Politik

Merkels Flüchtlings-Gipfel geplatzt: Türkei sagt Reise nach Brüssel ab

Nächster Rückschlag für Angela Merkel: Der türkische Premier Davutoglu hat wegen des Anschlags in Ankara seine Reise zum EU-Gipfel abgesagt. Auf dem Mini-Gipfel wollte Merkel mit einer "Koalition der Willigen" eine Einigung mit der Türkei erzielen. Es ist unklar, wie es nun weitergehen soll. Die Osteuropäer haben der Türkei ein Ultimatum bis Mitte März gesetzt.
17.02.2016 21:26
Lesezeit: 3 min

Es wird in dieser Woche definitiv keine Fortschritte für Angela Merkels Flüchtlingspolitik geben: Wegen des schweren Anschlags in Ankara hat Regierungschef Ahmet Davutoglu seine geplante Teilnahme am EU-Gipfel in Brüssel abgesagt. Bei dem Treffen mit der "Koalition der Willigen" hätte die Türkei mit einigen EU-Staaten eine Lösung der Flüchtlingskrise finden sollen. Das Treffen ist nun, zumindest was die Rolle der Türkei anlangt, geplatzt. Kurz nach der Absage wurde der Mini-Gipfel insgesamt abgesagt, berichtet die AFP.

Bereits am Dienstag hatte Merkel die Diskussion über die Verteilung der Flüchtlinge in der EU von der Agenda nehmen müssen, weil Deutschland in dieser Frage mittlerweile isoliert ist und ein Fiasko in Form einer ausdrücklichen Ablehnung der Politik Merkels riskiert hätte. Die Osteuropäer hatten in der Visegrad-Gruppe bereits vor Monaten signalisiert, dass sie Angela Merkel die Gefolgschaft verweigern werden.

Die Visegrad-Gruppe hat der Türkei am Mittwoch nein Ultimatum gesetzt und gibt ihr einen Monat Zeit, um wie mit der Europäischen Union vereinbart die Flüchtlingszahlen zu reduzieren. "Wenn der Zustrom von 1500 bis 2000 Menschen am Tag bis Mitte März andauert, wird klar sein, dass die Türkei ihre Versprechen nicht erfüllt hat und wir andere Maßnahmen brauchen, um die europäische Grenze zu schützen", sagte der tschechische Europastaatssekretär Tomas Prouza am Mittwoch vor Reportern in Prag.

Die Visegrad-Gruppe, die derzeit von Tschechien geführt wird und der auch Ungarn, Polen und die Slowakei angehören, hatte angekündigt, Mazedonien und Bulgarien bei der Schließung seiner Grenzen zu Griechenland zu helfen, wenn Athen nicht die Seegrenze zur Türkei abriegelt. Durch einen solchen Schritt wären zahllose Flüchtlinge in Griechenland blockiert und das EU-Land de facto aus der Schengenzone ausgeschlossen.

Der Anschlag, der Davutoglu zur Absage zwang, ereignete sich am Mittwoch in Ankara: Bei einem Autobomben-Anschlag im Regierungsviertel sind mindestens 28 Menschen getötet worden. Zudem wurden 61 weitere verletzt, wie ein Regierungssprecher sagte. Der Sprengsatz detonierte nach Angaben des Gouverneurs der türkischen Hauptstadt im abendlichen Berufsverkehr an einer Ampel, als dort mehrere Armee-Fahrzeuge anhielten. Ein ranghoher Militärvertreter erklärte, der Anschlag nahe des Parlaments habe den Soldaten gegolten. Zu der Tat bekannte sich zunächst niemand. Ein ranghoher Vertreter der Sicherheitskräfte sagte unmittelbar nach der Detonation, es gebe erste Hinweise, dass Extremisten der verbotenen Arbeiterpartei PKK die Tat verübt hätten. In Sicherheitskreisen im kurdischen Südosten des Landes hieß es hingegen, möglicherweise stecke die Extremistenmiliz IS hinter dem Anschlag.

Justizminister Bekir Bozdag bezeichnete die Explosion auf Twitter als Terroranschlag. Im Internet veröffentlichte Fotos zeigten ausgebrannte Wracks von mindestens zwei Bussen und einem Auto. Über dem Zentrum von Ankara stieg ein dichte Rauchwolke auf. Zeugen berichteten von einer sehr lauten Explosion, die noch mehrere Häuserblocks entfernt zu hören war.

Davutoglus erste Reaktion war zurückhaltender. Nach dem Anschlag sagte er auf eine Nachfrage der Presse: "Wir haben die Nachricht über eine Explosion erhalten. Wir werden sehen", zitiert ihn die Nachrichtenagentur IHA.

Soner Cagaptay vom Washington Institute for Near East Policy sagte auf CNN, die Täter könnten von der PKK oder dem IS stammen. Interessant: Ein russisches Statement deutet daraufhin, dass die Russen eher die PKK als den IS hinter dem Anschlag vermuten. Die Zeitung Sözcü zitiert den Sprecher des Verteidigungskomitees der Duma, Frants Klintsevic: "Russland ist entschieden gegen die Anwendung von Terrorismus, um kritische Probleme zu lösen. Wir verurteilen den Anschlag aufs Schärfste und wollen den Angehörigen der Opfer unser Beileid aussprechen."

Die türkische Regierung hat zuletzt immer wieder kurdische Extremisten für Anschläge auf Sicherheitskräfte verantwortlich gemacht. Im Juli war ein Waffenstillstand zwischen der Regierung und der PKK gescheitert. In dem seit 1984 anhaltenden Konflikt sind mehr als 40.000 Menschen getötet worden. In den vergangenen Tagen hatte das Nato-Mitglied Türkei verstärkt Angriffe gegen kurdische Milizen im Norden des Nachbarlandes Syrien geflogen.

In Ankara waren im vergangenen Jahr bei einem Bombenanschlag mehr als 100 Menschen getötet worden. Bei einem Anschlag in Istanbul kamen im Januar zehn deutsche Touristen ums Leben. Für die Anschläge machte Präsident Recep Tayyip Erdogan den IS verantwortlich. Unabhängige Erkenntnisse existieren nicht. Die Türkei verhängte am Mittwochabend eine Nachrichtensperre.

Die Türkei drängt seit einigen Tagen intensiv darauf, dass eine Bodenoffensive in den Norden Syriens durchgeführt werden müsse. Allerdings haben sich bisher weder die Nato noch die USA bereit erklärt, mit Bodentruppen einzumarschieren.

Erdogan hatte zuletzt sowohl die USA als auch Russland bezichtigt, mit den Kurden zu kooperieren, die die türkische Regierung als Terroristen ansieht. Die USA finanzieren die YPG, weshalb Erdogan die Frage stellte, ob Washington nun auf Seite der Türkei oder auf der Seite der "Terroristen" der YPG stehe. Auch Russland nannte Erdogan einen Unterstützer des internationalen Terrors.

Russen und Syrer haben gemeinsam mit den Kurden von der YPG am Mittwoch weitere militärische Erfolge gemeldet und rücken weiter in Richtung der türkischen Grenze vor.

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