Politik

Geheimdienste: 5.000 Dschihadisten aus Europa wollen nach Syrien

Die Gefahr durch Terroristen aus dem Westen steigt. Das zeigt eine Liste, die westliche Geheimdienste nun den türkischen Behörden übergeben haben. Darin aufgeführt sind nahezu 5000 Personen. Es wird befürchtet, dass sie über die Türkei nach Syrien reisen und sich dort der Terrororganisation Al-Qaida anschließen. Kehren sie zurück, drohen auch Anschläge in der Heimat.
07.06.2014 21:50
Lesezeit: 3 min

Die jüngsten Zahlen übersteigen bei weitem die bisherigen Größenordnungen. Im Zuge des Bürgerkriegs sollen bislang gut 2000 bis 3000 Bürger aus Europa und den USA gen Syrien gereist sein, um dort gegen Präsident Basahr al-Assad zu kämpfen. Nun haben die westlichen Geheimdienste ganze 5000 Personen auf dem Schirm. Die Sicherheitsbehörden befürchten bereits, dass diese Kohorte über die Jahre den Grundstock für neuerliche Terrorattacken gegen den Westen legen könnte. Terrorattacken auf einem Niveau, wie man sie seit dem 11. September 2001 nicht mehr gesehen hat.

Die aktuelle Zahl auf der Liste wurde der Financial Times sowohl von EU-Vertretern als auch von Seiten der Türkei bestätigt. Neben 700 aus Frankreich und mehr als 300 aus Deutschland, sollen demnach bereits geschätzte 450 Personen nach Syrien gereist sein. Die Türkei gilt ihnen derzeit als wichtigstes Transitland.

In den politischen Fokus rückte das Thema zuletzt mit dem Dreifach-Mord vor dem Jüdischen Museum in Brüssel. Mittlerweile wurde ein Verdächtiger verhaftet. Der 29-jährige Franzose Mehdi N. war bei seiner Festnahme im Besitz einer Maschinenpistole des Typs Kalaschnikow. Eingehüllt war die Waffe in eine Fahne der Organisation Islamischer Staat im Irak und in der Levante (ISIL). Diese gilt derzeit als eine der kampfstärksten Dschihadisten-Gruppen in Syrien mit einem hohen Anteil ausländischer Mitglieder. Wie die französische Staatsanwaltschaft in Paris mitteilte, habe Mehdi N. ab Ende 2012 für gut ein Jahr in Syrien gekämpft. Radikalisiert habe er sich zuvor im Gefängnis. Gereist sein soll auch er über die Türkei.

„Das ist gerade das Top-Thema in den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei. Jeder Mitgliedsstaat hat eine Beobachtungsliste. Alle Wege führen zum türkischen Außenministerium“, zitiert das Blatt einen EU-Vertreter. Nach Angaben von westlichen Diplomaten habe die Türkei in den vergangenen Monaten zunehmend ein offenes Ohr für ihre Anliegen gehabt. Jüngstes Zeugnis: Seit 3. Juni gilt die al-Nusra-Front in der Türkei als Terrororganisation.

Die radikal-islamische Organisation wird von den USA bereits seit Dezember 2012 als Terrororganisation betrachtet. Mehrere andere Länder, darunter Australien und Großbritannien, sowie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen teilen diese Einschätzung. Sie ist neben ISIL derzeit eine von zweien Al-Qaida zugehörigen Gruppierungen, die im syrischen Bürgerkrieg gegen die Regierung al-Assads aber auch gegen Teile der Freien Syrischen Armee (FSA) und kurdische Volksverteidigungseinheiten kämpft. Im Augenblick soll sie bis zu 10.000 Mitglieder haben.

Insgesamt mehr als 4000 verdächtige radikale Islamisten aus Europa stünden bereits auf der Schwarzen Liste der türkischen Regierung, berichtete kürzlich auch die türkische Zeitung Hürriyet. Das heißt, sie dürfen nicht in die Türkei einreisen. Über 500 Dschihadisten seien schon ausgewiesen worden. Wie von Seiten türkischer Vertreter laut wurde, würden jedoch nicht alle westlichen Partner der türkischen Regierung Informationen über mögliche Terrorverdächtige bereitstellen. So dominierte neben der Ukraine-Krise auch das Thema ausländische Kämpfer in Syrien die Agenda des jüngsten G7-Treffens in Brüssel. Einer der heikelsten Punkte: Die Schaffung einer gemeinsamen Datenbank der Geheimdienste mit Namen potentieller und tatsächlicher Kämpfer. Die Crux: Viele der Sicherheitsbehörden haben bislang noch nie miteinander gearbeitet.

In Großbritannien jedenfalls vertritt man die Auffassung, dass es sich hierbei aufgrund der offenen Grenzen um ein gesamteuropäisches Problem handelt. Nach Informationen der Financial Times fand am Donnerstag ein Treffen der neun am meisten betroffenen europäischen Staaten zu privaten Gesprächen in Brüssel statt. Anwesend waren demnach leitende Minister wie die britische Innenministerin Theresa May samt ihrer Anti-Terror-Spezialisten. Bestätigt wurden gemeinsame Bemühungen auch von Europas oberstem Terrorbekämpfer, Gilles de Kerchove. Der belgische EU-Sonder­beauftragter für den Kampf gegen den Terrorismus erklärte, dass eine Gruppe von europäischen Staaten „extrem eng zusammenarbeiten“ würde, um Informationen auszutauschen. Im Zuge dessen hätte es auch Treffen mit Jordanien, Marokko, Tunesien und der Türkei gegeben. Themenschwerpunkt dabei sei immer wieder Syrien gewesen.

In einem Gespräch mit der Financial Times warnte de Kerchove erst in der vergangenen Woche: Europa müsse sich auf weitere Anschläge einstellen. Auch die US-Behörden sind zunehmend in Sorge und pflegen entsprechend enge Kontakte mit den Geheimdiensten in Europa.

Für die Behörden hier wie da ergibt sich jedoch eine wesentliche Schwierigkeit: Im Fall des Verdächtigen von Brüssel war den Behörden der extremistische Hintergrund des jungen Mannes bekannt. Dennoch gelang seine Festnahme eher durch Zufall. Viele, die nun nach Syrien wollen oder bereits dort sind, dürften bei den Geheimdiensten als unbeschriebene Blätter gelten. Einige von ihnen haben wahrscheinlich noch nicht einmal ein Strafregister. Jene auf den Schirm zu bekommen und auch zu behalten, dürfte die größte Herausforderung darstellen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Schnell noch ins LIVE-WEBINAR reinklicken: Ist Bitcoin das neue Gold? – Chancen, Risiken und Perspektiven

Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unsicherheiten: Viele Anleger fragen sich, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wachsender...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Fondsmanager warnt: „Gold ist noch immer unterbewertet“
05.06.2025

Der Goldpreis explodiert – doch laut Fondsmanager Erik Strand ist das Edelmetall noch immer unterbewertet. Die wahre Blase?...

DWN
Panorama
Panorama Stromanbieterwechsel 2025: Neue Fristen ab 6. Juni – wichtige Tipps
05.06.2025

Ein Stromanbieterwechsel soll ab dem 6. Juni deutlich schneller gehen – das klingt gut, hat aber Tücken. Welche Chancen und Risiken...

DWN
Finanzen
Finanzen Altersarmut wächst: Jede sechste Rentnerin in Deutschland lebt in Altersarmut
05.06.2025

Die neuen Zahlen zur Altersarmut in Deutschland sind alarmierend: 2,1 Millionen Rentnerinnen und 1,3 Millionen Rentner leben unterhalb der...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB stützt Konjunktur mit achter Zinssenkung seit Juni 2024
05.06.2025

Die von hohen US-Zöllen bedrohte Wirtschaft im Euroraum darf auf günstigere Kredite hoffen: Zum achten Mal seit Juni 2024 senkt die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Erneut mehr Aufträge in der Industrie - Experte: mögliche Trendwende
05.06.2025

In der deutschen Industrie mehren sich Hinweise auf ein Ende der Schwächephase. Im April haben die Industriebetriebe den zweiten Monat in...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Börsenboom trotz Pleitewirtschaft: Drei Konzerne täuschen die deutsche Stärke vor
05.06.2025

Während die deutsche Wirtschaft stagniert und die Industrie schwächelt, feiert die Börse Rekorde. Doch hinter dem Höhenflug stecken nur...

DWN
Technologie
Technologie Wenn die künstliche Intelligenz lügt: Wie Sie sich schützen und was KI-Versicherungen bringen?
05.06.2025

Chatbots erfinden Fakten, ruinieren Verträge und blamieren Konzerne – und die Industrie weiß: Das Problem ist nicht lösbar. Jetzt...

DWN
Politik
Politik Altersvorsorgedepot: Kommt die Frühstart-Rente? Zehn Euro pro Monat für jedes Kind geplant
05.06.2025

Die neue Regierung aus Union und SPD plant die Einführung einer Frühstart-Rente ab 2026. Laut Koalitionsvertrag sollen für jedes Kind...