Politik

„Wir befinden uns mitten in einem Wirtschaftskrieg“

Lesezeit: 4 min
08.10.2016 01:48
Ernst Wolff, Autor eines wichtigen Buchs über den IWF, glaubt, dass die USA Deutschland und die EU gezielt unter Druck setzen, um eine Hinwendung Europas zu Russland und China zu verhindern. Doch damit riskiere man den Kollaps des Weltfinanzsystems.
„Wir befinden uns mitten in einem Wirtschaftskrieg“
Ernst Wolff. (Foto: Ernst Wolff)
Foto: hedrich.mattescheck gbr

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

+++Werbung+++

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie schätzen Sie die aktuelle Situation der Deutschen Bank ein?

Ernst Wolff: Die Deutsche Bank kämpft mit riesigen Problemen, die sie aus eigener Kraft nicht mehr lösen kann. Sie ist in der Vergangenheit zu hohe Risiken eingegangen und hat zu spät auf Marktveränderungen reagiert. Erschwerend hinzu kommen die allgemeinen Probleme im Finanzsektor, die Stagnation der Weltwirtschaft und der rapide Vertrauensschwund bei ihren Kunden. Das Derivatevolumen der Deutschen Bank in Höhe von ca. 46 Billionen Dollar macht sie darüber hinaus zu einer Tretmine für das globale Finanzsystem. Fällt die Deutsche Bank, tritt der gefürchtete Domino-Effekt ein: Dann bricht das globale Finanzsystem in sich zusammen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wird die Deutsche Bank zur Zeit von Spekulanten attackiert?

Ernst Wolff: Gut möglich, aber sie werden sich an ihr die Zähne ausbeißen. Wegen der Gefahr fürs globale Finanzsystem wird nämlich jede erdenkliche Maßnahme ergriffen werden, um die Deutsche Bank nicht untergehen zu lassen. Wer weiß, ob nicht hinter den Kulissen bereits manipuliert wurde? Das plötzliche Anziehen des Aktienkurses am vergangenen Freitag wegen einer unbestätigten Twitter-Meldung z.B. ist mehr als suspekt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was wären die Risiken für Deutschland, sollte das Land die DB verstaatlichen oder teilverstaatlichen?

Ernst Wolff: Es ist interessant, dass bereits von Verstaatlichung oder Teilverstaatlichung gesprochen wird, da ja nach geltendem EU-Recht eigentlich ein Bail-in erfolgen müsste. Den wird es allerdings wohl nicht geben, weil es zu einem Bankenrun führen und das Ende der Regierung Merkel einläuten könnte. Ein Bail-out durch eine Staatsbeteiligung an der Bank wird im Ernstfall wegen der Höhe der Summen nicht ausreichen. Es wird vermutlich darauf hinauslaufen, dass die EZB gewaltige Summen aus dem Nichts schöpfen und sie der Deutschen Bank zur Verfügung stellen wird – womit das Problem durch die weitere Entwertung des Euro letztlich einmal mehr auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt würde.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Würde eine Strafzahlung von 14 Milliarden Dollar die Existenz der Deutschen Bank gefährden?

Ernst Wolff: Diese Zahl wird künstlich hochgespielt, genauso wie die angeblichen 5,4 Milliarden US-Dollar, die seit Freitag im Gespräch sind. Das sind in meinen Augen Ablenkungsmanöver, mit denen der Öffentlichkeit bestimmte Vorgänge wie der überraschende Anstieg des Aktienkurses am vergangenen Freitagnachmittag vermittelt werden sollen. Außerdem dienen diese Zahlen höchstens dazu, das Problem kleinzureden: 14 Milliarden US-Dollar sind im Verhältnis zur wahren Größe des Problems schon fast die vom ehemaligen Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper beschworenen „Peanuts“.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann man Höhe und Timing der drohenden Strafzahlung als politisches Manöver interpretieren?

Ernst Wolff: Ganz gewiss. Zum einen dürfte die Strafandrohung eine Vergeltungsmaßnahme der USA für die von der EU-Kommission von Apple geforderte Steuernachzahlung in Höhe von 13 Milliarden US-Dollar sein. Zum anderen entlarvt das Handling der gesamten Affäre durch die USA die politischen Absichten: Normalerweise hätte man erwartet, dass sich das US-Justizministerium diskret an die betroffene Bank wendet, um die Angelegenheit hinter verschlossenen Türen zu besprechen. Dass die Forderungen auf dem Weg über die Medien weltweit bekannt gemacht wurden, zeigt, dass hier ein Exempel statuiert und eine Bank bewusst in der Öffentlichkeit bloßgestellt werden sollte.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Befinden wir uns in einem Wirtschaftskrieg zwischen den USA und der EU?

Ernst Wolff: Wir sind mitten drin. Die USA spüren seit der Jahrtausendwende immer deutlicher, dass ihnen ihr Status als unangefochtene Supermacht entgleitet. Sie versuchen deshalb, ihren historischen Abstieg mit militärischen und wirtschaftlichen Mitteln aufzuhalten. Ihre größte Stärke im Finanzbereich ist noch immer der Dollar, die weltweit wichtigste Reservewährung. Aber auch er verliert Tag für Tag an Macht und Einfluss. Die größte Angst Washingtons und der Wall Street ist eine Abkehr Europas von den USA und eine Hinwendung zu Russland und dem für die Zukunft wichtigsten und stärksten US-Konkurrenten China. Deshalb setzen sie die EU und ihre wichtigste Wirtschaftsmacht Deutschland immer wieder unter Druck und demonstrieren so ihre – noch vorhandene – Macht.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wäre die Rettung der DB mit Steuergeldern der willkommene Präzedenzfall, auch italienischen Banken wie die MPS mit Staatsgeldern zu retten?

Ernst Wolff: Genau diesen Fall versuchen die USA herbeizuführen: Sie wollen die Regierung in Berlin zwingen, bei der Deutschen Bank einzusteigen, damit ihr im Dialog mit Italien die Argumente fehlen, um den italienischen Premier Renzi weiter von einem Bail-out seiner Problembank Monte dei Paschi abzuhalten. Das würde zur nächsten Zerreißprobe innerhalb der EU führen, die ja immerhin der schärfste Konkurrent der USA auf dem Weltmarkt ist.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wieso weigert sich die deutsche Regierung, einem Bail-out der Monte dei Paschi zuzustimmen?

Ernst Wolff: Zum einen müsste Deutschland über den ESM für einen großen Teil des Geldes bürgen, was die Regierung gegenüber der Bevölkerung weiter in Bedrängnis brächte. Zum anderen ist die Monte dei Paschi nicht die einzige europäische Bank, die in großen Schwierigkeiten steckt und dringend Geld vom Staat bräuchte. Gäbe die EU Italien grünes Licht für ein Bail-out, würden sofort auch andere Staaten ihre Ansprüche anmelden und die Rettung ihrer Banken verlangen. Damit würde eine Kettenreaktion ausgelöst, die den Zusammenhalt der EU weiter zersetzen dürfte.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wenn, wie Sie sagen, dass „alle erdenklichen Maßnahmen getroffen“ werden, um die Deutsche Bank am Leben zu erhalten – wie lange geben Sie ihr dann noch?

Ernst Wolff: Das lässt sich genauso wenig voraussagen wie die restliche Lebensdauer unseres gegenwärtigen Finanzsystems. Es kann ja niemand die Verantwortlichen bei der EZB (und auch den übrigen Zentralbanken auf der Welt) daran hindern, weiterhin Unsummen an Geld aus dem Nichts zu schöpfen.

Allerdings muss man im Auge behalten, dass das gegenwärtige Fiat-Geldsystem auf keinem realen Wert, sondern nur auf dem Vertrauen der Menschen basiert. Wann dieses Vertrauen verpuffen wird, weiß niemand – aber eins steht schon heute fest: Wir nähern uns diesem Ereignis mit jedem Tag und wenn es eintritt, werden die Lichter ausgehen, und zwar sehr schnell und nicht nur bei der Deutschen Bank.

***

Ernst Wolff schrieb den Spiegel Bestseller „Weltmacht IWF. Chronik eines Raubzuges“. Ernst Wolff arbeitet als Journalist, Dolmetscher und Drehbuchautor.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Politik
Politik Europaparlament billigt neue EU-Schuldenregeln nach langwierigen Debatten
23.04.2024

Monatelang wurde über Europas neue Regen für Haushaltsdefizite und Staatsschulden diskutiert. Die EU-Abgeordneten sprechen sich nun für...

DWN
Immobilien
Immobilien Bauministerin: Innenstädte brauchen vielfältigere Angebote
23.04.2024

Klara Geywitz wirbt für mehr Vielfalt in den deutschen Innenstädten, um damit stabilere Immobilienmärkte zu unterstützen. Ein Mix von...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Palantir: Wie Vorurteile die sinnvolle Anwendung von Polizei-Software behindern
23.04.2024

Palantir Technologies ist ein Software-Anbieter aus den USA, der entweder Gruseln und Unbehagen auslöst oder Begeisterung unter seinen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen 20 Jahre EU-Osterweiterung: Wie osteuropäische Arbeitskräfte Deutschland unterstützen
23.04.2024

Zwei Jahrzehnte nach der EU-Osterweiterung haben osteuropäische Arbeitskräfte wesentlich dazu beigetragen, Engpässe im deutschen...

DWN
Finanzen
Finanzen Der DWN-Marktreport: Spannung und Entspannung – Geopolitik sorgt für Bewegung bei Aktien und Rohstoffen
23.04.2024

Die hochexplosive Lage im Nahen Osten sorgte für reichlich Volatilität an den internationalen Finanz- und Rohstoffmärkten. Nun scheint...

DWN
Finanzen
Finanzen Staatsverschuldung auf Rekordhoch: Steuerzahlerbund schlägt Alarm!
23.04.2024

Der Bund Deutscher Steuerzahler warnt: Ohne Kehrtwende droht der fiskalische Abgrund, trotzdem schöpft die Bundesregierung das...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt weiter - Verband alamiert
23.04.2024

Laut neuen Zahlen gibt es immer weniger Apotheken-Standorte. Der Apothekerverband spricht von „alarmierenden Zeichen“ und erklärt,...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber im Aufschwung: Das Gold des kleinen Mannes holt auf
23.04.2024

Silber hinkt traditionell dem großen Bruder Gold etwas hinterher. In den letzten Wochen hat der Silberpreis massiv zugelegt. Was sind die...