Die Abweisung der Beschwerden gegen das OMT-Programm der EZB durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe kommt zwar nicht wirklich überraschend, doch nun haben es die deutschen Steuerzahler und Sparer Schwarz auf Weiß: Die EZB kann Staatsanleihen kaufen, um Staaten in Not zu finanzieren. Damit ist die monetäre Staatsfinanzierung auch in Deutschland amtlich erlaubt. Das Bundesverfassungsgericht hat verschiedene Bedingungen an die Erlaubnis geknüpft.
Sie lauten, dass die Intervention der EZB grundsätzlich erlaubt ist, wenn:
• Ankäufe nicht angekündigt werden,
• das Volumen der Ankäufe im Voraus begrenzt ist,
• zwischen der Emission eines Schuldtitels und seinem Ankauf durch das ESZB eine im Voraus festgelegte Mindestfrist liegt, die verhindert, dass die Emissionsbedingungen verfälscht werden,
• nur Schuldtitel von Mitgliedstaaten erworben werden, die einen ihre Finanzierung ermöglichenden Zugang zum Anleihemarkt haben,
• die erworbenen Schuldtitel nur ausnahmsweise bis zur Endfälligkeit gehalten werden und
• die Ankäufe begrenzt oder eingestellt werden und erworbene Schuldtitel wieder dem Markt zugeführt werden, wenn eine Fortsetzung der Intervention nicht erforderlich ist.
Zu diesem Zweck sollen Bürger und Bundesbank die EZB kontrollieren dürfen. So heiß es:
3. Zur Sicherung seiner demokratischen Einflussmöglichkeiten im Prozess der europäischen Integration hat der Bürger grundsätzlich ein Recht darauf, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten nur in den vom Grundgesetz dafür vorgesehenen Formen ... erfolgt und die ... geschützte Verfassungsidentität nicht verletzt wird.
4. Die Bundesbank darf sich an einer künftigen Durchführung des OMT-Programms nur beteiligen, wenn und soweit die vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellten Maßgaben ... erfüllt sind. Darüber hinaus sind Bundesregierung und Bundestag ... verpflichtet, eine etwaige Durchführung des OMT-Programms dauerhaft zu beobachten. Diese Beobachtungspflicht ist nicht nur darauf gerichtet, ob die ... Maßgaben eingehalten werden, sondern auch darauf, ob ... ein konkretes Risiko für den Bundeshaushalt erwächst.
Tatsächlich zeigt der Spruch aus Karlsruhe allerdings, dass die Möglichkeiten der Überwachung begrenzt sind. Die Richter schreiben:
1. Der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm bewegt sich in der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung nicht „offensichtlich“ außerhalb der der Europäischen Zentralbank zugewiesenen Kompetenzen... Der Senat hat ... weiterhin Bedenken, er sieht sich aber an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gebunden, die ihrerseits den Rahmen zulässiger Interpretation nicht überschreitet.
2. In der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung verstoßen der Grundsatzbeschluss über die technischen Rahmenbedingungen des OMT-Programms und dessen mögliche Durchführung auch nicht offensichtlich gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung.
All diese Details zeigen, dass es den Verfassungsrichtern offenbar in erster Linie darum ging, ihren eigenen Bedeutungsverlust in Grenzen zu halten. Denn tatsächlich ist der neue Spruch eine Rolle rückwärts, wenn man ihn mit der unmissverständlichen Ablehnung im seinerzeitigen Verweis an den EuGH vergleicht.
Doch das Bundesverfassungsgericht spürt am eigenen Leib, dass die europäische Integration zwangsläufig auch zum Verlust an rechtlicher Selbstbestimmung führt. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, kleidete diese bittere Wahrheit am Dienstag in eine eher visionäre Sicht, indem er sagte: „Die Europäische Rechtsgemeinschaft ist aus diesem Verfahren gestärkt hervor gegangen.“ Die EU-Kommission begrüßte das Urteil und teilte mit: „Die Europäische Kommission respektiert die Unabhängigkeit der EZB und steht voll und ganz hinter der EZB bei der Ausübung ihres Mandats.“
Für die deutschen Sparer sind diese Zwischenschritte zu einem einheitlichen Staat unter dem Dach der EU eher unerheblich – es handelt sich um natürliche Konflikte zwischen Institutionen. Der Konflikt zwischen dem EuGH und Karlsruhe ist im Hinblick auf die OMT ausgeräumt – mit einem Verlust an Terrain für das deutsche Höchstgericht.
Doch die viel gravierendere Grundrechtsverletzung sieht den deutschen Sparer ohne jedweden Rechtsschutz: Das Bundesverfassungsgericht kann nämlich, wie es der Verfassungsrechtler Christoph Degenhart erläutert, der „EZB nicht verbieten, die Zinsen niedrig zu halten“. Dafür ist es nicht zuständig. Damit aber sei „eine mittelfristige, kalte Enteignung der Sparer und Vermögen in Europa eingeleitet worden“. Zwar besteht nach Artikel 14 des Grundgesetzes die Verpflichtung der Regierung, das Eigentum der Bürger zu schützen. Doch Degenhart sieht hier „eine massive Lücke im Rechtsschutz“. Kein Bürger kann demnach bei der aktuellen Gemengelage von politischen Interessen und wirtschaftlichen Maßnahmen sein Recht auf Eigentum rechtlich wirksam einklagen.
Der Zusammenhang mit dem OMT-Urteil besteht darin, dass die gesamte Politik der EZB zu genau diesen niedrigen Zinsen bzw. Strafzinsen geführt hat. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Der Grund liegt in der Bereitschaft der EZB, den Euro zu retten. Mario Draghi hat dazu das Motto „whatever it takes“ ausgegeben. In der EZB sitzen Investmentbanker, in Karlsruhe Juristen, die noch dazu mit der Bundesregierung eng verbunden sind. Für den Sparer ist es im Gesamtzusammenhang der Euro-Rettung nicht möglich, die Übertragung von Hoheitsrechten zu kontrollieren.
Die deutschen Sparer müssen sich daher darüber im Klaren sein, dass das Urteil von Karlsruhe im Prinzip einen internen Streit im Wolkenkuckucksheim behandelt hat, die Enteignung der Sparer jedoch nicht im geringsten tangiert. Degenhart: „Der Zug in diese Richtung ist abgefahren.“ Schon seit der Einführung des Euro sei es „zu ständigen Rechtsbrüchen und Vertragsverletzungen gekommen“. Degenhart erwartet „beträchtliche Kollateralschäden“ in der Euro-Zone, die von der schleichenden Enteignung der Sparer verursacht werden.
Die Abweisung der Beschwerden zum OMT-Programm hat auf diesen Prozess keinen Einfluss. Der Bedeutungsverlust des Bundesverfassungsgerichts zeigt allerdings, dass die Sparer und Steuerzahler in Europa schutzlos sind, wenn es um die Interessen der Staatsfinanzierung geht. Viele Kritiker in Europa der Verquickung von Zentralbanken und Staaten hatten gehofft, dass das deutsche Höchstgericht als Bollwerk auch für ihre Sparer agieren werde. Von diesem frommen Wunsch müssen sie sich jetzt verabschieden.