Politik

München: Politiker ohne Zukunft auf der Suche nach dem Krieg

Lesezeit: 6 min
19.02.2017 01:53
Die Münchner Sicherheitskonferenz: Alte Männer und Frauen, Generäle im Anzug und Höflinge träumen von der besseren Vergangenheit. Eine dekadente Elite sucht ihr Heil im Krieg. Dieser beginnt im Kopf – daher zielt der aktuelle Angriff auf die Zivilgesellschaft in Europa.

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Die Münchner Sicherheitskonferenz ist seit jeher nichts anderes als eine Lobby-Veranstaltung der Rüstungsindustrie. Die Konferenz ist zwar privat, wird aber auch aus Steuermitteln finanziert. Die Waffenindustrie lässt sich also, wie Albrecht Müller zutreffend anmerkt, ihre Lobbytätigkeit vom Steuerzahler finanzieren.

Die Öffentlichkeit apportiert eifrig die Hölzchen und Stöckchen, die die Beschwörer des Untergangs und die Apokalyptiker der Freiheit ihnen vor die Füße werfen. Manchmal staunt man über die Uniformität der Berichterstattung. So schwärmen die Nachrichtenagenturen Reuters und AFP wortgleich von einer angeblich „emotionalen“ Rede, die John McCain gehalten hat – obwohl solche Wertungen bei Nachrichtenagenturen nichts verloren haben.

Zumal McCain eben sagte, was ein 80-jähriger Ex-General im Anzug eben so zu sagen hat, nämlich: Früher war alles besser. Die dpa zitiert ehrfürchtig aus dem apokalyptischen Alpengesang des Anführers der US-Neocons:

„Wir dürfen uns selbst und einander nicht aufgeben, sonst wäre das Dekadenz, und das führt zum Scheitern von Weltordnungen…Dieses Podium wird sich damit beschäftigen, ob der Westen überleben wird. Die westlichen Nationen haben immer noch die Kraft unsere Weltordnung aufrecht zu erhalten, aber ob wir den Willen dazu haben – das ist nicht mehr klar…Wir sind vielleicht selbstgefällig geworden, wir haben Fehler gemacht.. Solange mutige Menschen an den Westen glauben, wird der Westen fortbestehen. Nicht jeder Amerikaner versteht die essentielle Rolle, die Deutschland und Bundeskanzlerin (Angela) Merkel spielen, wenn es darum geht, die Ideen des Westens zu verteidigen.. Aber im Namen all derer, die das verstehen, möchte ich mich bedanken.“

Ähnlich pathetisch äußerte sich Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen:

„Die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks sehen, dass Konflikte und Krisen um uns herum ein atemberaubendes Tempo haben. Wir kennen inzwischen die Muster: Der globalisierte Terror agiert mit archaischer Brutalität und modernster Technologie. Militärische Machtprojektion wird vermischt mit subversiven Methoden. Einflusszonen werden definiert und Souveränität und Völkerrecht dabei ignoriert. Im Cyber-Informationsraum legen bots, Trolle und fake news die Axt direkt an die Glaubwürdigkeit demokratischer Institutionen und freier Medien. Dies geschieht hybrid scheinbar harmlos, aber der aggressive Charakter des Gesamtbilds offenbart sich erst später. Im Zentrum des Angriffs stehen unsere offenen Gesellschaften. Unsere freiheitliche Lebensweise, unsere Vielfalt und damit die Basis unseres Wohlstands. Sie werden angegriffen durch Terror und autoritäres Gebaren. Hierauf müssen wir Antworten geben.“

Beide Apokalyptiker vertauschen routiniert Ursache und Wirkung: Die von McCain beklagte Weltunordnung ist vom Westen herbeigeführt worden: Irak, Libyen und Syrien wurden durch militärische Interventionen von außen destabilisiert. Die Terror-Banden wurden von den Golf-Staaten ausgerüstet und finanziert. Hinter den Söldnern, die mit archaischer Brutalität agieren, stehen Sponsoren aus Drittstaaten, maßgeblich aus dem Westen. Die modernste Technologie wird von Rüstungs- und Technologiefirmen aus West und Ost geliefert.

Die auf der Sicherheitskonferenz auch immer wieder beschworene Einheit zwischen den USA und Europa im Hinblick auf die Nato wird natürlich von niemandem in Frage gestellt, im Gegenteil: Die Nato wird neu positioniert und soll nun im Kampf gegen den „Terror“ eingesetzt werden. Sicherheitsexperten wie der frühere Präsident des österreichischen Verfassungsschutzes, Gert Polli, warnen vor dieser Entwicklung: Mit „out-of-area“-Operationen werde Europa nicht sicherer, sondern unsicherer, weil der Terror auf diesem Weg mindestens als Form der Vergeltung nach Europa exportiert wird.

In Ermangelung eines klaren Feindbildes suchen alle beteiligten Personen aus der Militär-Branche neue Ziele: Die Hardliner in Europa wollen gegen die Russen vorgehen, Donald Trump und Israel gegen den Iran, Europa und die USA gegen China und so weiter.

Man scheint sich noch nicht ganz auf einen gemeinsamen Feind geeinigt zu haben, so könnte man aus den durchaus unterschiedlichen Beschwörungen von München folgern. Es besteht jedoch ein Konsens, dass die Bevölkerung des „Westens“ auf einen Krieg vorbereitet werden muss, auch, wenn man noch auf der Suche nach diesem Krieg ist.

Zu diesem Zweck spricht McCain von der Gefahr, dass der Westen nicht „überleben“ könnte – was natürlich blanker Unsinn ist. Was allerdings in der Tat nicht überleben könnte, ist die „Weltordnung“, die McCain verteidigen möchte: Es ist eine Ordnung, die auf Dominanz und Hegemonie aufbaut. Beides funktioniert heute nicht mehr. Der Grund liegt weniger in den externen Feinden, als vielmehr in der inhärenten Ungerechtigkeit der Schulden-Exzesse, die die westlichen Gesellschaften tatsächlich an den Rand des Abgrunds treiben. Kein Wachstum, hohe Schulden, alternde Bevölkerung führen im Zeitalter der technologisch-industriellen Revolution zum Zerfall. Doch die von den Rechten herbeigeredeten „islamistischen Horden“ gibt es nicht. Es gibt niemanden, der, wie von der Leyen insinuiert, einen Angriff auf „unsere offene Gesellschaft“ plant. Unsere Gesellschaft ist nämlich nicht offen, sondern mittlerweile von einer großen Spaltung verunsichert. Die Wähler von Donald Trump, die von der Elite-Schickeria verspotteten „Bedauernswerten“ sind die ersten Opfer eines nicht nachhaltigen und ungerechten Wirtschaftssystems.

Viele von ihnen sind auch Modernisierungsverlierer. Doch das sind sie nicht aus eigenem Zutun geworden, sondern weil ihnen die westliche Politik vorgegaukelt hat, dass „der Staat“ für alle sorgen kann, indem er ihnen garantiert, dass alles so bleibt, wie es ist. Damit aber haben vor allem in Europa die Regierungen eine Art sozialpolitischen, internen Protektionismus betrieben: Sie haben jene Unternehmen geschützt – und mit ihnen die Arbeitnehmer in diesen Unternehmen – die bereits etabliert sind: Volkswagen ist das beste Beispiel, wo Politik, Arbeitnehmervertreter, Eigentümer und Manager keine Mühe gescheut haben, um alle Innovations-Schübe abzuwehren. Opel ist ein anderes Beispiel.

„Unsere freiheitliche Lebensweise, unsere Vielfalt und damit die Basis unseres Wohlstands“ werden nicht in erster Linie von den Bösen Islamisten, den bösen Russen oder den bösen Chinesen angegriffen: Sie werden von jenen Parteien und Regierungen angegriffen, die sich dem technologischen Wandel nicht stellen wollen; die die kreative Zerstörung ablehnen; die alles Neue verdammen; die sich in ihren alten Seilschaften am sichersten fühlen.

Die Sicherheit, die diese Eliten meinen, kann in der Tat nur noch von Armeen, Geheimdiensten und willfährigen Medien gewährleistet werden. Die Sicherheit, die sich jene Regierungen, Industrien und Netzwerke erhoffen, ist eine, die keine offene, freie und kritische Zivilgesellschaft mehr kennt. Es ist vielsagend, dass es gegen die Sicherheitskonferenz kaum Proteste gegeben hat. Der Aufbau der diffusen Feindbilder – Russen, Islamisten, Chinesen, „Populisten“ – funktioniert. Am deutlichsten wird diese Orwellsche Dimension, wenn Politiker, die nachweislich jahrelang gelogen haben, dass sich die Balken biegen, nun auf einmal bestimmen wollen, was „die Wahrheit“ ist. Die Militärgesellschaft greift nach der Zivilgesellschaft, was sich auch durch die Usurpation der Themen manifestiert: Wer ist die Verteidigungsministerin, dass sie von „fake news“ schwadronieren kann?

Die „Axt direkt an die Glaubwürdigkeit demokratischer Institutionen“ haben nicht jene gelegt, die die Fehlentwicklungen aufzeigen und kritisieren, und die nun einfach als Putin-Trolle diffamiert werden – sondern diejenigen Politiker und ihre Netzwerke, die die demokratischen Institutionen jahrelang ausschließlich als Vehikel für ihre Partikular-Interessen missbraucht haben: Die Zahl der Lobbyisten im EU-Parlament ist Legende; die Zahl der Gesetzesbrüche im Zuge der Euro-Krise ist Legion; das Ausmaß der von den Parteien betriebenen Zersetzung und Diffamierung von Andersdenken und Unabhängigen ist unbeschreiblich. Von der Leyen beschwört das „Völkerrecht“: Spricht die Ministerin von Syrien, wo Dutzende Nationen ihre Söldner-Trupps beschäftigen? Spricht sie vom Jemen, wo die Saudis unter britischer und amerikanischer Militär-Anleitung einen Angriffskrieg führen, jene Saudis, die von der Leyen eben gerade besucht hat und mit deren Soldaten künftig in Deutschland von der Bundeswehr ausgebildet werden sollen?

McCains Lamento über den Verlust der Führungsrolle des Westens ist übrigens nicht falsch, sondern nur falsch begründet: McCain bräuchte nur auf sich selbst und sein Land blicken, auf die großartigen Vereinigten Staaten von Amerika. Schon General Eisenhower hatte davor gewarnt, was geschieht, wenn die demokratischen Institutionen durch den sogenannten „deep state“ ausgehöhlt werden. Das kann man jetzt in den USA beobachten, die drauf und dran sind, ein „failed state“ zu werden. Man kann Donald Trump für einen Kauz, einen Kotzbrocken oder für einen Clown halten: Er ist der gewählte Präsident der USA. Die Brutalität, mit der die Geheimdienste, die Neocons, die Besitzstandswahrer, die Parteigänger der Demokraten, sich weigern, die demokratische Wahl anzuerkennen, erinnert an afrikanische Staaten nach dem Sturz einer Diktatur. McCain, der in München für die Werte des Westens wirbt, bezeichnet nicht nur den russischen Präsidenten als Mörder und Gangster, sondern kämpft aktiv gegen den eigenen Präsidenten. Dieses System soll ein Vorbild für die Welt sein?

Die freie Demokratie der deutschen Verteidigungsministerin wäre wesentlich freier, wenn sie sich von den Machenschaften der vielen außerparlamentarischen politischen Lobby- und Agitations-Truppen verabschieden würde. Der Mangel an eigener Haltung hat alle europäischen Staaten anfällig gemacht für Destabilisierungsversuche von außen. Die Russen mischen mit, die Briten, die Amerikaner. Alle Welt zerrt an Europa. Die Demokratien werden ausgehöhlt. Die Welt-Innenpolitik führt zu einer krebsartigen Ausbreitung eines globalen „deep state“. Dagegen müssten Mauern errichtet werden – nicht gegen die Opfer der aggressiven westlichen Politik, gegen die Flüchtlinge und Migranten, die künftig in Libyen in inhumanen Lagern gehalten werden sollen. Nicht sie oder die Russen oder die Außerirdischen sind die Feinde der offenen Gesellschaft. Die Feinde sind jene, die wie McCain denken. Er sagte in seiner Rede: Wir sind überzeugt, dass unsere westlichen Lebensweise allen anderen überlegen ist. Er meint damit: Wir wollen an der Macht bleiben, koste es, was es wolle.

Diese Haltung führt zu „autoritärem Gebaren“. Sie führt zu Denk- und Sprechverboten, zum Ende der Vielfalt, zur Verhinderung von Innovation. Sie zerstört unseren Wohlstand und führt in den Krieg – den die degenerierten Eliten jedoch nicht mehr gewinnen können. Die alten Männer und Frauen von München, die Generäle in ihren Anzügen, die devoten Höflinge – sie alle können den Untergang bestenfalls hinauszögern.

Der Untergang, den sie so sehr fürchten, ist jedoch nicht das Ende des „Westens“. Es wird etwas Neues kommen, errichtet von jenen Generationen, die es schaffen, die technologische Innovation für eine weltweite, moralische Erneuerung einzusetzen. Die Jungen werden es freilich schwer haben, den ganzen Müll der Alten zu entsorgen. Die Alten sind raffiniert und haben das Geld. Die Jungen – gerade jene aus Afrika, Lateinamerika und Asien – sie haben, sie sind die Zukunft. Das ist nicht viel. Doch die Geschichte von sterbenden Imperien zeigt, dass immer irgendwann der Punkt kommt, an dem die nächste Generation für eine neue Ordnung zu kämpfen beginnt. Dies gilt auch für das globale Imperium  der Rüstungs- und Kriegs-Branche. Die Münchner Sicherheitskonferenz war ein Abgesang. Niemand weiß, was morgen kommt. Doch jeder kann sehen, dass McCain und von der Leyen die Politiker von gestern sind.


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