Botschaft in Bagdad sehr allgemein, in welcher Region diese erfolgen sollen. Der russische 3-Sterngeneral ist dem JICC zuzurechnen. FOX-News zitiert am 30.09.2015 den russischen General gegenüber Vertretern der US-Botschaft mit den Worten: „If you have forces in the area we request they leave.“

Seit Beginn der russischen Luftschläge sind bisher keine Zwischenfälle dokumentiert, abgesehen von politisch hochgespielten Grenzverletzungen im syrisch-türkischen Grenzraum durch die russische Luftwaffe. Die USA und ihre Verbündeten gaben indes bekannt, dass die Einsätze der russischen Luftwaffe, nunmehr in Syrien und im Irak, keinen Einfluss auf die eigene Einsatzplanung hätte.

Mit der abermaligen Verstärkung der russischen Luftangriffe auf Ziele in Syrien und künftig auch im Irak und mit der Einrichtung eines operativen JICC in Bagdad hat Russland im derzeitigen Stadium des Konfliktes die politische und militärische Initiative auf seine Seite gebracht. Die Einbindung des Iraks und auch des Irans verändert vorerst einmal die Qualität des russischen Engagements und baut damit längerfristige politische Optionen für die gesamte Region auf.

***

Dr. Gert R. Polli ist Unternehmens- und Sicherheitsberater. Von 2002 bis 2008 war er Gründer und Leiter des Amtes für Verfassungsschutz und Terrorismus-Bekämpfung der Republik Österreich. Er ist mit den Behörden in Europa und im Nahen Osten vernetzt und hat Zugang zu nicht-öffentlichen Dokumenten, die von den Geheimdiensten ausgetauscht werden. 

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