Politik

Türkei: Erdoğan verpasst der Justiz einen Maulkorb

Nach dem Polizei-Kontroll-Dekret hat die Regierung Erdoğan den Justizbehörden einen Maulkorb verpasst. Sie dürfen sich nur nach Absprache mit dem Justiz-Minister äußern. Die Säuberungswelle hat unterdessen auch das Finanzministerium erreicht.
02.01.2014 00:56
Lesezeit: 2 min

Der neu ernannte Justizminister Bekir Bozdağ beschuldigt den Hohe Richter- und Staatsanwälterat (HSYK) des Eingriffs in die Unabhängigkeit der Justiz und versucht deshalb nun ihren Handlungspielraum einzuschränken. Dieser hatte ein am 22. Dezember in Kraft getretenes Polizei-Kontroll-Dekret scharf kritisiert. Nun verlangt Bozdağ die unbedingte Gefolgschaft. Ohne vorherige Absprache darf keine Presseerklärung mehr herausgegeben werden.

In einem Statement am vergangenen Donnerstag, dem ersten Amtstag von Bozdağ,  hatte der HSYK erklärt, dass staatliche Institutionen und leitende Angestellte stets im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz handeln müssten. Eine unabhängige Justiz sei die Garantie der Bürger gegen die Herrschenden. Die Justizbehörde wies darauf hin, dass die gerichtliche Kontrolle der Herrschenden für ihre illegalen Aktivitäten ein wesentlicher Bestandteil einer demokratischen Nation und Teil der Rechtsstaatlichkeit sei.

Bozdağ verpasst HSYK einen Maulkorb

„Diese Aussage ist ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz und sie ist wie eine Anweisung an die Richter und Staatsanwälte, die die Aufsicht über die Korruptionsuntersuchungen haben“, zitiert die türkische Zeitung Zaman Justizminister Bozdağ, der bisherige Vizeregierungschef. Das sei ein klarer Verstoß gegen Artikel 138 der Verfassung. Von Gesetzes wegen sei der HSYK nicht befugt, Statements abzugeben.

Zuvor hatte ein Polizei-Dekret für einen regelrechten Aufschrei beim Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte gesorgt. Der verurteilte den Erlass der Regierung Erdoğan scharf. Der Justizbehörde zufolge sei das ein eklatanter Versuch, die Ermittlungen zu behindern. Der Erlass sei „nicht verfassungskonform“. Zudem würden diejenigen, die das Land regieren, auf diesem Wege versuchen die Justiz zu kontrollieren. Das Ganze sei eine offene Verletzung der Grundsätze der Unabhängigkeit der Justiz und der Gewaltenteilung sowie eine offene Verletzung der türkischen Verfassung und der einschlägigen Gesetze der Strafprozessordnung.

Am Freitag blockierte schließlich der Staatsrat das Dekret. Die Anordnung könnte „unwiderrufliche Schäden“ verursachen, hieß es in der Begründung. Seit vergangenen Sonntag war die türkische Polizei angewiesen, ihre Vorgesetzten zu informieren. Und zwar bevor sie die Anweisungen der Staatsanwaltschaft aus- und Festnahmen durchführt.

Säuberungen im Umkreis des Finanzministeriums

Unterdessen hat die Regierung Erdoğan ihre Säuberungsaktionen auch auf andere Institutionen ausgeweitet. Wie die Zaman meldet, seien am Montag zehn Angestellte aus der Verwaltung des türkischen Finanzministeriums (GİB) versetzt worden. Zuvor waren im Zuge der Korruptionsuntersuchungen mehr als 500 Polizisten ihrer Ämter enthoben versetzt worden. Angeblich soll es bereits Vorbereitungen geben, auch Gouverneure in den Provinzen auszutauschen, in denen es weitere Untersuchungen geben könnte.

Hinnehmen wollen das übrigens nicht alle. Wie die Zeitung erfahren haben will, sollen bisher mindestens 20 Polizisten Klage am Verwaltungsgericht in Ankara gegen ihre Versetzung eingereicht haben. Unter jenen soll sich auch Lokman Kırcılı, der ehemalige stellvertretende Polizeichef der Anti-Terror-Einheit in Ankara, sowie İsmail Öztürk, der ehemalige stellvertretende Leiter der Polizeiabteilung für Schmuggel in Ankara, befinden. Sie führen an, dass ihre Versetzun jeglicher rechtlichen Grundlage entbehre.

Gewerkschaft kritisiert Mangel an Rechtsstaatlichkeit

In den Reihen der Kritiker findet sich seit diesem Montag auch die türkische Gewerkschaft Kamu-Sen. In einer schriftlichen Erklärung wirft sie der AKP-Regierung vor, gerade das Gegenteil dessen zu tun, was sie dem Volk vor zehn Jahren bei ihrer Wahl versprochen hätte. Der Prozess hätte mit unfairen und renitenten Aussagen begonnen, hätte sich dann zu einem riesigen Korruptionsskandal ausgeweitet und sei nun bei Profilierung und Verbannung angekommen. Letzteres würde immer noch stattfinden. Es dürfe nicht vergessen werden, dass jede Regierung, die ihre Macht nicht auf Recht und Gesetz gründet, dem Untergang geweiht sei. Wenn 90 Prozent der Arbeiter in einer Institution über die Institution reden würden, indem sie von einen Mangel an Vertrauen in diese Institution sprächen, dann bedeute dies, dass diese nicht mehr lange da sein werde.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen EU-Vermögensregister und Bargeldbeschränkungen: Risiko für Anleger

Das EU-Vermögensregister gehört derzeit zu den größten Risiken für Anleger. Daher ist es wichtig, sich jetzt zu überlegen, wie man...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Börse-Ausblick: Europa trotzt Trump – doch wie lange noch?
07.07.2025

Ein halbes Jahr voller Turbulenzen: Trump, Zölle, Währungskrise – die Börsen zeigen extreme Bewegungen. Welche Märkte profitieren,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Euro-Kurs wird zur Gefahr: Europas Exporte brechen ein
06.07.2025

Ein starker Euro, schwaches Wachstum, neue US-Zölle – Europas Wirtschaft gerät unter Druck. Die EZB warnt, doch die Lage droht zu...

DWN
Politik
Politik Neuregelung der Vaterschaft: Mehr Rechte für leibliche Väter
06.07.2025

Die Bundesregierung plant eine Reform, die leiblichen Vätern zu mehr rechtlicher Anerkennung verhelfen soll. Der Entwurf aus dem...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnungstausch: Wie Sie Ihre Ferienwohnung herzaubern und worauf Sie achten müssen
06.07.2025

Der Wohnungstausch boomt – günstig, persönlich und spannend. Doch wie funktioniert das Ganze wirklich, und worauf muss man achten,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Jungmakler mit TikTok: Wie eine Generation den Versicherungsmarkt neu denkt
06.07.2025

TikTok-Reichweite, neue Rollenbilder, klare Erwartungen: Junge Makler treiben die Disruption im unabhängigen Versicherungsvertrieb voran....

DWN
Technologie
Technologie Wäschetrockner: Neues Energie-Label einfach erklärt
06.07.2025

Seit dem 1. Juli gelten für Wäschetrockner strengere Energiekennzeichnungen. Verbraucher sollen Geräte nun besser vergleichen können....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Praktika und Probearbeiten: Rechte, Pflichten und Fallstricke für Berufseinsteiger
06.07.2025

Viele Praktikanten kennen ihre Rechte nicht – und riskieren, ausgenutzt zu werden. Was wirklich erlaubt ist, wann Praktika bezahlt werden...

DWN
Technologie
Technologie Lithium: Schlüssel zur technologischen Unabhängigkeit – doch der Rohstoff ist knapp
06.07.2025

Lithium ist der Treibstoff moderner Technologien – von E-Autos bis Energiewende. Doch was passiert, wenn die Nachfrage explodiert und das...